Spötl Emil

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Biografie:
Unglücksfall im Karwendelgebirge. Im Karwendelgebirge sind, wie wir schon in der letzten Nummer kurz berichteten, am 6. und 7. October zwei vorzügliche Innsbrucker Bergsteiger, die Herren Otto Melzer und Emil Spötl, verunglückt.
Die traurige Katastrophe spielte sich nicht, wie die ersten Nachrichten gemeldet hatten, an der Jägerkarspitze, sondern an den Nordwänden der Praxmarerkarspitze ab. Der genaue Hergang wird - wenn nicht etwa bei der Leiche Otto Melzers noch eine letzte Aufzeichnung gefunden werden sollte - für immer unaufgeklärt bleiben. Melzer und Spötl waren am Sonntag den 6. October früh in leichter Ausrüstung und mit Kletterschuhen in die sehr schwierigen Felsen eingestiegen. Das morgens günstige Wetter verschlechterte sich im Laufe des Tages und schlug gegen Abend in einen heftigen Schneesturm um. Die Beiden hatten, falls nicht etwa Spötl schon am Sonntag abgestürzt ist, den Aufstieg vor Eintritt des schlechten Wetters nicht vollenden können und wurden zu einem gewiss schauerlichen Biwak genöthigt. Am Abend dieses Tages wurden von Jägern Hilferufe gehört. Nach der "Oesterr. Alpen-Zeitung" habe nun der "fürstliche Jagdherr" nichts veranlasst und angeblich "aus Schonung für seine Jäger" nicht einmal eine Meldung nach Scharnitz erstattet. Dem widerspricht aber direct ein anderer Bericht, der wie folgt lautet: ?Am Sonntag den 6. October, nachmittags gegen 4 U., hörten der Erbprinz zu Leiningen und sein Jäger, welche sich zur Pürsche auf Hinteröd befanden, Rufe, man konnte aber nicht unterscheiden, was gerufen wurde und woher die Töne kamen, weil sehr starker Südwind blies. Da nun Sonntags die Gleierschkette öfters besucht wird, nahm man an, dass es wieder Touristen gewesen, die - wie es leider öfters vorkommt - aus Uebermuth gerufen, beziehungsweise geschrien hätten. Der Erbprinz begab sich, da es dunkel wurde, zurück in das Jagdhaus im Hinterauthal. Der Jagdherr der Scharnitzer Jagd, Fürst zu Hohenlohe-Langenburg, dem von dem Vorfalle berichtet wurde, sandte am Montag morgens bei Tagesgrauen einen seiner Jäger unter die Gleierschwand, damit dieser nachforsche, ob sich nicht etwa doch ein Mensch in Lebensgefahr befände. Dieser Jäger war gegen 9 U. oben, rief in die Wände hinauf und erhielt von oben die Antwort: "Hilfe, ich komme nicht mehr aus!" Erblicken konnte er niemanden,' da in der Nacht Schneefall eingetreten und die ganze Gebirgskette in dichten Nebel gehüllt war.
Er glaubte jedoch feststellen zu können, dass die Verunglückten sich bei der Praxmarerkarspitze befänden, und rief hinauf, sie sollten ruhig bleiben, da man versuchen werde, Hilfe zu bringen. Gegen 11 U. kam der Jäger zum Jagdhause zurück und meldete das Gehörte. Da ein Aufstieg über die steilen Wände von dieser Seite bei den herrschenden Schneeverhältnissen und der Vereisung ausgeschlossen war und nur vom Gleierschthale aus versucht werden konnte, sandte der Jagdherr sofort den Jäger mit Proviant und dem nöthigen Verbandzeug versehen nach dem Gleierschthale, um von dem dort anwesenden Jagdherrn Baron v. Einghoffer weitere Mannschaften zu erbitten und die Rettung zu versuchen. Ein zweiter Bote wurde zu gleicher Zeit mit einem Briefe nach Scharnitz abgesandt, um von dort aus einige Bergführer zu holen. Gegen 3 U. kam der Jäger im Gleierschjagdhause an und stieg mit einem ihm von dort beigegebenen Jäger und zwei geübten Treibern zur Jägerkarspitze an, da zur Zeit nur von dort aus ein Eindringen in die Wände möglich war. Gegen 5 U. 30 waren die Leute oben und der Jäger des Baron Ringhoffer, sowie ein Treiber stiegen in die Wände ein, während der Hohenlohe'sche Jäger und der andere Treiber warteten, um eventuell weitere Hilfe zu leisten. Da die beiden Ersterwähnten nach 1 1/4 St. noch nicht zurück und es dunkel geworden war, glaubten die Zurückgebliebenen, dass jene an anderer Stelle ausgestiegen und wieder in das Gleierschthal hinabgegangen seien, giengen dann auch zurück und kamen um 10 U. im Gleierschjagdhause an, wo sie aber die beiden nicht vorfanden. Dienstag früh begab sich bereits um 2 U. der Hohenlohe'sche Jäger mit den aus Scharnitz angekommenen Führern und weiteren Mannschaften wieder auf den Weg. In der Nacht war bei bitterer Kälte und Wind neuer Schnee gefallen. Es stellte sich nun heraus, dass die am Abend vorher von der Jägerkarspitze Eingestiegenen sich verstiegen hatten, so dass sie weder rückn och vorwärts konnten und die ganze Nacht an den Fels gedrückt hatten verharren müssen. Beide mussten unter Lebensgefahr mit Seilen gerettet werden und kamen fast erfroren wieder oben an. Von den Verunglückten war schon abends vorher nichts mehr gehört worden, trotzdem gerufen wurde, es ist daher mit Bestimmtheit anzunehmen, dass dieselben schon um diese Zeit sich nicht mehr am Leben befanden. Um 6 U. wurde trotz des Schnees, Eises und starken Windes ein zweiter Rettungsversuch gemacht, welcher ergab, dass ein Eindringen und Aufsuchen der Verunglückten ganz unmöglich sei, und es musste das Rettungswerk aufgegeben werden. Mittwoch in der Frühe kamen mehrere Personen aus Innsbruck von der Haller Anger-Hütte im Hohenlohe'schen Jagdhause an, welche am Tage vorher nach den Vermissten gesucht und sich überzeugt hatten, dass eine Bergung derselben zur Zeit unmöglich sei. Am Nachmittag des genannten Tages berichteten im Hohenlohe'schen Jagdhause drei Scharnitzer Führer, die von Hinteröd aus sich nochmals auf die Suche begeben hatten, dass sie den bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichnam des Emil Spötl ca. 150 m. unter der Wand zwischen dem Kleinen Jägerkar und der Praxmarerkarspitze mit einem 15 m. langen abgerissenen Seile um den Leib gefunden haben." Aus diesem Berichte geht hervor, dass seitens der Jagdherren und des Jagdpersonales alles gethan wurde, was am Montag und später noch möglich war. Verhängnisvoll war
es nur, dass die erste Wahrnehmung der Hilferufe seitens des Erbprinzen von Leiningen und seines Jägers nicht entsprechend beachtet wurde. Da dies schon am Sonntag um 4U. nachmittags war, ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass den Verunglückten noch hätte Hilfe gebracht und vielleicht ein Menschenleben hätte gerettet werden können. Denn wie die Jäger sagen, wurden die Hilferufe stets als nur von einem Menschen herrührend festgestellt. Es ist also möglich, dass einer der beiden, Spötl, bereits am Sonntag nicht mehr lebte. Dies wäre dann so zu erklären, dass Spötl etwa abgestürzt ist (wofür das abgerissene Seil als Wahrscheinlichkeitsbeweis angeführt werden könnte), dass Melzer sich dann zu retten suchte, aber (vielleicht selbst etwas verletzt?) dies allein nicht mehr vermochte und um Hilfe rief. Eine andere Annahme geht dahin, dass die beiden Unglücklichen durch den furchtbaren Wettersturz zu einem todbringenden Biwak an gefährlicher Stelle genöthigt wurden, und dass Spötl, der möglicherweise nur wenig versichert war, erst als Leiche über die Wand abgestürzt ist. Der ärztliche Befund konnte nicht mehr feststellen, ob die schweren Verletzungen des Spötl erst nach eingetretenem Tode durch Erfrieren erfolgt seien, oder ob der Tod eine Folge dieser Verletzungen war. Für die erstere Annahme wird der Umstand angeführt, dass etwa hundert Schritte von dem Fundorte der Leiche Spötls am Dienstag den 8. October einige Herren aus Innsbruck vorübergiengen, die, wie das "Tiroler Tagblatt" meldet, "die Leiche hätten unbedingt sehen müssen, wenn sie zu jenem Zeitpunkte schon dort gelegen wäre".
Die Innsbrucker Rettungsgesellschaft war durch zwei Freundinnen der Verunglückten, welche mit den Bergschuhen der letzteren in der Pfeisalpe vergebens gewartet hatten, noch in der Nacht von Sonntag auf Montag verständigt worden. Es machten sich sofort mehrere Freunde der Verunglückten auf die Suche, allein infolge des höchst ungünstigen Wetters und da man nicht wusste, wo sich die Vermissten befinden könnten, waren leider alle Bemühungen vergeblich. Erst am 13. October gelang es drei Männern (Emil Kleber, Jäger Heiss und Führer Pontoi), von dem aus der Gleierschkette von der Praxmarerkarspitze nördlich vorspringendem Rücken des Zeigers aus den Leichnam Melzers mit dem Fernglase aufzufinden. Der Unglückliche war mit seinem Seile an den Felsen festgebunden und ruhte in halbliegender Stellung auf seinem Rucksacke. Infolge der starken Vereisung war die Bergung der Leiche bis zum 24. October noch nicht möglich. Diese zwei vorzüglichen Felskletterer, von denen Melzer nach den Versicherungen seiner Freunde mit seiner hervorragenden Tüchtigkeit auch grosse Vorsicht verband, sind (wie im Vorjahre Pott und Müller auf dem Admonter Reichenstein) Opfer eines gewaltigen Wettersturzes geworden. Hätte das Wetter ausgehalten, so würden die zwei berggewohnten und in bester Uebung befindlichen Alpinisten
gewiss ihre Fahrt in der einen oder anderen Weise glücklich durchgeführt haben. Grosse, voraussichtlich sehr lange Zeit erfordernde, schwierige Felstouren sollen in so vorgerückter Jahreszeit nur bei absolut verlässlichem Wetter unternommen oder bei dem Auftreten der ersten Anzeichen eines Wetterumschlages abgebrochen werden. An jenem Tage sollen in Innsbrucks Umgebung schon um die Mittagszeit für Kundige unverkennbare Zeichen eines starken Wetterumschwunges bemerkbar gewesen sein.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1901, Folge 20, Seite 248-249


In Melzer hat Innsbruck seinen erfahrensten Bergsteiger verloren, in Emil Spötl seinen verwegensten. Spötl konnte nicht wie sein Freund Melzer auf eine lange Entwicklung als Hochtourist zurückblicken, sondern er war geradezu der Typus jener modernen Richtung in der Alpinistik, die von allem Anfang an sich auch an die schwersten Probleme wagt. Gerade diese Richtung hat eine grosse Anzahl erstklassiger Felskletterer hervorgebracht, die durch ihren jugendlichen Mut und ihre Schneid den Mangel an Erfahrung zu ersetzen suchen. Emil Spötl, einer der besten aus dieser kletterfrohen Schar, war bei seinem Tode erst gegen 20 Jahre alt. Hochtourist im strengen Sinne des Wortes war er erst seit etwa drei Jahren. Seine erste schwierige Klettertour war die 1. Ersteigung der Speckkarspitze über die Nordwand. Bekannt wurde sein Name in den Innsbrucker alpinen Kreisen erst durch seine Betheiligung an der 1. Durchkletterung der Solstein-Nordwand. Ganz allein bezwang er zum erstenmal die Nordwand der Hohen Warte und des Niederbrandjochs. In den Kalkkögeln vollführte er als Erster die Überquerung des Südthurmes und Ostthurmes, die Ersteigung des Steingrubenkogels von Norden, der Steingrubenwand von Norden, der Südzinne über den Nordwestgrat, der Lizumer Nadel. Bekannt ist seine Theilnahme an der Bezwingung der Tribulaun-Nordwand. Von grosser Bedeutung ist der von ihm und Melzer entdeckte neue Weg auf den Tribulaun über den Nordwestgrat. Der von Robert Hans Schmitt erfolglos versuchte Westgrat auf die Ilmspitzen im Stubai fand gleichfalls in ihm seinen Besieger. Seine letzten grossen, neuen Touren waren der Nordgrat der Grubenkarspitze im Karwendel, sowie die ohne Begleitung durchgeführte Ersteigung des Sebleskogels im Stubai über die furchtbar steile Eiswand vom Längenthal aus. In den Dolomiten war er einmal. Er bestieg dort Delago-, Winkler- und Stabelerthurm. Einer seiner Lieblingspläne war die Ersteigung der Walliser Bergriesen. Zwei Monate vor seinem Tode brachte er diesen Wunsch in Ausführung. Er bezeichnete oft die dort verlebten vier Wochen als die schönste Zeit seines Lebens. Ein glückliches Geschick hat es gefügt, dass ich in diesen herrlichen Stunden sein Begleiter gewesen bin. Dort habe ich ihn auch genau kennen gelernt, als Bergsteiger und als Menschen.
Der Mut meines Freundes kannte keine Grenzen. Er war ein Kletterer von geradezu staunenswerter Fertigkeit, dabei mässig und ausdauernd. Er bestieg z. B. allein von Zermatt aus den Monte Rosa bei ungünstigen Verhältnissen, obwohl er am Vortage das Weisshorn bezwungen hatte. Ein scharfer Orientierungssinn half ihm auch leicht durch das verwickeltste Terrain hindurch. Ein blinder Drauflosgeher war er trotz alledem nicht. Ein Umstand trennte ihn ganz besonders von seinen meisten, gleichaltrigen Sportskollegen: Er war nicht ein einseitiger Felskletterer, sondern sein Streben ging dahin, sich auch zu einem guten Eismanne auszubilden. Den Anfang dazu hat er im vergangenen Sommer gemacht. Ein früher Tod hat ihm die Erreichung dieses Zieles unmöglich gemacht. Sein trockener Humor, sein bescheidenes und doch so mannhaftes Auftreten haben ihn mir zu einem meiner liebsten Begleiter gemacht. Auf seiner letzten, glücklich ausgeführten Tour, eine Woche vor seinem Tode, haben wir noch Pläne geschmiedet für künftige Jahre. In Melzer's Begleitung wollten wir weit, weit fort in fremde Berge, um dort das Glück zu suchen. Einsam bin ich zurückgeblieben und gedenke mit Wehmut der Stunden, die ich mit beiden verlebt habe. Es waren harte darunter! Ich gedenke der Stunden, in denen mir Spötl wahrhaft zum Freunde geworden ist. Droben am Matterhorn war es; umleuchtet von Blitzen und umweht vom Schneesturm sind wir in Stunden höchster, fürchterlichster Gefahr Freunde geworden. Am nächsten Morgen saßen wir im Schwarzseehotel und schauten hinaus auf die Berge, die in der Morgensonne glänzten. Spötl sagte zu mir: „Weisst Du, vor dem Abstürzen hätte ich keine Angst, aber so langsam dahinsterben im Schneesturm, das muss grauenhaft sein!" Ein tiefer Schmerz erfasst mich, wenn ich an diesen ergreifend schönen Augenblick denke. Mein armer Freund hat den härtesten Tod erlitten, den ein Bergsteiger erleiden kann. Emil Spötl hat ein kurzes Leben gelebt, aber es war ein Leben voll Schönheit und Kraft. Er hat die Berge geliebt, vereint mit seinem Freunde Melzer hat er diese Liebe mit dem Tode bezahlt.
An einem Tage habe ich meine zwei besten Freunde verloren. Mit Melzer's Tod sind auch viele meiner Jugendpläne zu Grabe gegangen. Jeden Morgen schaue ich hinauf zu den Bergen, die mir so tiefes Leid zugefügt haben. Spötl's Leiche ruht im Grabe, mein Otto aber liegt noch oben in den fürchterlichen Wänden, wo er den Tod gefunden hat. Bewacht von den Bergen schlummern beide der Auferstehung entgegen. Die Erinnerung an meine beiden Freunde ist mir wie ein Gruss aus jener grossen, unbekannten Welt, in der alle Wünsche und Sorgen schlafen, in der das Glück wohnt. Liebe Freunde, schlaft wohl! Ihr seid nicht todt, ihr lebt. Denn die Erinnerung an euch gibt neue Kraft einem treuen Freunde.
Lebt wohl!

Heinrich v. Ficker

Quelle: Österr. Alpenzeitung 1901, Jahrgang 23, Nr. ; Seite


Geboren am:
44
Gestorben am:
07.10.1901

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