Albert I (König von Belgien)

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Biografie:
geboren in Brüssel (Belgien)
gestorben in Rocher de la Corneille/Namur (Belgien)

Ein königlicher Bergsteiger.
Von Günther Langes.
Voll Sonne und Glanz, eine hohe Woge von Leben und Sport, waren die Tage der FIS-Rennen in St. Moritz vorübergegangen. Über dem glitzernden und spiegelnden Eis des Stadions knatterten die Fahnen der Nationen, derweil die Sieger unter dem hellen Klang der Trompeten ihre Preise in Empfang nahmen, derweil die Berge strahlend weiß im Glast der Sonne lagen und in ihren lichtflutenden Tälern heiteres Sportleben pulste.
Derweil über uns die Pracht der Berninaberge stand, hatte ein großes Bergsteigerleben im Geschröfe eines Tieflandtales sein Ende gefunden.
Die Nachricht vom tödlichen Absturz König Alberts von Belgien stand plötzlich wie ein schwerer Schatten über dem Sport- und Bergleben der Alpen. Dr. Amstutz, der Schweizer Bergsteiger und Schiläufer, kam mit der unfaßbar klingenden Kunde zu mir, und wir beide, die seine Turengefährten gewesen waren, wollten es nicht fassen und verstehen, daß der König in unscheinbaren, trügerischen Felsen den Bergtod gefunden habe. Die Sehnsucht nach den Bergen mag unstillbar, der Winter mit der aufgezwungenen bergsteigerischen Untätigkeit ihm zu lang geworden sein, er wollte sich rüsten für den Sommer mit seinen Bergfreuden.
Kaum einige Monate wären ins Land gegangen, daß König Albert auf seinem Motorrad wieder über den Julier gekommen wäre, wie alljährlich, und wie gewohnt auf den Schultern den Rucksack und auf dem Rücksitz des Rades einen kleinen Koffer. In Zürich stand sein Motorrad bereit, wenn er dem Expreßzug entstieg, und in St. Moritz war das Gästezimmer seines Schweizer Bergfreundes Dr. Amstutz gerichtet, um den hohen Gast aufzunehmen. Von den vielen Bergen der Alpen, die König Albert von Belgien in den drei Jahrzehnten seines tätigen Bergsteigerlebens erstiegen hat, waren ihm die Dolomiten besonders lieb. Sie waren seine alpine Heimat. Jahr für Jahr kam er wieder, oft schon wenn tiefer Frühjahrsschnee die Berge bedeckte oder noch im späten Herbst, wenn schon glasiges Eis den Fels überzieht.
Es war in einem Sommer der letzten Jahre. In den ersten, frühen Strahlen der Sonne, die in die schlafende Ruhe von Seis flimmerten, saßen wir auf einer Bank zwischen den kleinen, alten Häusern dieses Dolomitendorfes und warteten auf einen Träger.
Der König war in heiterster Laune. Mit inniger Freude hing sein Blick an dem Wundersamen Bild, das das friedlich ruhende Bergdorf bot mit den weiten Äckern, darüber der steile Hochwald und über dem ganzen, tiefdunkel und feingliedrig wie zur zackigen Spitze einer steinernen Lanze in den Morgenhimmel gereckt, der drohende Felskörper der Santnerspihe, über deren Grate strahlendes Geflimmer in die schwarze, herbstkühle Nordwand sprühte. Vom ganzen Bergland der Dolomiten war dem König nur dieser eine abgelegene Winkel fremd geblieben. Mit kundigem Interesse ließ er sich von mir die Routenführung durch den steilen Aufbau der Wand erklären.
Dann stiegen wir durch den steilen Forst zum Fuße der Wand hinauf. Als wir unter dem finsteren Gemäuer der Ruine Hauenstein vorbei zogen, auf dem vor vielen Jahrhunderten Oswald von Wolkenstein gelebt hatte, beneidete der König sinnend den Minnesänger, der hier zwischen Wäldern und Bergen einsam hatte sein Leben verbringen können. Am Einstieg in die Wand wechselten wir die Schuhe und banden die Seile um. Der Träger zog mit unseren Bergschuhen und dem übrigen Gepäck wieder dem Tale zu und den weiten Weg um den Berg herum zum Ausstieg. Mir war nicht ganz wohl zu Mute, als ich die Hand an die Felsen legte. Der Gedanke, daß der König an meinem Seil sei, gab mir eine leise Hast und Unruhe, die ich vordem nie gekannt. Doch schon nach den ersten Seillängen verschwand dieses Gefühl vollkommen, ruhig und sicher wie eine Seilschaft, die durch Jahre in schwierigem Fels zusammen war, kletterten wir die Wand hinauf, knapp und klar flogen die Rufe zwischen uns hin und her, und wenn nicht zeitweilig vor dem Kommando: „Nachkommen!" oder „Seil nachlassen!" das Wörtchen „Majestät" erklungen wäre, ich hätte vergessen, daß mein hünenhafter Seilkamerad, dessen grauer Kopf immer rasch und gewandt aus den steilen Wänden auftauchte, der König der Belgier war.
Es wurde ein herrlicher Aufstieg. Immer wieder tauschte der König mit der zweiten Seilschaft, die aus Dr. Amstutz und Graf Aldo Bonacossa bestand, seine Bewunderung für diesen schönen Berg aus, der so verschieden wie die anderen Berge der Dolomiten schroff und steil, weit vorgeschoben im Wald und Ackerland des Eisacktales steht.
Die Sonne empfing uns an der luftigen Kante, die zum Gipfel führt. Wir rasteten und aßen. Aus seinem Rucksack kramte der König den Proviant aus. Ich staunte, was er da alles in dem Sack hinauftrug, aber mein Anerbieten, den Rucksack zu tragen, das ich schon vorher einige Male gestellt hatte, lehnte er entschieden ab. „Jeder Bergsteiger trägt seine Sachen selbst!" Und schließlich ist es noch so gekommen, daß ich von den Birnen bekam, die er getragen hatte. Als wir den Gipfel betraten und uns der König freudig die Hand schüttelte, stand die Sonne schon tief über den westlichen Kämmen. In der Freude über den schönen Aufstieg hatten wir mit der Zeit getrödelt, mit Erzählen, Schauen und Photographieren waren die Stunden unbemerkt schnell vergangen. «In den letzten Felsen über dem Ausstieg lagen die ersten Schatten der Nacht, die nur noch vom matten Schein der leuchtenden Kämme gemildert wurden. Tief unten in den Schuttreißen jodelte unser Träger neben einem großen Feuer. Die Nacht wurde undurchdringlich schwarz und so unheimlich finster und ohne Spur eines Schimmers oder Scheines, daß man keinen Unterschied wahrnahm, ob man die Augen geschlossen oder offen hielt. Der Abstieg war mühselig und qualvoll. Er war ein einziges Tasten mit den Händen, mit den Füßen, mit dem ganzen Körper. Wir gingen einer hinter dem anderen, klammerten uns am Körper des Vordermannes an und stolperten und rutschten so die endlosen Trümmerhalden hinunter. Endlich erreichten wir den Wald, und nun begann ein mühevolles Suchen nach dem Weg. Wir versuchten aus grünen Asten der Fichten Fackeln zu machen, die jedoch nur mit einem roten Schimmer und beißendem Rauch schwelten.
Der König schlug vor, zu biwakieren. Wir waren schon fast dazu entschlossen, da spürten wir die gebahnte Fläche des Weges unter den Füßen. Wohl vergingen noch lange Stunden, bis wir den Weg Schritt für Schritt ins Tal hinabgetastet hatten, doch der Nacht am Berg waren wir glücklich entronnen. Freudiger noch als wir war der König über die schöne Bergfahrt und das Erlebnis gestimmt. Als wir in später Nachtstunde endlich bei warmem Essen saßen, da waren die Mühsalen der 20 Stunden, die wir unterwegs gewesen waren, vergessen. Der König erzählte von früheren Bergerlebnissen, von den vielen Fahrten, die er in allen Teilen der Alpen durchgeführt hatte, von der Schönheit der Berge und dem Zauber des alpinen Erlebens, das ihn als echten Bergsteiger Zeit seines Lebens gefangen genommen hatte. Ruhig und leidenschaftslos sprach aus jedem seiner Worte die große Liebe zu den Bergen, die ihn erfüllte, seit er zum erstenmal die Bergwelt betreten hatte.
Es liegt wie bei vielen großen Bergsteigern eine unfaßbare Tragik über dem schrecklichen Geschick des Königs, daß ihn das Los des Bergtodes treffen, daß ihm die Berge zum Unheil werden mußten. Ich bewahre als wertvolle Erinnerung, der Berggefährte des Königs und eines großen Bergsteigers und Menschen gewesen zu sein.
Vor 30 Jahren machte Albert I., König der Belgier, damals noch Kronprinz, die ersten Bergfahrten in der Schweiz. Aus diesen gelegentlichen Besuchen der Bergwelt erwuchs die große Liebe und Leidenschaft zu den Bergen in ihm und machte aus dem Gelegenheitstouristen den Bergsteiger. Er hat späte, immer wieder auch die Eisriesen der Zentralalpen besucht, die meisten der berühmten und großen Berge der Schweiz, Matterhorn, Monte Rosa, Weißhorn, erstiegen, aber seine besondere Vorliebe waren die Kletterberge der Kalkalpen und darin wieder die Dolomiten. Dies mag viel damit zusammenhängen, daß ihm sein königlicher Beruf nicht erlaubte, ein systematisches und andauerndes Training, wie es die großen Eisturen verlangen, zu betreiben Seine Bergtage waren oft karg bemessen, oft in den geringen Zeitraum von wenigen Tagen aufgeteilt, die noch dazu für die weite Reise von Belgien in die Alpen und zurück reichen mußten.
Der König hatte in der ersten Zeit viel um seine Liebe zum Bergsteigen zu kämpfen. Von Seite der Familie und Regierung stellte man sich eindringlich dagegen, daß der König einen Sport betreibe, der ihn ständig in Lebensgefahr bringe. Heute haben die Warner, weil ein unglückseliges Geschick mitspielte, recht behalten. Unbeirrbar und hartnäckig hatte sich der König nie von der Ausübung seiner Bergleidenschaft abhalten lassen und nur das Zugeständnis, die Gefahren des Kletterns mit allen Mitteln auf das geringste Maß zu drücken, mußte er geben. Ich erinnere mich noch, die Berggesellschaft des Königs vor dem Krieg in den Dolomiten begegnet zu haben, die damals mehr einer kleinen Karawane glich. Nicht nur die erstklassigsten Führer, sondern deren auch eine erkleckliche Zahl mußte der König in seiner Begleitung haben.
So wurden die besten Führer der Dolomiten des Königs Begleiter. Eindrucksvoll, umfassend und von einer bewegten Buntheit ist die Reihe der Bergfahrten, die drei Jahrzehnte — nur der Krieg und wenige Nachkriegsjahre bildeten darin eine Lücke — dem König brachten. Fast alle die großen Wände der Vorkriegszeit, von der Marmolata-Südwand bis zur Südwand der Tofana di Rozes, scheinen darin auf, die berühmten Touren der Rosengartengruppe, der Gruppe des Langkofels und der Drei Zinnen, die den Typus der Dolomitenbergfahrt geprägt haben, die Großtouren der Palagruppe und in den Bergen der Brenta, und schließlich die akrobatischen Klettereien an den Zacken eines Torre del Diavolo und der Guglia Edmondo de Amicis.
Und noch die letzten Jahre brachten ihm hochklassige Erfolge im Wilden Kaiser, die Südostwand der Fleischbank, die Fiechtl-Weinberger Route am Predigtstuhl und manche andere. Es war wohl nicht zu verwundern, daß ein leidenschaftlicher Kletterer wie König Albert in dieses oberste Gebiet des extremen Klettersports eindringen wollte, daß bei ihm, der die hohe Zahl seiner Jahre durch fleißiges Training um Jahrzehnte in der Leistungsfähigkeit drückte, im Fahrtenverzeichnis der nächsten Sommer klingende Namen von Bergen und Wänden standen.
In diesem Training für die große Fahrt ist König Albert im unscheinbaren, trügerischen Gemäuer des Tieflandes zugrunde gegangen. Eine unsinnige Tragik beschloß dieses Bergsteigerleben, das durch die leidenschaftliche Liebe zu den Bergen und den alpinen Erfolg groß und ausgezeichnet war.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1934, Seite 83

KÖNIG VON BELGIEN
Zu den weltbekannten Bergunfällen muss der Tod des Königs von Belgien, Albert I. (1875-1934), gezählt werden. Er war ein ausgezeichneter Bergsteiger. Er kletterte seit 1906. Zu seinen Gefährten zählten Tita Piaz, Angelo Dibona, Hans Steger, Paula Wiesinger, Walter Amstutz und Gunther Langes. Sein von 1906 bis 1933 geführtes Tourenbuch enthält die Südwände der Tofana di Rozes und der Marmolada, Ostwand und Nordwand der Rosengartenspitze, Westwand der Campanile di Brenta (Erstbegehung) und unzählige andere. Noch 1933, im Alter von 58 Jahren, beging er die Führen von Dülfer und Rossi an der Fleischbank, die Fiechtl-Route am Predigtstuhl, die Dülfer-Route an der Westwand des Totenkirchls – damals schwierigste Felsfahrt der Ostalpen. Des öfteren war der König allein am Berg gewesen. Ein Alleingang an den harmlosen Kletterfelsen Marche-les-Dames unweit Namur wurde ihm zum Verhängnis – am 17.2.1934, vor 50 Jahren. Seinen Tod betrauerte die ganze Welt.
Quelle: Der Bergsteiger 1984, Heft 9, Seite 89

Quelle: Österreichische Alpenzeitung Jahrgang 97, 1984, Seite 20

Albert I.,König von Belgien, * Brüssel (Belgien)
+ Abgestürzt in den Kletterfelsen Marche-les-Dames (Ardennen,Belgien)
Zu seinen Berggefährten zählten Tita Piaz, Angelo Dibona, Hans Steger, Paula Wiesinger, Walter Amstutz
und Gunther Langes.
1907 1.Beg.Piz Caral-Nordostgrates,3421m, (Bernina)
1908 7.Beg.Marmolata-Punta-Penia-Südwand „Alte Südwand“,IV+,700 HM,3343m, (Dolomiten)
1908 Best.Matterhorn,4478m, (Walliser Alpen)
1920 Überschr.Grand Dru,3754m und Petit Dru,3733m, (Montblancgebiet)
1920 Überschr.Aiguille du Grépon,3482m, (Montblancgebiet)
1932 97.Beg.Cima della Madonna-Nordwestkante „Schleierkante“,IV+/A0,400 HM,2733m, (Pala)
1933 Best.Coz dell’Atissimo-Südostkante,1000 KM,2339m, (Brenta,Dolomiten)
1933 1.Beg.Punte di Campiglio-Westgipfel-Südwand „Steger-Führe“,IV+,700 HM,2970m, (Brenta)
1933 Beg.Totenkirchl-Westwand „Dülferroute“,V+/A1,450 HM,2193m, (Wilder Kaiser)
1933 Beg.Fleischbank-Ostwand „Dülfer-Schaarschmidt“,V,2187m, (Wilder Kaiser)
1933 39.Beg.Fleischbank-Südostwand „Wießner-Rossi“,V+,270 HM,2187m, (Wilder Kaiser)
1933 Beg.Predigtstuhl-Nordgipfel-Westwand „Fiechtl-Weinberger-Weg“,V+/A1,200 HM,2116m,
(Wilder Kaiser)
1933 Beg.Marmolata-Punta-Penia-Südwand „Alte Südwand“,IV+,700 HM,3343m, (Dolomiten)
Beg.Campanile Basso-Ostwand „Preußwand“,V,120 HM,2883m, (Brenta)
Best.Cima Margherita,2845m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Campanile Alto,2937m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Cima de Ampiez,3102m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Castelletto Inferiore,2601m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Cima Brenta,3159m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Croz de Rifugio,2615m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Cima Brenta Bassa,2809m, (Brenta,Dolomiten)
Best.Cima Campiglio, (Brenta,Dolomiten)
Best.Crozzon di Brenta,3135m, (Brenta,Dolomiten)
Beg.Grohmannspitze-Südwand,3126m, (Langkofelgruppe,Dolomiten)
Beg.Fünffingerspitze-Südostwand „Schmittkamin“,IV+,2996m, (Langkofelgruppe,Dolomiten)
Best.Torre del Diavolo,2598m, (Sextener Dolomiten)
Best.Guglia Edmondo de Amicis, (Sextener Dolomiten)
Überschr.Mittelgruppe der Engelhörner, (Berner Alpen)
Best.Monte Rosa,4634m, (Walliser Alpen)
Best.Weißhorn,4505m, (Walliser Alpen)
Beg.Tofana di Rozes-Südwand,3225m, (Ampezzaner Dolomiten)
Beg.Rosengartenspitze-Ostwand,2981m, (Rosengarten)
Beg.Rosengartenspitze Nordwand,2981m, (Rosengarten)
1.Beg.Campanile di Brenta-Westwand, (Brenta)
Gerd Schauer, Isny

Geboren am:
08.04.1875
Gestorben am:
17.02.1934
application/pdf WIKIAlbert I Köng von Belgien - ÖTZ 1984, Seite 20.pdf

Erste Route-Begehung