Thöni Jakob

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Biografie:
Bergführer Jakob Thöni (geb. 9. Juli 1877).
Vor dem gemütlichen Bergsteigerheim „Villa Thöni" in Trafoi am Fuße der Stilfser-Joch-Straße sitzen wir im Schein der Abendsonne, die den Trafoier Ferner, die Trafoier Eiswand, den großen Madatsch und die anderen Gipfel und Gletscher des großartigen Talabschlusses vergoldet. Endlich ist es mir geglückt, den alten Jakob Thöni, der mehr als vier Jahrzehnte seines Lebens die Bergbegeisterten aus alter Welt auf die Gipfel des Ordermassivs geführt hat, zu ruhiger Stunde anzutreffen. Trotzdem er nun bald seinen 85. Geburtstag feiern kann, sieht man ihn kaum jemals müßig, von früh bis spät werkelt er beim Haus, wie er's ein Leben lang gewohnt ist. Sein Vater war viele Jahre Wegmacher an der Stilfser-Joch-Straße, drum ist er bekannt talaus, talein als der „Wegmacher-Jackl". Jetzt endlich habe ich ihn vor mir bei einem Schöpplein Roten, und mein Stift gleitet über das Papier, um die markanten, klaren Linien dieses gütigen Antlitzes festzuhalten.
Bei solchem Tun kommt man ganz von selber ins Erzählen. „Sechzehn Jahr“ war ich alt, wie ich zum erstenmal einen Fremden hinaufgeführt hab, und mit neunzehn hab ich das Bergsteigerpatent bekommen”, laßt er mich wissen. Aber man muß ihn immer wieder zum Sprechen aufmuntern, denn seinem bescheidenen, schlichten Wesen liegt es nicht, von sich selber zu reden. Mit zurückhaltendem Stolz zeigt er mir seine Führerbücher. Diese sind angefüllt von Zeugnissen und Anerkennungsschreiben von Bergsteigern aus aller Welt, die sich seiner Führung anvertraut haben; mit lobenden, begeisterten und oft überschwenglichen Worten werden die Hilfsbereitschaft, Kameradschaft und unbedingte Zuverlässigkeit des Jackl gerühmt. Keine Tour war ihm zu anstrengend, kein Rucksack zu schwer. Über sechshundertmal ist Jakob Thöni auf dem Gipfel des Ortlers gestanden, viele Male war er auf den anderen Gipfeln der Ortlergruppe, der Trafoier Eiswand, der Tucken- und der Tabarettaspitze und wie sie alle heißen. Hunderte von Menschen haben ihm unvergeßliche Bergerlebnisse zu danken.
Es war ja in den Jahrzehnten seines Wirkens noch die große Zeit des Alpinismus, bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, Viele Hauser und einige Hotelbauten sind Zeugen aus der damaligen Blütezeit, als die armen Bergdörfer in den Hochgebirgstälern durch den Touristenzustrom zu einigem Wohlstand gelangten. Auch die neue Kirche in Trafoi wurde zu dieser Zeit gebaut, und das „Trafoihotel", das dann aber im Ersten Weltkrieg ausbrannte und jetzt als geisterhafte Ruine im Talgrund steht. Im Jahre 1910 konnte auch Jakob Thöni sich sein Haus bauen, das jetzt noch ihm selbst, seiner Familie, Söhnen, Schwiegertöchtern und Enkeln Heimat ist und gastlich, damals wie heute, die Bergfreunde aufnimmt.
Was mir der Jackl in seiner Bescheidenheit nicht erzählt hat, muß ich einem Aufsatz entnehmen, der ihm zum 80. Geburtstag gewidmet wurde: „Auch zwei Sonderleistungen sind in seinem Bergsteigerleben zu verzeichnen: Zusammen mit seinem Vater Franz Thöni bewältigte er mit einem Gast aus Magdeburg die Trafoier Eiswand im Abstieg — schon der Aufstieg durch die fast senkrechte Eiswand ist ungemein schwierig —, und im Weltkrieg durchstieg er mit einem Hauptmann zusammen als erster die Nordwand der Thurwieserspitze." Jakob Thöni wird wohl einer der letzten sein, die von der damaligen Blütezeit des Alpinismus noch mündlich aus eigenem Erleben erzählen können. Möge Gott ihm noch viele gesunde, gesegnete und zufriedene Jahre im Kreise seiner Familie inmitten der großartigen Hochgebirgswelt von Trafoi schenken!
Hertha Kraemer - Redenbacher, Lenggries
Quelle: Der Bergsteiger 1961-62, Heft 11 August, Seite 750-751


Geboren am:
09.07.1877