Nordostwand

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Routen Details:
Kristallwand (Venedigergebiet)
1. Begehung der Nordostwand am 9. August 1933 durch Albert Santner (Innsbruck) und Willi Trost (S. Matrei in Osttirol).
Der erste Frühschein eines neuen Tages lag über dem weiten Firnfeld des Schlatenkeeses, da stiegen wir von Innergschlöß gegen die Alte Prager Hütte hinan, und als die Sonne die stolze Felspyramide des Großglockners und die Gipfelwächte des Großvenedigers berührte, querten wir gerade die Junge des Schlatenkeeses hinüber zur Kristallwand. Nirgends wirkt diefe Wand, die Nordostwand, die dem Berg den Namen gab, gewaltiger und majestätischer als von der Junge des Schlatenkeeses aus. über einer mächtigen Randspalte wächst der schwarze Fels 800 in hoch fast senkrecht in die Höhe, unten breit und wuchtig, dann sich langsam verjüngend, bis sich die Spitze unter der hereinhängenden Wächte versteckt. Nicht umsonst hat man sie als die schönste und mächtigste Wand im Gebiete der Hohen Tauern bezeichnet. Heute wollten wir sie bezwingen. Fast scheu tasteten unsere Blicke an ihr empor und suchten nach Anstiegsmöglichkeiten, während wir über den mäßig steilen Gletscher mit seinen verschneiten, tückischen Spalten zur Randkluft anstiegen. Unsere erste Sorge war die Randspalte, die breit und ungewöhnlich steil den noch unberührten Fels bewacht. Wir hatten Glück. Vom mächtigen Gletfcherabbruch, der bis an den Nordpfeiler oer Wand heranreicht, war eine Cislawine abgebrochen und hatte die Randkluft unter dem Nordpfeiler fast aufgefüllt, so daß wir mühelos hinüberkamen. Nun wurde gerastet, ausgiebig gefrühstückt, die schweren Bergschuhe mit den leichten Kletterschuhen vertauscht, und dann ging's an die Arbeit. Nach der Frühstücksrast, in Kletterschuhen, mußten wir am Nordpfeiler empor. Schon nach einer halben Seillänge surrte der erste Haken in den Fels und gab uns eine Ahnung von den zu erwartenden Schwierigkeiten. Nach etwas mehr als zwei Seillängen wandten wir uns in einem langen, ungemein luftigen Quergang nach links in die Wand, um diese dann in fast gerader Linie bis unter dem Gipfel zu durchsteigen. Die Sonne brannte heiß herab. Das Schmelzwasser der Gipfelwächte erreichte bald das erste, mit Geröll bedeckte Band unter dem Gipfel und verursachte Steinschlag. Unsere Lage wurde ernst. Noch waren wir zwar verhältnismäßig sicher; ein breites Band, ungefähr 150 m über uns. schützte uns vorläufig. Wie aber würde es werden, wenn wir ober diesem Band Hunderte von Metern, schutzlos dem Steinschlag ausgesetzt, uns langsam emporarbeiten müßten? Ich kannte die Wand schon jahrelang; oft hatte ich sie von oben geschaut, öfter noch von irgendeiner Seite, oft war ich an ihr vorbeigewandert, und jedesmal machte ich dieselbe Erfahrung: höchste Steinschlaggefahr. besonders in der Zeit von etwa 9 Uhr bis 13 Uhr, d. h. solange die Sonne in die Wand scheint. — Beim Klettern muß man Kaltblütigkeit wahren und Glück haben! Als wir nach 8 1/2 Stunden schwierigster Kletterarbeit das letzte breite Felsband unter dem Gipfel erreicht hatten, querten wir wieder nach, rechts hinaus an den Nordpfeiler und reichten uns. aufatmend, nach einer weiteren halben Stunde, erschöpft von der Anstrengung, von Durst und Hunger, die schmerzenden Hände, stolz, eines der letzten großen Probleme im Venedigergebiet gelöst zu haben, doppelt stolz, weil es der Erschließung, unserer engeren herrlichen Berg-Heimat galt.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1934, Seite 44
Datum erste Besteigung:
09.08.1933
Gipfel:
Kristallwand
Erste(r) Besteiger(in):
Santner Albert (Innsbruck)
Trost Willi