Madatschspitze Mittlere (Ötztaler Alpen)

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Höhe:
2.837 m
Infos:
Neues vom Kaunergrat.
Von Karl Berger in Innsbruck. (Fortsetzung.)
Madatschspitze. (I. Ersteigung am 17. August 1903.)
Watzespitze ülber den Westgrat. (I. Begehung am 18. August 1903.)
Gleich nach St. Leonhard holte uns Franzelin ein, glücklich im Besitze grober Bauernschuhe. Mit seinem eiergelben Mantel aus Billrothbatist angetan, hatte man ihn in einem Gasthause zu Imst für einen Zigeuner gehalten, der mit dem gelben Tuche Handel treibe, und ihn unfreundlich in die Bauernstube gewiesen. Zu dieser Verkennung trug auch seine eigentümliche Beschuhung bei; er trug ja meine Kletterschuhe, welche für die durchweichten Wege gewiß nicht sehr geeignet waren. Es begann zu regnen. Wir lagerten uns in einer Fichtenwaldinsel, die auf sandigem Boden am Bache stand, unter einem dichten Baume und schauten vergnügt einem Wasserfall zu, den der Wind manchmal so vertrug, daß man ihn nicht mehr sah. Die hohen, schrofigen Mahdhänge vor mns zeigten sich verschwommen durch ein windschiefes Regengitter. Nebel stiegen an den Vorbergen auf und ab und schienen deren Platten blankzuscheuern. Der Regen machte keine Anstalt aufzuhören und wir gingen weiter. In Planggeroß verbrachten wir die Nacht und staunend fanden wir den Morgen unbewölkt. Rechts über uns erblickten wir, nach zwei Stunden langsamen Steigens, die Kaunergrathütte. Auf einem grasigen Felsköpfl fußend, hieß sie uns mit heiterem Blicke willkommen, als wir auf gutem Pfade zu ihr hinanstiegen. In gewaltiger Gliederung, von Eis-
rinnen zernagt, schoß uns gegenüber die Nordwand der Watzespitze zum Gipfel empor. Nur ein schmales Eisbett liegt zwischen der Hütte und diesem gewaltigen Bau, an dessen Fuß der Firn mit weißen Zungen leckt. Alle Kräfte, die sonst in ihr aufgespeichert scheinen, gibt die Wand bei Neuschnee frei. Da sah ich, wie die Lawinen stäubend aus ihrer Höhe rasten; deutlich vernahm man im Brausen das Gepolter der Steine; und als die gewalttätigen Zerstörungszüge über die unteren großen Überhänge sprangen, war mir, als hielten sie einen
Augenblick zögernd inne, wie Leuchtkugeln still in der Luft zu hängen scheinen, dann fuhren sie im Bogen mit zunehmender Geschwindigkeit in die Randkluft nieder, die sie gierig verschlang.
Wir überschritten das Madatschjoch, zu dem von Westen und Osten flacher Firn hinanreicht. Auf dem Ferner lag ein Tümpel, so blau, als wäre alle Farbe des Eises in ihm zusammengeronnen. Unter uns zur Rechten traten die Madatschkögel gegen das Kaunertal vor. Ihre blanke Dornenreihe sticht am Nordrande des Madatschferners hervor. Sie waren unerstiegen; wir hatten es auf ihren höchsten Gipfel, der mit dem Madatschjoche beiläufig gleiche Höhe hat, abgesehen und waren rasch drunten an seiner Südseite. An erdigem Geschröfe
klommen wir ruhig und gleichmäßig durch eine Runse in die Scharte hinan, die östlich am Gipfelturme liegt. Wir schauten von dieser durch eine steile, ins Leere ausgehende Eisrinne hinab. Die Kletterei hub scharf an; unsere Bergschuhe scheuerten am Urgebirgsfels herum, der wenig Halt bot. Dreißig Meter Seiles bedurfte es, bis der erste Absatz, eine schmale, zwischen spitz aufstehenden Zinken ruhende Öffnung, erreicht war. Über große, lose liegende Trümmer stiegen wir sachte weg, als hielten wir sie »für schlafende Bestien. Eine feste
Wand, ebenso luftig als unschwer, führte uns zur Spitze. Vom Fels, auf den unsere Unterlage sich stützte, war nichts sichtbar; doch wir wußten, daß im Urgebirge, wo es hauptsächlich auf die Zugkraft der Arme ankommt, der Abstieg gewöhnlich leichter ist als der Anstieg.
Nach Süden hin entzog uns die Watzespitze mit ihrem langen Westgrate die Sicht; über seine Schneide lief, fein und schimmernd, ein Wächtenrand, an seiner Nordflanke führten zahlreiche parallele Eisrinnen herab.
Beim Abstiege fiel Hechenbleikner die Uhr aus dem Sacke und blieb an lotrechter Wand auf einem kaum faustgroßen, wackeligen Vorsprunge liegen; da Alpinisten, wie ihr Handwerk zeigt, stets geneigt sind, Günstiges zu erwarten, trat auch uns der Aberglaube nahe, diesen Vorfall als gutes Zeichen hinzunehmen. — Von der Scharte eilten wir derart bergab, daß wir den Gebrauch von Griff und Tritt mehr andeuteten als ausführten. Wir durchquerten den Madatschferner, in dessen geöffneten Adern hastige Bächlein flössen, und hielten auf eine Scharte zu, die uns leichten Übergang über den tiefsten Teil des Westgrates der Watzespitze verhieß. Dabei kamen wir zu einer trichterartigen Grube, deren Abhänge wild durcheinandergestürzte, große Trümmer einnahmen und deren Grund ganz durchsichtiges, stilles Wasser erfüllte.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1905 Seite 161 - 165 (Auszug vom Bericht von Karl Berger)

Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1904, Seite 21


Bild:
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Gebirgsgruppe:
Ötztaler Alpen
Erste(r) Besteiger(in):
Berger Karl (Innsbruck)
Franzelin Eduard
Hechenbleikner Ingenuin
Datum erste Besteigung:
17.08.1903

Routen:
von Norden
von Norden - Variante I
von Norden - Variante II
von Osten
von Süden und durch die Nordflanke des Westgrates
von Südwesten

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