Westflanke - Variante Ausstieg

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Routen Details:
Dreiherrenspitze. (Theilweise neuer Anstieg.)
Mit Führer Alois Tipotsch von Rosshag (Zillerthal), der mich über den Grossen Löifler in das Ahrnthal begleitet hatte, verliess ich am 2. September 3 3/4 Uhr morgens das Gasthaus von Prettau. Bei Tagesanbruch war die Lahneralpe erreicht. Gegen 6 Uhr wandten wir uns über den Ahrnbach der südöstlich hoch oben sichtbar gewordenen Hochthalmulde zu, aus deren Hintergrund die hohe Warte mit mächtiger Felswand herabschaut. In ca. 2300 Mtr. Höhe, nach steilem, aber bequemen Anstieg vertauschten wir die bisher eingehaltene südöstliche Richtung mit einer rein östlichen und gelangten über die grasigen Böden, in welche der nordöstliche, vom Rosshuf kommende Felsgrat übergeht, und nach "leichter Kletterei über dessen unterste Absätze, zur linken Seitenmoräne des Lahnerkeeses (7% Uhr). Der Gletscher war ganz ausgeapert, daher wir sofort die Eisen anlegten und (zunächst noch nicht angeseilt) unterhalb eines wilden Eisbruches die Ueberschreitung des Keeses in östlicher Eichtung nach den Felsen der Lahnerschneide begannen. Das Kees zeigt eine ganz bedeutende Zerklüftung. Diese, sowie die durch mächtigere Eisaufstauung unterhalb der Lahnerschneide bedingte stärkere Neigung des nunmehr mit Firn überlagerten Keeses veranlassten uns das Seil anzulegen. Nach dem hierdurch entstandenen kurzen Aufenthalt stiegen wir steil die Firnhänge an, jener obersten Firnbucht des Lahnerkeeses zu, die nördlich begrenzt wird von den Felsabstürzen der Oberen Lahnerschneide, einer vom Gipfelmassiv herabstreichenden aperen Wand (von der die Lahnerschneide sich ablöst), dem hier*) ganz vereisten Südwestabfall unserer Spitze und östlich von der Althausschneide". Grosse Vorsicht war am Platze, um über oft nicht ganz vertrauenerweckende, zum Theil äusserst schmale Schneebrücken aus dem Gewirr gewaltiger Klüfte, die hier oben den Firn, durchreissen, den Zugang
zu den oberen, ruhigeren Partien zu erzwingen. Wir hatten bis zu diesen im Wesentlichen die Direktion nach einer östlich oberhalb einer steilen Firnwand schon vom ersten Anstieg- her sichtbar gewordenen Gratdepression genommen, von der rechts die eigentliche Althausschneide. sich zu P. 3273 der A.-V.-K. emporschwingt.**) Nun aber, nachdem wir volle Uebersicht über die in Frage kommenden Verhältnisse gewannen, entschlossen wir uns, die vereisten Gipfelwände selbst anzugreifen, die gegen die oberste Terrasse des Keeses
mit einem-Eisbruch absetzten, dessen Trümmermassen die Firndecke der Gletscherbucht weit über die Randkluft hinab überlagerten. Ueber den zur Rechten weitklaifenden Schrund bestand aber links eine Schneebrücke, die es uns ermöglichte, mit Vermeidung des Steilabfalls des Bruches die Gipfeleiswand zu gewinnen. Die anfangs nicht allzugrosse Neigung derselben wurde, als wir uns nunmehr oberhalb des Bruches stark nach rechts wandten, viel beträchtlicher, als sie von unten, aus der Verkürzung, erschienen war. Der vorher zum
Stufentreten gut geeignete Firnschnee wurde blankes Eis. Etwa 150 Stufen waren erforderlich, bis wir nach rechts aufwärts traversierend die steilen Eishalden passiert hatten und über weniger geneigte Firnhänge zum Sattel emporstiegen, der die Althausschneide mit der Dreiherrenspitze verbindet. Damit .war die gewöhnliche Anstiegsroute — von der Clara- und Lenkjöchelhütte — erreicht und trotz des eingefallenen Nebels, bald die Spitze gewonnen (12 Uhr). Kälte und Wind zwangen uns zu deren sofortigem Verlassen; der Abstieg erfolgte
zur Clarahütte. Erwähnt mag werden, dass von den Prettauer Führern der Anstieg vom Làhnerkees und der gleiche Abstieg als unausführbar bezeichnet wird, trotzdem der erstere verschiedentlich zur Ausführung gelangt sein muss. Diese Ansicht scheint einem bei den Prettauer und zum Theil auch bei den Prägrattner Führern mehrfach bemerkten Mangel an Unternehmungslust und Initiative zu entstammen, da die wirklich angetroffenen Schwierigkeiten sie nicht rechtfertigen. Interessanter ist unser Weg auf jeden Fall, als der von der Lenk-
jöchelhütte aus gewöhnlich benützte, wenn er auch nur geübten Bergsteigern anzurathen ist. Wenn ich zum Schlüsse noch die mir längst von mancher Bergfahrt her bekannte seltene Führerbegabung des Alois Tipotsch, besonders erwähne, so erfülle ich damit nur eine Pflicht
der Dankbarkeit, die ich für so manchen Erfolg und manche glückliche in den Bergen verlebte Stunde ihm in reichem Maasse schulde.
S. Weimar. Ernst Schaller.
•) Was auf der Karte des Ä. V. nicht ersichtlich ist
**) Hier hatte meiner Vermuthung nach Harpprecht den ersten Anstieg von dieser Seite forciert.

Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1893, Seite 8;
Begangen anläßlich der 3. Begehung
Quelle: Mitteilungen des des DÖAV 1902, Seite 267;
Datum erste Besteigung:
02.09.1892
Gipfel:
Dreiherrnspitze (Picco dei Tre Signori)
Erste(r) Besteiger(in):
Schaller Emil
Tipotsch Alois