Zahlbruckner Karl August

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Biografie:
Karl August Zahlbruckner
7. Juni 1908 - (+) 2. Oktober 1978
Herbst 1949. Abklettern der "Bergsteigergruppe" des AV Graz im Schwaben. Das lautstarke Gespräch junger Kletterer in der Voisthalerhütte wird zu einem respektvollen Raunen, als ein älterer Bergsteiger den Raum betritt. Freundliche Augen. Eher ein Gelehrtengesicht. Doch bei näherem Hinsehen wird der Ausdruck des Behagens am Leben deutlich. ?Das ist der KAZ 1)!" erklärt leise mein Nachbar. So bin ich unserem Klub-kameraden Dr. Karl August Zahlbruckner erstmalig begegnet. Sein Name war mir schon bekannt gewesen, meine Bewunderung zur Begeisterung geworden, als ich im (leider nicht allgemein zugänglichen) Märzheft 1949 der ?Bergsteigergruppe" seinen grundlegenden Aufsatz "Frauen und Bergsteigen" gelesen hatte. Ich begann, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, was nach Jahren zur maßgeblichen Mitarbeit an F. v. Rezniceks ?Von der Krinoline zum sechsten Grad" geführt hat. So war Dr. Zahlbruckner für mich zum "spiritus rector" geworden; später war er unersetzlicher Berater bei meinen und anderen Bergbüchern. Er war in den letzten Jahren auch unentbehrlicher Alpin-Lektor eines Grazer Verlages.
Nur wenige Bergsteiger gibt es, bei denen höchstes alpinistisches Können u n d Wissen so glücklich vereint sind, wie es bei Dr. Zahlbruckner war. Beides hat er mit größter Freude für seine Gefährten verwendet, an sie weitergegeben. Mit Vorliebe und erfolgreich hat er jüngere Seilschaften und Bergsteigerinnen geführt. Er, an dem ein guter Lehrer verlorengegangen ist, war da der gegebene Führer. Obwohl selbst kinderlos, ist er einem geliebten Ziehsohn doch ein echter Vater gewesen. Die schneidige Berg¬gefährtin seiner Jugend war unsere Klubkameradin Maria Pichler, verehelichte Wenda. Im zitierten Aufsatz schrieb er u. a.:
?Ein freundliches Schneefeld an der Griesmauer warf mir meine getreueste Gefährtin buchstäblich in die Arme. Als wir 1946 am Westgrat des Kleinen Winkelkogels die zwanzigste Wiederkehr dieses Tages feierten, da kam mir so recht zum Bewußtsein, welche tiefe und lebenslange Freundschaft die Berge zu schenken vermögen, auch zwischen Mann und Frau. Denkst Du noch an den Silberpfad, den weißen Grat, der uns auf unseren ersten Viertausender führte, Maria? Und an die trutzige Ödsteinkante und die Wächten des Lyskamm?" Mit dieser unentwegten Begleiterin hat der junge Karl August u. a. auch die 1. Winterbegehung des Schaufelwand-Ostgrates, eine schöne Neutour am Hochturm und große Schitouren unternommen sowie den Watze-N-Pfeiler und den NW-Grat des Schwabenkopfes begangen.
Auch allen anderen Gefährten hielt Dr. Zahlbruckner lebenslange Treue, wie dem Klubisten Franz Kislinger, einst sein alpines Vorbild, und dessen sehr bergtüchtiger Frau ?Agerl". Unerreicht war er bei der Betreuung solcher Gefährten, etwa des im Vorjahr verstorbenen Klubmitglieds Karl Taus. Wie war er rührend besorgt um einen würdigen Nachruf für Taus! Doch war er in den letzten Lebensjahren bei schriftlichen Arbeiten leider allzu bescheiden. In einer kurzen Aufzeichnung über sein Leben, schon frühzeitig (und fürsorglich wie stets) für einen Nachruf verfaßt, erwähnt er zahlreiche alpine Veröffentlichungen. Von allgemein Zugänglichem ist sein ?Letzte Kletterfahrten im Hochschwab'', AV-Jahrbuch 1952, als letztes ?Eine Glockner-Überschreitung" in unserer Klubzeitschrift 7/8-1978 zu nennen. Leider hat er dabei stilistisch unterspielt, wie es auch im Leben seine Art war. Was für Werte, welches unermeßliche Wissen haben wir mit ihm verloren!
Unterspielend, unauffällig, doch stets präsent war sein Wesen. Er selbst bezeichnete sich als humorlos, doch seine Kameraden wissen es besser. Franz Kislinger: ?Er hat wohl kaum einen Feind gehabt. Für mich der liebste Bergkamerad, der einzig wahre Freund. Den Humor verlor er nie..." Ein Mensch, im besten Sinne des Wortes, von höchster Kultur, Toleranz, Weisheit, Güte, besten Geistesgaben, lauterstem Wesen, tiefer Innerlichkeit ? unser aller alpines Gedächtnis ? das hörte man bei der Ver¬abschiedung in der Grazer Feuerhalle, zu der viele tief getroffen gekommen waren, und bei der nicht nur Frauen, sondern auch Männer geweint haben. Wohl jeder, der ihn näher kannte, hat mit seinem Tod etwas verloren ? manche sogar sehr viel.
Als erster der Redner sprach unser Klubpräsident Ing. Dr. techn. h. c. Carl Rind tiefempfundene Worte der Erinnerung und nannte Dr. Zahlbruckner einen guten Geist des ÖAK, dem er fast 52 Jahre lang angehört hat. Zum Zeichen der großen Verbunden¬heit übergab Dr. Rind der Witwe, Frau Erna Zahlbruckner, das Klubabzeichen, damit es der Urne beigegeben werde. Ebenso sichtlich bewegt und in wunderschönen Worten verabschiedeten sich danach Franz Gasparics und Nationalrat Dr. Eduard Moser für den ÖAV und Dr. Markant für den Bergrettungsdienst Steiermark.
Karl August Zahlbruckner wurde am 7. Juni 1908 in Eisenerz in eine altbekannte steirische Familie geboren. Sein Urahn war der vielgenannte Sekretär Erzherzog Johanns, sein Vater der nachmalige Generaldirektor der Alpine. Er war das älteste von sechs Kindern eines strengen, dennoch wohlwollenden Vaters und einer grundgütigen Mutter. Karl August war sehr sportlich: Schifahren, Auto- und Motorradfahren, Paddeln - wobei ihm einige Erstbefahrungen gelangen -, Segeln und Radfahren betrieb er mit Leidenschaft. 1935 war er einer der ersten Befahrer der neuen Glocknerstraße, mit Fahrrad und Auto. Das Bergsteigen aber wurde ihm, der als Sechsjähriger an Hand der Mutter schon den Eisenerzer Reichenstein erstieg, zum Lebenselement. Bald waren die Eisenerzer Alpen sein Tummelplatz. Seine umfassenden Gebietskenntnisse kamen zuletzt dem 1978 aus dem Nachlaß Hermann Scharfetters erschienenen ?Führer durch die Eisenerzer Alpen" zugute. Mit fünfzehn unternahm er dort schon Neutouren, mit sechzehn erstieg er den Großen Löffler, den Biancograt mit neunzehn, im selben Sommer den Scerscen über die Eisnase, führend, mit dem selten gemachten Abstieg über die Eiswand des Güßfeldt-Sattels. Die damals schwierigsten Felstouren und zahlreiche Neufahrten im Hochschwab und Gesäuse folgten. Trotzdem waren ihm die großen, kombinierten Eisfahrten lieber. Den Großglockner erstieg er 13mal, darunter als erster Allein-Überschreiter Glocknerwand-Großglockner. Mit seinem speziellen Gefährten Hans Fandler (+) hat er die 4. Begehung des NO-Grates, mit 2. Begehung der Rinnen-Rippe und 1. Überschreitung des Berges von NO nach SW vollführt. Noch mit vierzig gelang ihm eine erste Begehung in der Nordwand der Simonyspitze. Mancher Alleingang brachte ihm größtes Erleben und half ihm, Schweres zu überwinden. Sein Vermerk im Lebenslauf: "Ich suchte immer Ruhe, Licht und Frieden, fand sie jedoch nur selten" weist auf diese Schatten im Leben hin. Die Wilde Leck im Winter, Schidurchquerungen des Toten Gebirges, der Ötztaler und Stubaier waren solche Alleintouren. KAZ war über 60 Jahre lang Schifahrer und befuhr u. a. die Königsspitze.
Nach der Promotion zum Dr. jur. im Jahre 1933 trat er bei der Graz-Köflacher Eisenbahn ein, wo er ? was er mit Vergnügen berichtete ? die Eisenbahner-Laufbahn "von unten herauf" durchdiente bis zur Pensionierung als Bahnrat mit 65 Jahren. Früher in Pension zu gehen wäre ihm unfair erschienen! Als Vorsitzender der Eisenbahner-Dienststrafkammer ist es ihm gewiß nicht aufs Strafen angekommen. Gerne erzählte er von seiner Dienstzeit bei der Deutschen Wehrmacht, u. a. bei der Gebirgstruppe und an der Eismeerfront. Er war Leutnant, ausgezeichnet mit dem EK II. Eines seiner Erlebnisse gab er schmunzelnd zum Besten: wie er einen viel jüngeren hohen Offizier, der ihm kein alpines Können zutraute, im Wilden Kaiser durch einen äußerst schwierigen Kamin "emporIiftete"!
Dr. Zahlbruckner, später in Graz ansässig, hat schon vor dem Kriege den Berg-rettungsdienst in der Steiermark aufbauen geholfen und bekam 1954 das Verdienstkreuz des Landes Steiermark, 1956 das Goldene Verdienstkreuz des ÖBRD, 1966 dessen Ehren-mitgliedschaft auf Lebenszeit verliehen. Von 1950 bis 1955 Mitglied des AV-Hauptaus-schusses, war er von 1970 bis 1972 Obmann der AVS Graz und wurde dort 1978 Ehren-mitglied. Den ?Turner-Bergsteigern" in Graz war er schon seit seiner Jugend aufs engste verbunden ? Vereinsmann im besten Sinne, ohne Vereinsmeier zu sein. Dem ÖAK ist er sicherlich eines der treuesten und vor allem begeistertesten Mitglieder gewesen! Zu seiner kunstsinnigen und naturverbundenen Frau Erna, geborene Polleres, mit der ihn eine fast dreißigjährige, harmonische Ehe verband, meinte er oft scherzhaft, er wäre auch mit dem Klub verheiratet. Diese starke Anhänglichkeit war beim letzten Klub¬treffen besonders augenfällig - KAZ war geradezu euphorisch beschwingt. Wie sehr hatte er sich auf die Hundertjahrfeier gefreut!
Seit 1976 litt Dr. Zahlbruckner an Herz-Insuffizienz, 1977 an einer Glaskörpertrübung im rechten Auge. 1978 war ihm noch ein gutes Jahr gegönnt: Sein "Siebziger" wurde vielfach gefeiert, und im Sommer wurde ihm mit einer Fahrt ins Dauphinè und dem Anblick der Meije ein Herzenswunsch erfüllt. Auch schwierige Bergstraßen ? er war fast 50 Jahre Autofahrer und Pässe-Spezialist ? hat er noch mit Genuß befahren. Bei dieser Sommerfahrt, an der auch ich teilnehmen konnte, war er in unvergeßlicher Hoch-stimmung.
Zehn Tage nach der Heimkehr vom Klubtreffen besuchte Dr. Zahlbruckner, begei¬sterter Wagnerianer, der sich einmal gewünscht hatte, bei Wagnermusik hinüberzugehen, einen Abend der Grazer Richard-Wagner-Gesellschaft. Nach dem Schlußgesang der Brunhilde aus ?Götterdämmerung" fiel er plötzlich in Koma, in dem er am 2. Oktober 1978 gestorben ist.
Ich sehe uns unter den hohen Fichten im stimmungsvollen Gastgarten von La Cascade bei Bourg d'Oisans sitzen, nach dem reichen Tag in La Bèrarde. KAZ sagte plötzlich zu mir: ?Und Sie schreiben meinen Nachruf!" Ich meinte, ja, aber erst in 30 Jahren! Da lächelte er so eigen, wie nur er es konnte, und sagte: ?Nein, so alt werde ich nicht. Möchte es auch gar nicht " ich habe ein glückliches, erfülltes Leben gehabt!" Und er sagte mir einen Leitspruch seines Lebens von John Dryden, den ich aufgeschrieben habe:

Come fair or foul / come rain or shine
the joys I have possessed / inspite of fate are raine.
Not heaven itself / the passed has power /
and what has been, has been / and I have had my hour 2).

2) In sehr freier Übersetzung:
Ob es gut kommt oder schlecht,
Ob Regen oder Sonnenschein,
die Freuden, die ich hatte,
dem Schicksal zum Trotz, sind mein.

Nicht einmal der Himmel hat Macht über das Vergangene. Was gewesen ist, das ist gewesen, und ich habe meine Stunde gehabt.
L. Buchenauer

1) KAZ = Abkürzung von Karl August Zahlbruckner.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1978, Nr. 1422 November/Dezember, Seite 135-137


Geboren am:
07.06.1908
Gestorben am:
02.10.1978

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