Schöberspitzen

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Höhe:
2.600 m
Infos:
Südliche Schöberspitze 2580 m Sp.-K.
Den 8. Sept. 1880 begab ich mich nach Kasern im Thal Schmirn, um mich des von der Section Innsbruck freiwillig übernommenen Auftrags zu entledigen, eine geeignete Persönlichkeit ausfindig zu machen, welche es übernehmen würde, gegen Entlohnung Wegweiser über das Duxer Joch aufzustellen und die Richtung des Steiges durch rothe Farbstriche zu markiren. Es ereignete sich oft, dass Touristen, welche diese sonst ganz ungefährliche Partie ohne Führer machten, sich so arg vergingen, dass sie ihr Ziel Dux resp. Schmirn gar nicht erreichten, und gezwungen waren umzukehren, ja es kamen Fälle vor, wo solche, von der Nacht überrascht, obdachlos den Morgen erwarten mussten. Nach langem Suchen (in der wohlhabenden Gemeinde Schmirn erhielt ich die unverblümte Antwort: „man stehe auf die paar Gulden, die dabei zu verdienen seien, nicht an", in Madern und Kasern mochten die guten Leute desshalb nicht ihre Hilfe leihen, weil sie oft „Herren" über das Joch zu führen hätten, und diesen Verdienst wollen sie sich nicht entgehen lassen) fand ich den rechten Mann in der Person des Besitzers des ärmlichen Gasthauses von Kasern, Baldhauser Jenewein. Ich stieg mit ihm bis zur Höhe des Joches, um ihm die nöthigen Anweisungen zu geben, und sah, dass er die Sache gut auffasste. Mich fesselte der Anblick des im Hintergrund des Thaies mächtig aufragenden Hoserer 3093 m. Mein orts- und gebirgskundiger Begleiter versicherte, dass dessen Besteigung sowohl von Kasern, als auch vom Wildlahnerthal leicht auszuführen sei; ich nahm mir vor, bei nächster Gelegenheit dem Hoserer einen Besuch abzustatten. Wegen Schneefall im Gebirge und fast fortwährend schlechter Witterung, welche bis Ende September anhielt, verzögerte sich die Ausführung meines Vorhabens bis zum 3. October. Mit dem Nachtzug langte ich mit Herrn Tutzscher 2 U. früh in Steinach an. Auf der Brennerstrasse sogleich weiter ziehend, erreichten wir 2 U. 35 St. Jodok und durch die wilde Schlucht des Schmirner Bachs nach 3 U. die ersten Häuser von Ausserschmirn. Bei Madern setzten wir auf das linke Bachufer über; ein kalter Wind pfiff vom Olperer über die stark bereiften Wiesen. 5 U. 40 erreichten wir die ärmlichen Hütten von Kasern (Temp. + 1,3° C.) Mittlerweile nahm die Witterung ungünstige Gestaltung an. Zerrissene Windwolken jagten mit grosser Schnelligkeit nach SO., der Hoserer hatte eine dichte Nebelhaube aufgesetzt; als das Tageslicht kam, bemerkten wir, dass der letztgefallene Schnee nahe zur Thalsohle reichte. Unter diesen Umständen erachteten wir es nicht für rathsam, ohne Ausrüstung für eine Fernerwanderung und ohne Wegkenntniss den Hoserer zu besteigen. Wir beschlossen daher, bis gegen den hintersten Theil des Thaies vorzudringen und gelegentlich einen Uebergang in das Wildlahner-Thal zu suchen. Unsere Bemühungen, jemanden zu finden, der Aufschluss über die Art und Richtung des Weges hätte geben können, blieben erfolglos; 6 U. 45 zogen wir wieder ab. Der Pfad führt am rechten Bachufer in sehr geringer Steigung thalein. 20 Min. weiter aufwärts führt links der Weg zum Schmirner Joch, nun durch einen Handweiser bezeichnet. Wir hielten uns südlich, überschritten bei einer, einem Steinhaufen gleichenden Alphütte den Bach und begannen an der jenseitigen Bergwand aufzusteigen. Ohne Weg ging es durch nicht enden wollende Alpenrosenstauden aufwärts, bis wir nach 3 / 4 St. freieres Terrain erreichten. Ausserordentlich steile Grasböden, mit Felspartien untermischt, nöthigten uns, die Steigeisen zu benützen. An geschützter Stelle fanden sich noch prächtige Exemplare frisch blühenden Edelweiss. 8 U. 40 trafen wir auf Spuren eines Steigleins, welches, manchmal kaum handbreit, über eine rechts tief abstürzende Felsrippe bis zur Höhe des Kammes fährte, den wir 9 U. 5 erreichten. Der Theil des Wildlahner-Schmirner Scheiderückens, auf welchem wir uns nun befanden (2200 m An.), gleicht einer weitausgedehnten Wiese mit muldenartigen Vertiefungen, in einer dieser Mulden befindet sich ein für solche Höhe nicht unbedeutender, prächtig grüner, klarer See, in dessen Nähe wir uns auf grünem, mit zahllosen Speikpflanzen bedecktem Plan lagerten. Während des Aufstiegs hatten unsere Blicke oftmals die im hintersten Theil des Thaies sich aufthürmenden Schöberspitzen gefesselt; drei kühne, sägezahn-ähnliche, genau in einer Längenachse liegende Felsklötze von gleicher Form, mit Steilabsturz an der Südseite, aber verschiedener Höhe, und zwar so, dass jede der drei Spitzen in der Richtung von N. nach S. an Höhe zunimmt und die Südspitze den Culminationspunkt bildet. Thurmartig aufgebaut, scheinbar stufenlos, schwingt sich diese in bedeutendem Neigungswinkel zur Gipfelhöhe auf. Von ganz anderer Form stellte sie sich aber an der uns nun zugekehrten NO.-Flanke dar. Die scharf geschwungene Kante hatte sich nun in einem ziemlich, langgestreckten, nicht allzusehr ansteigenden Grat verwandelt, welcher, obschon von Zacken und Scharten unterbrochen, nicht absolut ungangbar schien. Von der Kammhöhe bis nahe zu unserem Standpunkt fiel die Bergflanke zwar ziemlich steil, aber mit tiefem Neuschnee bedeckt ab. Diese günstig zusammenwirkenden Umstände verlockten zur Ersteigung; 9 U. 20 befanden wir uns in der uns vom Gipfelmassiv trennenden Scharte. Der 1 1/2' tief lagernde Schnee trug vortrefflich; nur sehr selten einbrechend, steuerten wir auf einen kanzelartig aus dem Grat aufragenden Felshöcker zu. Die Sonde mit dem Stock ergab, dass wir fortwährend über Platten gingen. Nahe dem erwähnten Fels zwang uns die geringe Tiefe des Schnees auf kurze Strecke zur Umkehr, die Eisen vermochten auf dem schlüpfrigen Gestein keinen Halt zu finden. 10 U. 45 betraten wir die schmale und zertrümmerte Kammhöhe, welcher wir eine kurze Strecke folgten, bis uns die erwähnte Felskanzel, etwa 20 m unter der Spitze, ein gebieterisches Halt entgegensetzte; fassartig ausgebaucht ragt sie über beide Seiten der Kammschneide hinaus, nach keiner Richtung Kaum gewährend, um den Fuss einsetzen zu können. Zur rechten in geringer Tiefe ein schmales ungangbares plattiges Felsband, gegen eine Eunse abstürzend, vor uns mauerartig aufgebaute Felswand von kaum 4 m Höhe, aus der hie und da wohl kleine Vorsprünge ragen, welche aber durchaus keinen Halt gewähren, links eine trügerische Schneewächte; so sollte uns dieser ungeschlachte Klotz so nahe dem Ziel zur Umkehr zwingen! Wir stiessen zunächst die Bergstöcke in das morsche Gemäuer, um Stufen zu bilden. Stück um Stück, Block um Block kollerten zu beiden Seiten in die Tiefe; doch es war nutzlos; ebensowenig gelang eine Umgehung über das schmale Plattengesimse zur Rechten; der tastende Fuss fand nirgend Halt, während mein kleiner Hund, ein vortrefflicher Kletterer, die Stelle längst überschritten hatte. Auch an der linken Seite fanden wir derart brüchiges Gestein, dass wir den Versuch hier bald aufgaben; schon im Abstieg begriffen, bemerkten wir indessen rechts ein mit Schnee bedecktes Felsband, welches scheinbar gut gangbar bis nahe zur Spitze reichte; sogleich kehrten wir um, es hier zu versuchen. Wohl erforderte der Gang einige Vorsicht; noch ein Aufschwung auf eine Felsstufe und wir standen auf der Gratkante, wenige Schritte unter dem Scheitel; die letzte Strecke bis zum Gipfel erforderte grosse Achtsamkeit; so luftig aufgebaut, morsch und zertrümmert ist das letzte Stück des Grates, dass wir es nicht wagten, dicht hintereinander zu klettern, fürchtend, das schwache Felsgerippe könnte unter der Last zweier Körper zusammenstürzen. 12 U. standen wir endlich auf der schwer errungenen Spitze, einer einige Quadratfuss grossen, trümmerbedeckten Fläche.
Konnte unser Gipfel, seiner Lage nach, keine besonders weite Rundsicht gewähren, so bot er doch in engem Rahmen ein farbenreiches, " gerundetes Bild und eine Fülle der mannigfachsten Reize: Unter uns die grünen Thäler Kasern und Wildlahner, von dunklen Wäldern, herbstlich angehauchten Halden und starren Felsen eingesäumt. Gerade vor uns, in Rufesweite, der massige Hoserer, die eisige Gruppe des Olperer und Fusstein; ein Südsturm schien oben zu wüthen, dichte Wolken Schnees wirbelte er auf, der dann, die uns zugekehrte Nordseite schleierartig bedeckend, in die Tiefe fiel. Weiter gegen S. ragen die zerrissenen Wände des Schrammacher und der Sägewand auf, auch der Doppelgipfel der aussichtsreichen Wilden Kreuzspitze ist sichtbar, am äussersten Horizont die Gebirge bei Trient; die Brenta-Gruppe allein erstrahlt im glänzenden Sonnenschein, während alles andere bis zu den Gebirgen des Unter-Innthals und den Grenzmarken Baierns in eigenthümlich klaren, durchsichtigen Schatten gehüllt ist.
Spuren einer vor uns stattgehabten Besteigung waren nicht zu finden; ein Steinmännchen wurde aufgerichtet und dann vorsichtig über die schwierigen Stellen abgestiegen. Ueber das stark geneigte, grosse Schneefeld gab es eine lustige Fahrt, welche uns binnen wenigen Minuten bis in die Nähe des Sees brachte, wo wir unser Gepäck wieder aufnahmen und ohne weiteren Aufenthalt westlich über sehr steile Grashänge zur Sohle des Wildlahner Thaies abstiegen. Thal und Bach rechtfertigen ihr Prädicat „wild" durchaus nicht, ersteres zeigte die herrlichsten Alpenmatten, letzterer führte fast kein Wasser; bald jedoch zeigte sich die Wuth des Baches: die ersten an seinen Ufern liegenden Stallungen, Stadel, ja ganze Gehöfte lagen in Trümmern oder im klaftertiefen Schutt begraben, früher fruchtbare Wiesen und Aecker wurden durch einen einzigen Ausbruch seiner Gewässer in Steinwüsten verwandelt. Einen wohlthuenden Contrast hiezu bildet die Idylle von Schmirn, die bald im hellen Sonnenschein vor uns lag. Ohne Rast eilten wir zurück nach Steinach (5 U. 45) und kamen in
Innsbruck 9 U. 30 wieder an. Ich will zum Schluss noch bemerken, dass im Schmirnthal nichts Geniessbares als Mehlspeisen zu bekommen ist; wer an derartigen kulinarischen Erzeugnissen keinen Geschmack findet, möge sich das Gewünschte selbst mitbringen.
Innsbruck. Julius Pock

Quelle. Mitteilungen des DÖAV 1881, Seite 157-160

Bild:
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Gebirgsgruppe:
Zillertaler Alpen
Erste(r) Besteiger(in):
Pock Julius
Tützscher Bernhard
Datum erste Besteigung:
03.10.1880

Routen:
von Innerschmirn
von Kasern über den NO-Rücken

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