Kudernatsch Otto

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Biografie:
gestorben in Berndorf (Österreich)

Otto Kudernatsch *
* 31. Mai 1879 — (+) 17. August 1966
20. Juli 1913. Vier Bergsteiger, darunter ein achtzehnjähriger Jüngling, gehen auf der Straße von Weißenbach-St. Gallen hinein zum Eisenzieher. Es regnet, und die feuchten Nebelschleier hängen weit herab in das Tal. Nur kurze Rast wird im einfachen Gasthaus gehalten, und schon geht es hinauf zum Berg; lichtet sich nur ein bißchen der Nebel, leuchten verschneite Felsen zu den emsig Ansteigenden herab. „Na", sagte da eines- von den drei älteren zu dem Jüngling, „heute wird nichts mit der Nordwand, aber", fügte er gleich beruhigend hinzu, „der Buchstein ist auch auf dem Normalweg vom Eisenzieher ein schöner Berg, und wir können ja wieder kommen, wenn das Wetter besser ist." Wer so freundlich zu dem Jungen sprach, war Otto Kudernatsch, ein damals bekannter Wiener Bergsteiger; beide verband bereits eine gute Freundschaft, die im Turnsaal ihren Anfang nahm. ‚Oben auf dem Gipfel des Buchsteins ging es recht winterlich zu; Sturm und Schnee! Aber ich sehe heute noch die leuchtenden Augen des älteren Freundes und merke heute noch, nach so vielen Jahren, die wohltuende Wärme seiner Fürsorge, die mich vom Anfang bis zum Ende unseres Weges in Gstatterboden umgab.
Eine Woche später, Sonntag, 27. Juli 1913, 9 Uhr früh. Eine helle Stimme rief in Hirschwang beim Hegerhaus Nr. 9 nach dem Sepp Walcher. Flugs war ich im Garten; da stand Otto Kudernatsch vor dem Zaun, wieder mit leuchtenden Augen und lachendem Gesicht, leicht gekleidet 'und sonnengebräunt. „Die Sonne scheint! Was ist's mit dem Stadelwandgrat?" Im Nu war ich fertig, und schon ging's hinein in das Höllental, hinauf zum Grat. Und wieder sehe ich vor mir, als wäre es erst gestern gewesen, wie Kudernatsch mit einer staunenerregenden Leichtigkeit und Sicherheit die Felsen hinaufturnte, und höre sein „Nachkommen!", das er stets fröhlich lachend rief. Es war meine erste und leider auch letzte Kletterfahrt mit Otto Kudernatsch, obwohl wir uns dann noch viele Jahre wöchentlich mehrmals am Turnplatz trafen.
Soviel ich weiß und hörte, war Kudernatsch als Bergsteiger vorwiegend Kletterer. Er ging viel mit seinen Gefährten Schutovits, Harbich und Hamberger, war oft in den Lienzer Dolomiten, in den Karawanken, im Gesäuse, in der Dachsteingruppe und im Rosengarten und überschritt dort die Vajolettürme. „Überall, wohin wir kamen", schrieb mir seine Frau, „und es gab etwas zum Klettern, war er schwer zu halten."
Ing. Otto Kudernatsch war technischer Beamter eines Industrie-Unternehmens, dem er sein großes technisches Wissen viele Jahre zur Verfügung stellte. Mathematik, Physik, Geophysik waren seine Lieblingsfächer, die ihn bis in das hohe Alter beschäftigten, beson¬ders dann, als er durch eine Erkrankung der Gefäße nicht mehr steigen und gehen konnte. Dem Klub war er innerlich immer verbunden. Am 15. Mai 1948 schrieb er mir: „Seit den glorreichen Tagen des Zusammenbruches bin ich an das Haus gefesselt — die Haxeln machen nicht mehr mit. Die Nähmaschine wurde mit einem Schmiedehammer zertrümmert, die Wohnung durch Kulturträger verunreinigt, die Schreibmaschine aus dem Fenster geworfen. — Deshalb konnte ich die Klubabende nicht besuchen, mußte die Berichte der ÖAZ abwarten und das damals Gesprochene lebendig werden lassen und mit schlechter Handschrift erwidern." Diese Entgegnung betraf die Julrede, die ich zu Weihnachten 1947 im Klub hielt, und war so tiefschürfend, vom Geiste der Logik gestaltet und sachlich aufgebaut, wie sie nur von einem umfassend gebildeten Denker geboren werden konnte. Trotzdem er mir wenige Tage später, am 28. Mai 1948, in einem Nachtrag zu seiner Arbeit schrieb: „In meiner in groben Umrissen skizzierten Geschichte von der Geburt der Menschen habe ich Geist und Seele nicht berührt, weil diese beiden Begriffe Erfindungen sind, die in der Natur nicht vorkommen", war er doch ein tief innerlich veranlagter Mensch, dem das Gute und Schöne, die Güte und Liebe, die Bescheidenheit und Selbstlosigkeit den Stempel hoher Menschenwürde aufgedrückt hatten.
Am 31. Mai 1948 besuchte ich Kudernatsch das letztemal in seiner Wiener Wohnung in der Scheibengasse. Später übersiedelte er nach Berndorf, wo er, treu umsorgt von seiner Gattin, immer noch mit technischen Wissenschaften beschäftigt, geachtet von seinen Nachbarn, im gesegneten Alter von 87 Jahren gestorben ist. Möge ihm auf seiner Wanderung durch die Unendlichkeit allen Seins, von der wir viel gesprochen haben und doch so wenig wissen, auch weiterhin ein irdisches „Berg-Heil!" seiner Bergkameraden begleiten und seinem „Kampf um die Wahrheit" ein freundliches Gedenken beschieden sein.
Walcher
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1967, Jänner/Februar, Folge 1351, Seite 11-13


Geboren am:
31.05.1879
Gestorben am:
17.08.1966