Versluys Abraham

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Biografie:
Abraham Versluys
Tiefe Dankbarkeit führt mir die Feder, da ich eines Menschen gedenken soll, dem man in Wahrheit das „Lied vom braven Mann" singen darf. Der Beweise dafür gibt es viele.
„Verluys hat den damals jüngeren ÖAK-Mitgliedern durch "Hilfe in Bergnot" nach 1919 den Weg in die Westalpen. geebnet."
So schreibt mir einer der Unseren. Und dafür bin ich Kronzeuge.
Die Großzahl der Viertausender, die ich erstieg, verdanke ich seiner offenen Hand. In der Zeit, da das Geld der Deutschen nichts wert war, erhielt ich von ihm durch Vermittlung des ÖAK ein großzügiges Stipendium. Es wurde im Sinne des Gebers angelegt; im Verein mit guten Kameraden wurden viele hohe Berge der Westalpen mein.
Einmal traf ich Versluys auf der Egon-v.-Steiger-Hütte im Berner Oberland; er hatte ein Dutzend holländischer Studenten bei sich; denen er auf seine Kosten einen mehrwöchigen Aufenthalt in der Schweizer Hochgebirgswelt ermöglichte. „Man muß", so sagte er mir, „sehr besorgt sein um guten, bergsteigerischen Nachwuchs."
In der Festschrift anläßlich des 50jährigen Bestandes des NAV steht zu lesen: „Er (Versluys) wurde zum Ehrenmitglied ernannt, und nicht nur, weil er für die Jüngeren, besonders für die Studenten, sehr viel getan hatte, sondern auch wegen seiner großen alpinistischen Fähigkeiten."
Er trug mit Stolz das Zeichen des AAVM am Bergrock; die jungen Mitglieder dieser Münchener Bergsteigervereinigung wissen von seiner Freigebigkeit zu erzählen.
Ein paar Beispiele nur, aber sie zeichnen uns einen Menschen „von einer Güte und Größe der Gesinnung, den man als Diogenes von heute mit der Laterne suchen muß." So schrieb ich 1922 in meinem in der ÖAZ erschienenen Aufsatz „Eine Überschreitung des Matterhorns", Das Wort gilt heute noch; solche Menschen wachsen sehr, sehr spärlich.
Versluys kam ziemlich spät, mit etwa 40 Jahren, zum Bergsteigen. Da war er aber sofort mit Leib und Seele dabei;' er wurde ein Bergsteiger „von hohen Graden". Er ging wie Kugy fast ausschließlich mit erstrangigen Bergführern; seine große Liebe galt den Riesenbergen der Westalpen. Und: da entwickelte er eine Eigenart, wie er mir erzählte, auf Grund eines Knieleidens, das ihm nur bei schneller Gangart große Touren erlaubte. Daher bevorzugte er sehr ausgedehnte Bergfahrten und trachtete dabei, sie in möglichst kurzer Zeit durchzuführen, So erstieg er den Montblanc von Chamonix aus ohne Einkehrrast hin und zurück in 13 Stunden, vollführte die Überschreitung vom Breithorn zum Monte-Rosa-Nordend und die Überschreitung Zinalrothorn - Weißhorn in je einem Tage — ganz unerhörte, bis heute wohl unerreichte Leistungen, Da war es natürlich kein Wunder, daß er in Führer- und Bergsteigerkreisen beträchtliches Aufsehen erregte, und er erhielt alsbald den schmückenden Beinamen: der „fliegende Holländer". Der ist ihm lebenslang geblieben.
Er hat mit dieser seiner Eigenart nicht überall, besonders bei niederländischen Bergsteigern, ungeteilte Zustimmung gefunden. Aber wer ihn näher kennenlernte, dem wurde sehr bald klar, daß diese „fliegende Eile" nichts zu tun hatte mit Rekordsucht und menschlicher Eitelkeit; sie machte ihm Freude, brachte niemandem Nachteil — wer kann da etwas finden, was Anlaß zu Achselzucken oder gar zu Tadel gegeben hätte? Ich stelle dies auf Grund eigener Erfahrung fest, denn ich habe das Glück gehabt, viel mit Versluys verkehren zu dürfen in seiner Bergheimat Zermatt, in meinen Kaiserbergen, am besten wohl in meinem Kufsteiner Heim. Ich kann nur wiederholen, was ich dazu an anderer Stelle geschrieben habe: „Ich hatte immer das Gefühl: da spricht einer, dem die Herzensgüte aus jedem Wort herausklingt, der an den Bergen mit Liebe und Ehrfurcht hängt — jawohl! Mit Ehrfurcht, trotz Rekordzeiten und fliegendem Holländer — kurzum, ein Mann, dem Kamerad und Freund sein zu dürfen Ehre und Glück bedeutet."
Einer seiner niederländischen Freunde hat ihn den besten Kenner der Alpen unter den Mitgliedern des NAV genannt und ihm das Zeugnis ausgestellt, daß er jede unsaubere Form des Bergsteigens verurteilte, und er kommt zu dem Schluß: „Ich behaupte mit Sicherheit, daß Versluys den Berg um des Berges willen bestieg. Seine Führer hatten große Achtung vor ihm. ... Es gibt für mich keinen Zweifel, daß der Zuname ‚Fliegender Holländer' ein Ehrenname ist."
Ich habe im persönlichen Umgang die gleiche Erfahrung gewonnen. Leider wird der grundbescheidene Mann nicht mehr mir gegenüber im Gartenstuhl in wirklich anregendem Gespräch sitzen; er wird sich nicht mehr wie ein Kind freuen über das Obst, das ihm meine Frau, stolz auf ihren Eigenbau, auf den Tisch stellte; nicht mehr unternimmt er, auf Erholung im Kaiser weilend, seinen „täglichen Spaziergang" von Hinterbärenbad aufs Stripsenjoch, für einen Achtzigjährigen wohl ein recht anständiger Spaziergang. Aber vergessen wird unseren Versluys keiner, der ihn kennengelernt, keiner besonders vom ÖAK dessen Zugehörigkeit ihm ganz besonders am Herzen lag.
Wie anfangs angedeutet: Dankbarkeit führte mir die Feder. Mir ist er geradezu der brave Mann geworden.
Es war einmal... Also beginnen
die Worte, wenn wir Märchen sinnen, (F. Kurz) 5
Wie eine Märchengestalt ist Versluys in mein alpines Leben getreten; wie ein Märchen erscheint mir heute noch der Gedanke, daß er es war, der mir ein Gutteil meines alpinen Erlebens durch vornehme Tat ermöglichte.
Mein lieber Abraham Versluys! Mit mir danken Dir viele.
F. Nieberl.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1955, Folge 1282, Seite 135-136

Abraham Versluys
Unser liebes Ehrenmitglied ist im 83. Lebensjahr in Baarn (Holland) gestorben. Er war auch Ehrenmitglied des österreichischen Alpenklubs und des Niederländischen Alpenvereins. Trotzdem er erst als Vierziger Bergsteiger wurde, hat er bald erkannt, daß er mit Führern auch die schwierigsten Gipfel in den Dolomiten und im Kaisergebirge mit Sicherheit besteigen konnte. Es dauerte nicht lange, bis er auch die großen Westalpenberge, vor allem im Wallis und Berner Oberland besuchte. Grindelwald und Zermatt waren Jahr für Jahr seine Standquartiere. Das Matterhorn über den Zmuttgrat war eine seiner Lieblingsfahrten. Da er ein sehe schneller Geher war, kam er 'immer schon vor 1 Uhr mittags zum Schwarzseehotel. Dadurch erwarb er sich den Ehrennamen „Fliegender Holländer". Von der italienischen Matterhornhütte aus konnte ich einmal in der Nacht beobachten, wie seine Laterne auf dem Gletscher und Zmuttgrat mindestens zehn Seilschaften überholte und einsam weiterzog.
Alle großen Gipfel des Zermatter Bergkranzes hat Versluys mehrmals überschritten. Ich war sein Begleiter bei zwei Dent-Blanche-Überschreitungen (Aufstieg Viereselsgrat, Abstieg Ferpeclegrat), wobei wir schon zu Mittag mit seiner Mutter und Frau in der Schönbühlhütte zusammensaßen. Seine größte Leistung war wohl die Gratwanderung vom Zinalrothorn nach einigen Ver¬suchen zum Weißhorn ohne Biwak.
Wir lernten uns 1920 kennen. Es war das erste Mal, daß deutsche und österreichische Führerlose nach dem ersten Weltkrieg dank seiner Hilfe wieder in die Westalpen kamen. Durch seine großmütigen Stipendien auch in den folgenden Jahren hat sich Versluys um das Ansehen der deutschen Bergsteiger im Ausland große Verdienste erworben. Der A.A.V.M. hat ihm als Dank für seine selbstlosen Taten die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Sein Andenken wird im Kreise der deutschen Bergsteiger immer in hohen Ehren gehalten werden. Auch für die holländische Bergsteigerjugend hat er viel Wertvolles geleistet.
In seinen letzten Lebensjahren hat er, trotz der Schwierigkeiten die auch ihm die Nachkriegsjahre brachten, seinen A.A.V.M. nicht vergessen. Alle Jahre erfreute er uns — in erstaunlicher körperlicher und geistiger Frische — mit seinem Besuch, wobei er sich es nicht nehmen ließ, den Aktiven unter die Arme zu greifen. Für mich bedeutet sein Hinscheiden einen sehr schweren Verlust.
Hans Pfann
Quelle: Jahresbericht des Akademischen Alpenvereins München 1953-1955, Jahrgang 62/63, Seite 4

Gestorben am:
1955