Ostgrat

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Routen Details:
Erstbegehung durch Hofmann mit einem unbekannten Begleiter und Führer Klotz

Lechthaler Gruppe.
Parseyerspitze 2942m. N. N. M., 3034m. Kat.
Erste Ersteigung aus dem Lechthal.
Georg Hofmann aus München verliess mit dem Führer Anselm Klotz von Lend die Seelenalpe im Alperschoner-Thal am 16. September um 4.30 früh und erreichte die Spitze, an deren Basis zu gelangen anstrengend und zeitraubend war, über einen scharfen Felsgrat um 3 Uhr Nachmittags. Zum Abstiege nach Zams wurden 5 Stunden gebraucht.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1876, Seite 72

Georg Hofmann (München), die Parseierspitze. 3034 m Pechmann, 3021 m N. M. M .*).
Am 14. September 1875 von der Mädelesgabel herab nach Holzgau ins Lechthal gelangt, gingen wir Nachmittags nach Elbigenalp, in der Absicht, einen Führer auf die Parseierspitze ausfindig zu machen. Im Lechthal ist dieser Name unbekannt, der Büchsenmacher von Elbigenalp, ein alter Bergkenner, nannte sie den Hinteren Seekogel. Schliesslich wurde uns ein gewisser Anselm Klotz in Stockach als Führer empfohlen, er gilt als verwegener Schütz und ausgezeichneter Bergsteiger.
Stockach liegt 1 1/4 Stunde oberhalb Elbigenalp, 10 Minuten von Lend entfernt; dort erfragten wir die Behausung des Gesuchten, der auch alsbald erschien; er ist ein mittelgrosser Mann, nicht corpulent, aber die muskelöse und behende Gestalt erweckt sofort Vertrauen. Auch er kannte die Parseierspitze nicht, versicherte aber, dass er im hintersten Parseierthal schon gejagt habe und gern bereit sei, uns als Führer zu begleiten. Der Führerlohn wurde auf 5 fl., der Aufbruch auf den andern Nachmittag festgesetzt, die Seeleinalpe als Nachtquartier bestimmt. Angelegentlich erkundigte sich Klotz nach dem Zustand meiner Steigeisen, meinem Gefährten probirte er einige von den seinen an; seine Aufmerksamkeit machte einen sehr guten Eindruck, wir schieden von ihm in der festen Zuversicht, den
rechten Mann gefunden zu haben.
Am 15. September Nachmittags verliessen wir Lend, mit Seil, Eisen und dem Nöthigen wohl versehen. Den Lendbach zur Linken geht's über Wiesen massig ansteigend zum eigentlichen Thaleingang, dann auf gutem Alpenweg weiter. Im Hintergrund erscheinen der Vordere und Mittlere Seekogel, zur rechten an einigen Punkten die Wetterspitze mit dem Fallbachferner. Man gelangt bald zur Abzweigung des Alperschoner Thals, welches hier rechts (westlich) abbiegt und betritt nun eine weite Thalmulde, die Mahdau. Noch zu Anfang dieses Jahrhunderts war dieser abgelegene Winkel bewohnt; die sechs Bauernhöfe stehen noch , aber* sie dienen nur mehr zur Zeit der Heuernte den Mähern als Unterkunft.
Erst weiter einwärts heisst dieser Thalast Parseierthal, am Vorderen Seekogel zweigt links das Reththal ab, ein Uebergang führt aus demselben an der Hengstspitze ins Patriolthal und nach Zams am Inn ; auch aus den verschiedenen Karen zwischen den Seekogeln führen schwierige Uebergänge in's Matriolthal sowohl als in's Patriolthal; das Parseierthal zieht nun direct südlich. Durch Nadelwald erreicht man bald die rauchgeschwärzte Hütte der Seeleinalpe (3 leichte Stunden von Lend.)
Die nicht mehr jugendliche Bewohnerin empfing uns mit lebhaften Gestikulationen; der Gestalt und Hautfarbe nach hätte man sie für eine Indianerin halten können, nur die riesige Tabakspfeife verräth die echte Tiroler Sennerin, diese ihre Gewohnheit entschuldigt sie damit, dass sie oft Wochen lang keinen Menschen zu Gesicht bekäme, dann ist in den einsamen Stunden die Pfeife ihre einzige Freude. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir im Freien, die hübsche Ansicht geniessend; im Hintergrund erscheint der Nordabsturz der Parseierspitze mit einem kleinen Ferner t der grössere Tavinferner ist nicht sichtbar , auch glaube ich , dass von hier der höchste Gipfel der Parseierspitze nicht zu erblicken ist.
Ein Gemsbock, der am Gehäng des Seekogels erschien, machte Klotz viel zu schaffen, am liebsten wäre er wieder nach Hause gelaufen, seine Büchse zu holen; morgen, meinte er, müsste der Bock seine sichere Beute sein. Ziemlich spät trennten wir uns, die fast empfindlich kühle Nacht versprach gutes .Wetter; Klotz blieb in der Hütte, wir beide bezogen einen nahen Heustadel; früh 4 Uhr 45 verliessen wir die Hütte und ihre urwüchsige Bewohnerin. Ueber Wiesen, dann im Geröllbett des Parseierbaches erreicht man das Parseirer Wäldl, durch das ein schmaler Steig führt ; zur linken erheben sich immer noch der Vordere und Mittlere Seekogel, rechts die Freispitze, welche im Lechthal gleich der Parseierspitze für unersteiglich galt, bis sie Klotz vor einigen Jahren erstieg. Um 6 Uhr 30 erreichten wir die am Schlüsse des Parseierthals gelegene Schaflerhütte, gerne hätten wir sie als Nachtquartier benutzt, doch sie ist unbewohnbar. Wohl wäre mit der Zeit die Erbauung einer Schutzhütte an diesem Punkt ins Auge zu fassen, sie würde für die Ersteigung der umliegenden Gipfel, insbesondere der Parseierspitze, sowie für mehrere Uebergänge gute Dienste leisten. Dieser innerste Boden von Parseier ist eine mit spärlichem Gras bewachsene, von den Wänden des Seekogels, dem Nordwest - Absturz der Parseierspitze und der Eisenspitze umrahmte Thalweitung. Ein Uebergang, des Schafschartl, führt hier hinüber ins Patriolthal und nach Zams, ein anderer nach Grins im Stanzerthal. Schroff und nnnahbar präsentiren sich die Wände der Parseierspitze , zu ihrer rechten zeigt sich ein Sattel , der ersteigbar scheint, und von dem man auf den jenseitigen Tavinferner zu gelangen glaubt. Etwas rechts von diesem Sattel zieht ein kleiner Hängegletscher mit blau schimmernden Klüften herab, eine nicht unbedeutende Wassermasse entrinnt demselben und stürzt durch kleine Klammen und über Felswände zur Tiefe. Weiter als bis hieher war Klotz bei seinen Gemsjagden nicht gekommen, seine Terrainkenntniss war zu Ende. Nach kurzer Ueberlegung beschlossen wir, in nächster Nähe jenes Wassersturzes an den linksseitigen Wänden emporzusteigen, um die Höhe des Gletschers und dann den Sattel zu gewinnen ; das Betreten des Gletschers selbst schien wegen seiner Steilheit und der Klüfte halber nicht ratsam. Wir schnallten die Eisen an und begannen etwa um 7 Uhr den Anstieg; ziemlich mühsam über grobes Geröll, dann durch jene Wasserrunse steigend , gelangten wir an die linksseitige Felswand , das Gestein war brüchig , der Anstieg nicht ohne Gefahr, schliesslich sahen wir uns bei der zunehmenden Steilheit der Felsen genöthigt, uns gegen den Gletscher zu wenden, stiegen jedoch ohne ihn selbst zu betreten, wieder aufwärts und standen nach vielen Mühen endlich unter dem sicher über 9000 Fuss hohen Kamm, der von der Spitze westlich zieht. Nun klettert Klotz zu einer engen Scharte in diesem empor, einen Uebergang auf den Tavinferner zu erspähen, bald kehrt er zurück, den Tavinferner hat er gesehen, aber den Abstieg auf denselben hält er für unmöglich. Wieder steigen wir nach rechts abwärts und erreichen, endlich über grobes Geröll mühsam wieder empor kletternd, um 12 Uhr den mehr erwähnten Sattel; unter uns liegt ein raässig ausgedehntes Firnfeld, das wir für den Tavinferner hielten ; frei schweift der Blick bereits nach Süden und hinab ins Innthal, ein grossartiges Bild. Mühelos steigen wir zum Firnfeld hinab und erreichen, einen von der Spitze südlich herabkommenden Felsgrat umgehend, endlich zu unserer nicht geringen Freude den eigentlichen Tavinferner. Ohne besondere Steigung zieht er zum imposanten Felsgerüst der Parseierspitze empor, zweifelnd sucht man an diesen prallen Wänden und gezackten Graten
nach der Möglichkeit eines Aufstieges. An einer lehmigen Zunge gehts etwas abwärts auf den Ferner, wir überqueren ihn in östlicher Richtung, einige Klüfte sind kein Hinderniss, um 12 Uhr 45 stehen wir auf dem Sattel im 0. der Spitze, welcher den Tavinferner vom Patriolthal scheidet. Von hier aus erst haben wir ungefähr dieselbe Richtung zu verfolgen , welche bei den drei oder vier früher unternommenen Ersteigungen , welche Grins zum Ausgangspunkt nehmen, eingeschlagen wurde. Ein sehr steiler, gezackter Grat zieht zum Gipfel empor.
Hier blieb mein Gefährte zurück, der sich ermüdet fühlte. Alles überflüssige bei ihm zurücklassend, begann ich mit Klotz den Anstieg; auf der Seite gegen den Ferner betreten wir die Felsen und erreichen den Grat, aber ihm zu folgen wird alsbald unmöglich, wir werden bald auf diese, bald auf jene Seite gedrängt, nur Fussbreit ist oft unsere Basis, wohl 2000 Fuss tief fallen die Wände ins Patriolthal ab; manches scheinbar unüberwindliche Hinderniss tritt uns entgegen, aber immer siegt die Gewandtheit und Unerschrockenheit des Klotz, wir
gelangen an das oberste Massiv , auch hier noch erfordern einzelne Tritte über Schneeflecke und übereiste Felsen die grösste Vorsicht ; noch einmal gehen wir an die Südseite über, wo uns ein stattlicher Busch Edelraute überrascht, endlich um 2 Uhr 15, 9 1/2 Stunden nach dem Abgang von der Seeleinalpe, ist die erhabene Zinne erreicht.
Unter den mir bekannten Gipfeln der nördlichen Kalkalpen wüsste ich keinen, der an Grossartigkeit und zugleich ah Mannigfaltigkeit der Aussicht der Parseierspitze gleich käme: im S. und W. wird ein grosser Theil von Tirol, Vorarlberg und der Ostschweiz überblickt, im N. und 0. sind es die nördlichen Kalkalpen, welche mit ihren wilden bizarren Formen im schneidenden Contrast zu den flimmernden Gletscher- Revieren des mittleren Tirol erscheinen, kühn tritt aus ihnen vor allem die Zugspitze hervor, gleichsam ihre Rivalin herausfordernd. Eben
so grossartig, ja unvergleichlich schön ist der Blick auf die bald reich belebten, bald eiusamen Thalgründe in der Nähe. Nur eine halbe Stunde Aufenthalt war uns oben vergönnt, ich schied um ein mir unvergessliches Bild reicher , Klotz hocherfreut, der erste Lechthaler zu sein, der die Parseierspitze betreten hatte. Unsere Namen deponirten wir in einem oben vorgefundenen Fläschchen. Der Abstieg erforderte noch grössere Vorsicht, die letzte Strecke des Grates wurde vermieden, indem wir mehr rechts gegen den Tavinferner abstiegen; 4 1/2 Uhr waren wir wieder am Sattel.
Da der Abstieg nach Grins weder uns noch Klotz bekannt war, so beschlossen wir, in's Patriolthal abzusteigen, durch dessen Thalsohle ein leicht zu findender Steig nach Zams im Innthal führt. Vom Sattel setzt das Terrain sehr steil, doch ohne eigentliche Wandbildung an 2000 Fuss tief gegen das Patriolthal ab, zuerst ging es ganz leidlich, fest sassen die Eisen im Erdreich, das sich reichlich zwischen den Felsen vorfand, doch bald gewahrten wir unter der dünnen Erdschicht blankes Eis, welches wir für den Rückstand eines einst hier hinabziehenden Gletschers hielten. Langsam und mit grosser Vorsicht gelangten wir hinab ins oberste Patrioltbal, welches wir um 5 Uhr 30 erreichten. Klotz wollte heute noch über ein Joch in's Reththal und zur Seeleinalpe zurück , wir trennten uns , mit genauer eginstruction versehen, von dem Wackern. Rasch eilten wir die steilen Grashänge hinab und waren froh uns nach 11 Stunden der Eisen entledigen zu können. Im Laufschritt geht's thalabwärts, um 6 Uhr 25 erreichen wir die oberste Hütte, verfolgen bei starker Dämmerung den kaum kennbaren Pfad und treffen schon bei Dunkelheit bei den untersten schon verlassenen Hütten des Matriolthals ein; bei Laternenschein geht's, jetzt auf gut angelegtem Weg, an der linken Thalwand hinaus, der Matriolbach rauscht rechts in grosser Tiefe. Den klammartigen Thalausgang in beträchtlicher Höhe umgehend, steigen wir endlich auf nicht enden wollendem Zickzack-Weg in's Innthal ab. Um 9 Uhr Abends, nach 16 Stunden Marsch, war Zams, unser Nachtquartier, erreicht.

Quell: Zeitschrift des DÖAV 1877, Seite 114








Datum erste Besteigung:
16.09.1875
Gipfel:
Parseierspitze
Erste(r) Besteiger(in):
Hofmann Georg
Klotz Anselm