Nordwand - "Battertriß"

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Routen Details:
Tannheimer-Gruppe.
Gehrenspitze (2164 m), 1. Begehung des Nordwandrisses (Battertriß) durch Walter Stößer (Ludwig Hall, Offenburg, und Friedrich Schütt, Pforzheim). am 3. August 1928.
Der Aufstieg durch den Battertriß ist vorgezeichnet durch die Verwerfungsspalte, die die ganze Nordwand durchzieht.
Vom Einstieg zur Maislroute schräg 1. zum Riß. In ihm etwa 12 m hoch, dann r. ausweichend zu kleinem Stand. Von hier etwas absteigend nach 1. queren unter den Überhang (Nische, Haken). Über ihn mit Schulterstand. Erst im Riß, dann über die 1. Wand etwa 5 m zu kleinem Stand. (Haken.) Im Riß weiter etwa 25 m, bis ein Quergang nach r. möglich ist in einen weiten Kamin (am Kaminanfang große Grasbüschel). Durch den Kamin zu Stand. (Haken). Im Riß 1. weiter zum Ausstieg in die Nordschlucht. (Haken). Rißhöhe etwa 80 m. Zeit etwa 4 Stunden. Ungewöhnlich schwierig)
Der weitere Aufstieg vollzieht sich durch die Nordschlucht. Durch die Schlucht zu einem engen, glatten Kamin. Durch ihn zu einem kleinen Geröllk essel. Der folgende Schluchtabsatz wird folgendermaßen erklettert: Die Steilrinne querend in den Riß in der linken Begrenzungswand der Schlucht. Durch ihn in eine Scharte. Über ein kleines Wandel 5 m hoch zu Stand. Halbrechts durch eine enge Rinne in die Schlucht absteigend zurück. In ihr weiter, durch ein mächtiges Felsentor, zu einer großen Höhle. Über die rechte Begrenzungswand halbrechts ansteigend zu leichten Schrofen und zum Gipfel.


Gehrenspitze-Nordwandriß.
Von Friedrich Schutt, Mannheim.
Gehrenspitze? wird sich der Nichtkenner dieses Gebietes beim Lesen dieses Namens fragen. Ist das nicht der Mugel, der, als wir im Sommer über Kempten - Reutte - Garmisch-Partenkirchen bergwärts fuhren, so bescheiden auf den Talgrund des Loch herniederschaut? Dort soll der Felsgeher auf seine Rechnung kommen? Unmöglich! So sagte auch ich, als mir mein Bergfreund Walter Stössser den Vorschlag machte, unsere sommerlichen Bergfahrten dort zu beginnen. Aber mein Widerspruch war bald im Keim erstickt, zünftige Bilder vom Gimpel, Rote Flüh und Kellespitze, die er von einer Frühlingswoche von dort droben heimbrachte, ließen mich bald den Satz formen: „Das ist ja der reinste Wilde Kaiser!" „Na, so ist es just nicht; ein "Kirchl" oder eine "Fleischbank'"kannst du dort nicht machen, aber es lohnt sich, daß man sich dort acht Tage einnistet." „Also abgemacht, im Sommer werden wir dort anfangen."
Unfreundlich brodelten die Wolken über dem Tal, als wir drei — der Dritte im Bunde war Ludwig Hall — am letzten Julisonntag 1928 in Ullrichsbrück (Tirol) die harten Bänke des Zugabteils mit dem holperigen Karrenweg, der über Musau zur Achsel hinaufführt, vertauschten. Sehen konnten wir allerdings noch nichts von diesem Kleinod, das man „Tannheimer Berge" nennt; dafür aber waren wir schön naß, als wir im Raintal über die Schwelle der Musaueralm traten. Doch das war bald vergessen, denn drei Teller gehäuft mit Schmarrn nebst Preiselbeeren harrten bald auf einem der derben Tische auf ihre Bezwinger, was uns schon den ersten Schweiß aus den Poren trieb! Warm lachte die Sonne am anderen Morgen und beleuchtete die Gipfel dieses Bergzuges, die mit ihren Nordwänden alle Achtung heischend aus den Karen schössen. Die Sehnsucht nach den Höhen ergriff uns, packte uns mit unwiderstehlichem Drang und ließ uns gleich zur Tat schreiten. Die Gehrenspitze sollte den Auftakt bilden. Der „Maiselanstieg", der durch die Nordwand zieht, wurde dazu auserkoren, und nach einer guten Stunde standen wir am Fuße des Berges. Brüchiges Gestein mit einigen sehr schwierigen Stellen ließ uns zu einem luftigen Quergang — der schwierigsten Stelle dieses Anstieges — gelangen. Derselbe vermittelte den Einstieg zu einem gipfelwärts führenden Kamin, durch den wir bald droben, in die fesselnde Runde blickten. Friedlich ließen sich drüben einige harmlose Wölkchen über den Wettersteinkamm tragen, um irgendwo im Blau des Firmaments sich aufzulösen. Über eine Stunde träumten wir noch auf dem 2164 m hohen Gipfel, dann stolperten wir über die Westhänge zur Sabachalm hinunter, zu unserem Standquartier.
Wieder war ein Tag dahingeeilt, der Gimpel war diesmal unser Ziel gewesen, als wir dem Schmarrn der Musaueralm zueilten. Da trafen wir des Wirtes liebe Tochter vor der Tür. „Na, wo kommt's her?" — „Gimpelturm—Blankkamin—Gimpel, Abstieg über den Mutigen Johann", klang es ihr entgegen. „Was? Den Gimpelturm über die böse Kante? Da habt ihr ja die vierte Begehung!" Eugenies Junge wurde gesprächig. Sie erzählte von schönen Fahrten in ihren Heimatbergen, schwärmte von den Schrofen und Zinnen, die ins Raintal herabschauten, dann verstummte sie plötzlich. Wir schauten sie an, folgten ihrem an der Nordwand der Gehrenspitze haftenden Blick. Und leise, als gelte es, ein Geheimnis zu lüften, flüsterte sie uns zu, die wir vorgeneigten Kopfes lauschten: „Seht ihr den dünnen, fadenscheinigen Riß, der drüben schief nach links zur Nordwandschlucht hinaufzieht?" Drei Augenpaare wurden aufgerissen. „Einige der Besten, die in unseren Tannheimern schon manchen neuen Weg auf ihre Höhen bahnten, sind dort schon angerannt und abgeblitzt. Ja, den Münchner Toni Leis, der oft so tatenfroh hier eingezogen, den hat der Berg dort für immer behalten." Von einer Hand in die andere wanderte das Fernrohr, das wir herbeigeholt hatten, und jeder stellte fest, daß die zehn Meter unter dem Schluchtbeginn die haarigsten sein mußten. Aber das wollten wir uns in der Nähe betrachten. Schweigsam verließen wir am anderen Morgen das Haus, aber Eugenies Luchsohren entging nichts, sie hatte uns schon gestellt. „Na, wo geht's denn hin?" „Zur Roten Flüh", hallte es zurück. „Übers Sabachjoch zur Roten Flüh," neckte sie herunter, „das war ein böser Umweg!" Und verschwand mit spitzbübischem Lächeln im Türrahmen.
Je näher wir dem lockenden Berg kamen, desto länger forschten unsere Augen am Wandstück, das der Riß durchzog. Eine auffallende Verwerfungslinie führte uns zu feinem Beginn. Glatt, kaum von einer Ritze durchfurcht, schaute der untere Teil auf uns herab. Das wird harte Arbeit geben! Freund Ludwig, der gleich anpackte, ließ sich zu weit nach links hinausdrängen und klebte bald in einer Sackgasse. Zurück! Im Riß selbst und im rechten Wandteil wollte dann jeder Zentimeter wirklich genommen sein. Steine, vom Vordermann losgemacht, ließen die große Brüchigkeit der Wand erkennen. So kostete es immerhin 1 1/2 Stunden, bis wir alle drei auf einem schiefen, ungemütlichen Sicherungsplatz (Höhle) wieder vereinigt waren. Jetzt hatten wir die untere Schlüsselstelle, die Toni Leis zum Schicksal geworden, vor uns. Es ist ein wüst aussehender, 5 m hoher Überhang. Mit einem gut durchdachten Seilmanöver begannen wir. Ein Quergang von 4 m nach links in die Ausbuchtung unter dem Überhang war das nächste Stück. Ein zweiter Sicherungshaken summte dort ins Gestein, und Ludwig, der durch seine hier vorteilhafte Größe Berufenste, stieg auf Walters Schulter. Nochmals sollte dort, an der kitzlichsten Stelle, eine Sicherung angebracht werden, aber alle Mühe war ergebnislos. Nach kurzer Pause ließ er, doppelt gesichert, nochmals den Fels das Eisen spüren, nachdem er glücklich eine Stelle gefunden, wo der Fichtelhaken (wenn auch nur moralisch) etwas hielt. Die Hand suchte einen Gr:ff, ein nasses, dreckiges Loch. Schwer keuchend, mit Hingabe aller Kräfte, meisterte er endlich dieses Bollwerk.
Wieder ermöglichte dort ein kleiner Stand unser Nachkommen. Von hier ab war der Riß mit einer dichten Grasnarbe gepolstert, die trügerischen Halt bieten mußte, bis uns wieder im linken Teil des Risses ein kleines Podest als Ruhepunkt sich darbot. Abermals stemmte sich dort eine überhangende Stelle entgegen, die dem Ersten plötzlich Halt gebot. Auf die Frage, was los fei, kam die Antwort herab: „Ein wackeliger Pfeiler steht im Weg, Überkletterung unmöglich!" Eine Seilschlinge wurde dem Kerl um die Stirn gelegt, aber Walters Kräfte reichten nicht aus, um ihn aus dem Weg zu räumen. Seine Umgehung blieb die letzte Möglichkeit, und mit großer Spannung verfolgten wir, außer der Gefahrzone stehend, das raffinierte Vorbeischlüpfen des Ersten. Eine Weile später ließen wir durch einen leichten Fußtritt diesen kleinen Felsturm draußen im Leeren verschwinden. Mit angehaltenem Atem horchten wir auf das scharfe Pfeifen seines Fluges, bis wir nach mehreren Sekunden diese mehrere Zentner schwere Masse 200 m tiefer im Kar zerschellen. sahen. Jetzt erst bemerkten wir, daß drunten auf der Musaueralm ein Haufen Menschen unser Tun verfolgte. Etwas leichter kamen wir noch etwa 15 m höher, dann war uns für heute ein Ziel gesetzt. 8 m waren wir noch vom Schluchtgrund getrennt, aber dieses Stück, wo sich der Riß fast in der Wand verliert, verlangte nochmals das ganze Können. Zwei Versuche scheiterten, da unsere Kräfte bei dem schon achtstündigen Kampf zu erlahmen drohten. Weil schon die Nacht nahte, beschlossen wir den Rückzug. Mit zweimal 35 m seilten wir uns an der schwierigen Wand ab, die uns heute in allen Fasern in ihrem Bann hielt. Wieder standen wir am Einstieg und schauten hinauf zum Überhang, an dem wir unsere Seile hängen ließen, um für den nächsten Angriff auf die Stirnwand die Kräfte zu sparen. Dann stolperten wir zur Alm von Musau hinunter, wo unser halber Sieg mit noch größeren Schmarrnportionen belohnt wurde, die wir mit einigen gestifteten Litern Buttermilch begossen.
Beim Wachen und Träumen waren unsere Gedanken im Riß droben; kein Wunder, daß es uns trotz zweifelhaften Wetters am nächsten Tag wieder hinauftrieb. Doch starker Regen kühlte bald unfseren Mut ab, so daß wir tropfnaß „heim" zur Alm schlichen. Träge verrann uns die Zeit, die zur Ewigkeit zu werden scheint, wenn Spannung und Sehnen gefangenhält.
Am 3. August traten wir nochmals den schweren Gang an. Nur zwei gute Stunden benötigten wir diesmal bis zum Sicherungsplatz unter der Schlußwand, denn flott ging's im gesäuberten Riß hinauf. In dem Mannloch, 3 m über dem Stand, wurde ebenfalls ein Mauerhaken eingetrieben, um bei einem Sturz das Pendelstück zu verkürzen. Mit doppelter Sicherung tastete sich dann Walter hinaus, jede Bewegung von zwei Freundesaugen und Händen bewacht. Er schob sich höher. Eine unheimliche Stille war über uns. Nur dem Gefährten, der dort winzige Leisten als Halt- und Ruhepunkte suchte, dem klopfte das Herz bis zum Halse. Immer noch lief das Seil mit gleicher Langsamkeit durch die haltbereiten Finger: zwei Meter! ein Meter! Jetzt entschwand er unseren Blicken, aber schneller lief das Seil durch unsere Hände. Plötzlich ein schwacher Jauchzer droben aus trockener Kehle — gewonnen! Nochmals ließ dieser Wandgürtel unseren Atem stocken, bis wir am Fuße der Schlucht vereint standen und gemeinsam unseren Sieg zu Tal jodelten. Fast wäre es zu früh gewesen, denn die Schlucht glaubte mit einer überhangenden Gürtelmauer in ihrem Mittelstück, deren überlistung uns nochmals aufregende Minuten kostete, uns nochmals den Erfolg streitig machen zu können. Mit einem Wunder endete schließlich unsere Entdeckungsfahrt, das uns staunen machte, denn eine mächtige, tief in den Berg hineinführende Höhle nahm uns auf, um uns kurze Zeit später ans Ziel, zum Gipfelkreuz, gelangen zu lassen, wo wir unserem „Battertriß", so getauft nach unserer kleinen Gilde und deren Klettergarten hoch über dem Weltbad Baden-Baden im Schwarzwald, siegesfroh jubelnd, seinen neuen Namen zuriefen.
Quelle: Mitteilungend es DÖAV 1934, Seite 135-136


Datum erste Besteigung:
03.08.1928
Gipfel:
Gehrenspitze (Tannheimer Berge)
Erste(r) Besteiger(in):
Hall Ludwig
Schütt Friedrich
Stösser Walter