Tschurtschenthaler Paul

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Biografie:
geboren in Bruneck (Italien)
gestorben in Bregenz (Österreich)

der Südtiroler Bergschriftsteller Paul Tschurtschenthaler
Von Dr. A. Dörrer, Innsbruck.
Vor ein paar Jahren war's. Da guckte plötzlich ein grauer, verwitterter Kopf in das Küchenfenster der Ober-Wirtin zu Felthurns im Eisacktal, und eine tiefe, knorrige Stimme bestellte grüßend und lachend eine ordentliche Schüssel voll Knödel und einen Felthurnser Roten dazu. Um beider willen ist die Oberwirtin von Felthurns landauf, landab bekannt. Sie antwortete nicht minder freundschaftlich-bekannt dem „Herrn Rat" zurück, und bald darauf rückte, der zu uns in die stillste Ecke der Veranda und packte mit offenem Herzen von seinen Wandererlebnissen aus. Ehe wir uns aber dessen versahen, stieg er schon wieder auf einem Steig über Säben zum Zuge hinab. Den Ausreißer und die Felthurnser Knödel hatte er sich nur geleistet, weil gerade ein wichtiger Gedenktag war, wenn ich nicht fehlgehe, der entscheidendste seines Lebens. Und dieses zum Schlüsse preisgegebene Geheimnis seiner Seelenlage mag noch lange zum Tischgespräch der anderen beigetragen haben; mich machte es nachdenklich über die seltenen Seligkeiten und vielen Enttäuschungen eines Heimatschriftstellers, und heute fällt es mir wieder aufs Herz, da ich dem wackeren Schilderer der Südtiroler Landschaft und des Volkslebens vom Puster- und Sarntal für vieles Schöne danken soll, was er zur Stärkung des Natursinnes und zur Freude und Anhänglichkeit an die Vergheimat beigetragen hat.
Paul Tschurtschenthaler — so heißt der gemütstiefe Einzelgänger — ist sicher nicht an einem verweltlichten Sonntag oder sonst unter einem materiellen Glückszeichen vor 60 Jahren am 2. Juli zu Bruneck im Pustertal auf die Welt gekommen; denn irdisch Gut und hohe Laufbahn wurden ihm verwehrt, und gar viele Bitternis und Schicksalsschläge an deren Statt aufgebürdet. Aber einen Namen bekam er vom Vater, der tirolischer nimmer hätte ausfallen können. Und zum Namen zwei helle Augen, ganz eigene Augen, um Natur und Volk zu besehen und immer wieder anzuschauen und in sich aufzunehmen, so daß sie in ihm ein- und aufgingen als der größte Schatz und Reichtum eines Menschen. Einem richtigen Tiroler sitzt die Heimatseligkeit nicht auf der Junge, sondern tief drinnen im Gemüt zwischen
einer Schale, die auch stachelig sein kann wie die der Edelkastanien im September. So gibt selbst Tschurtschenthaler's Feder erst allmählich die innersten Kostbarkeiten frei und läßt noch immer mehr erraten und zwischen den Zeilen verspüren, als sie in den Büchern ausführt.
Es bleibt mir eine besondere Befriedigung, der Zurückhaltung — nennt es Schwerfälligkeit oder Geschäftsuntüchtigkeit — Tschurtschenthalers zwei „Schupfer" durch Reclams Universalbibliothek und die Hausen-Verlagsgesellschaft in Saarlouis gegeben zu haben. Seitdem dort die „Berg-, und Waldwege" herauskamen, folgte manches weitere Manuskript aus der Lade Tschurtschenthalers zu Verlegern, so daß der Sechziger über eine hübsche Zahl gedruckter Cigenschöpfungen schauen kann. Und
so Gott will und die Zeiten ein Einsehen haben, werden noch manche sich anschließen.
Tschurtschenthalers Beruf als Richter und Grundbuchskommissär war geeignet, ihm gar vieles aus dem Volkstum anzuvertrauen. Von den Akten geriet er zu Archivalien, von der Bauernstube zum Hausgerät, kurzum, der junge Wald- und Wissenpoet aus dem Gilm-Idyll an der Rienz fand Rüstzeug genug, um gediegene Beiträge zur Volkskunde seiner Arbeitsplätze zu stellen. Da schrieb er vom Almabtrieb im Pustertal, vom Bauernjahr und von der Tracht im Sarntal, von den Stadtbräuchen, geistlichen Spielen, dem Lorenzimarkt und dem Gewerbeleben zu Bruneck, über das alte Norital u. dgl. m. „Der Schlern", „Tiroler Heimatblätter", „Wiener Zeitschrift für Volkskunde" und die „Zeitschrift" weisen den Namen Tschurtschenthaler unter den gediegensten aus.
Bei Akten und Archivalien sich zu versitzen, war jedoch nie Tschurtschenthalers Fall. Vielmehr mußte er immer wieder ins Freie, einen ordentlichen Trunk aus dem Gesundbrunnen Natur und zu rechter Zeit auch ein Viertele Silvaner oder Traminer verkosten und in der reinen Landschaft und bei einschichtigen Leuten verhocken, um jedem Papiertirol und Kanzleifilz zu entgehen. Der Naturdichter und der Genremaler sind bei ihm das Ursprünglichere, und so kommt es, daß seine Landschaftszeichnungen und Lebensskizzen weitaus den größeren Raum einnehmen als die folkloristische Sachkunde.
Mit einem Bündchen Reisebilder, „Auf Wanderungen", hatte er sich schon vor dem Kriege vorgestellt und als „Bergnarr" zu einer Zeit eingeführt, als noch wenige Leute auf den Almweiden und Wetterschrofen der Poesie begegneten. Im letzten Jahrzehnt folgten sechs weitere Merkbücher: „Berg» und Waldwege", „Bozner Landschaften", „Berglust", „Gestalten aus dem Etschland", „Über den Ritten", „Ein Buch vom Eisacktal". Außerdem schenkte Tschurtschenthaler uns zwei Gedichtbände: „Saitengold und Lieder" (1907) und „Beim Waldbrunnen" (1927), endlich sein „Brunecker Heimatbuch". Allmählich fing er das ganze deutsche Südtirol in eigenen Bildern ein.
Daß der Romantiker ihm tief in der Seele sitzt, bekennt er selber mit seinen Buchtiteln. Die Bücher sind auch gar nicht als solche entstanden, sondern setzen sich aus einzelnen Augenblicksdichtungen, Erlebnisstücken zusammen. Deshalb hält es schwer, sie voneinander abzuheben. Die verschiedenen Schilderungen und Skizzen wurden naturfrisch, mit der Landfahrt oder Begegnung niedergeschrieben. Zusammengestellt, ähneln wohl etliche einander. Sie umzumodeln, einzugliedern, aufzufüllen und durch Zutaten zu steigern, das läuft Tschurtschenthaler wider alle Echtheit.
Kleine Stücke, abgegrenzte Naturbilder und Einzelporträts fallen daher durchaus wirkungsvoller aus als ausgreifende Kompositionen. Es sind denn auch fast nur solche in Buchform erschienen. Seine Landschaftszeichnungen enthalten feine, aparte Beobachtungen, die auch den fernen Leser anziehen und dessen Gemüt mitklingen lassen. Farbenprächtig, gefühlsgesättigt und naturgetreu, hebt sie eine tiefe Einsicht und ein herber Zug von den durchgängigen Südtiroler Schildereien wesentlich ab. Es ist das alte, heimlicher werdende Südtirol, an den wir alle hängen. Um wieviel mehr bedeuten diese Bücher denjenigen, die mit dem Boden dauernd verwachsen bleiben und in diesen Beobachtungen und Geständnissen die Goldfäden der Heimat zu ihren herzen wiederfinden.
Tschurtschenthaler verwebt in seine Naturbilder gerne kleine Lebensskizzen, Schicksalsepisoden. oder erzählt frischweg kleine Geschichten, wie in „Bergluft". Es handelt sich zumeist um besondere, aber wirkliche Vertreter der Südtiroler Eigenwelt in reizvollster Gestaltung. Wer zu operieren versteht, findet so viel Volksoriginalität und Landschaftscharakteristik in diesen Büchern verborgen, daß er bei geschickter Ausbeutung der Goldkörner Aufsehen erregen könnte. Fast möchte man sagen, das unentwegte Naturkind Tschurtschenthaler verschenkt mit jedem Buche verschwenderischer und kerniger sein Landschaftserleben und Volkserfassen.
Eine stark persönliche Note trägt auch sein „Brunecker Heimatbuch", gleichviel ob er von den Kunststätten Michael Pachers und A. Bachlechners auskramt oder vom Schlosse des Kardinals Nikolaus von Kues und den Stadthäusern oder der Umgebung des Städtleins plaudert, die er mit allen Jugenderinnerungen und seiner ganzen Seele vergoldet, hätte Tschurtschenthaler sonst nichts geschrieben als dieses eine „Brunecker Heimatbuch", schon deshalb müßte ganz Südtirol und damit jeder Tiroler und Deutsche ihm heute anerkennend die Hand drücken.
Bruneck, das alte, liebe Nest, ist ja auch die Geburtsstätte anderer Dichter und Schriftsteller: Br. Willrams und J. Seebers, J. Neumairs und P. Gg. Harrassers, der Schauplatz von H. v. Gilms Glanzzeit. In diese Runde gehört Paul Tschurtschenthaler, und hieher hat er sich auch zurückgezogen, um endlich ganz seiner Heimat alles sein zu können.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1934, Seite 180-181

Quelle: Südtirol in Wort und Bild Jahrgang 12, 1968, Heft 1, Seite 28 ff

Geboren am:
02.07.1874
Gestorben am:
17.12.1941