Nordschlucht

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Routen Details:
Gsell 2754 m, Dreischusterspitze 3160 m.
Am 21. Juli verliess ich Sexten 3 Uhr 15 und ging, dem Almwege folgend, zur Gsellwiese. (Rast von 3 Uhr 45—55.) Von dem Ende des Weges stieg ich in einem seichten Graben zum Geröll hinan (4 Uhr 30 — 5 Uhr). Eine hart gefrorene Schneehalde, welche in ein steiles Couloir hinanzieht, zwang mich, die Steigeisen anzulegen. Kurze Zeit nachher gelangte Ich In das Couloir, in welchem Ich nun anstieg. An einer Teilung Rast von 5 Uhr 40 bis 5 Uhr 55. Der rechte Ast des Couloirs brachte mich 6 Uhr 15 an den Fuss einer Felszunge (äusserst brüchiges Gestein), welche ich kurze Zeit verfolgte, um dann links auf den Schnee überzugehen. Nun erreichte ich bald ein Schartl zwischen zwei Thürmen, durch, welches ich mich durchzwängte; jenseits führte ein kleiner Kamin abwärts und links traversirend gelangte ich in ein zweites Schartl. Den Gratthurm links erkletterte ich durch einen engen, überhängenden und äusserst schwierigen Kamin (7 Uhr 45 bis 8 Uhr 20). Den Abstieg vom Schartl nahm ich auf der Fischleinseite und traversirte ein Stück unterhalb des Grates. Ein naheliegender Gratthurm machte mir den Eindruck des Hauptgipfels, und ich erkletterte ihn unter ziemlich bedeutenden Schwierigkelten. Am Gipfel skizzirte ich einige Spitzen und hielt mich daher von 9 Uhr 30 bis 10 Uhr 30 auf. In einem kleinen, rasch aufgerichteten Steinmannl hinterliess ich meine Karte. Von diesem Gratzacken stieg ich auf die Innerfeldseite ca. 80 m ab und traversirte in der Richtung des Schuster. Eine Reihe von Steinfallrinnen, welche mit Eis erfüllt sind, verursachte viel Zeitverlust, da ich, um eine Stufe herzustellen, vorerst den Neuschnee, der das beinharte Eis überlagerte, wegräumen musste. Nun endlich glaubte ich unter dem höchsten Gipfel zu stehen und stieg links scharf an. Auf einem unter dem Gipfel gelegenen Plateau hielt ich eine Rast von 11 Uhr 30 bis 11 Uhr 45. Eine kurze Kletterei brachte mich in ein Schartl zwischen zwei nadelartigen Thürmen. An der jenseitigen Flanke hatte Ich nun abermals abzusteigen und zwar unter grossen Schwierigkeiten. Ungefähr 15 Schritte musste ich mich unter überhängendem Gestein durchwinden und die Füsse hatten dabei kaum einen anderen Halt, als den in arger Neigung hinunterschiessenden Schnee, welcher das glasige Eis trügerisch verkleidete. Endlich gelangte ich an eine Theilung des Couloirs und verfolgte den rechts ansteigenden Ast desselben, so gelangte ich auf eine Gratscharte, welche mit einer zierlichen Schneewächte gekrönt war. Mit ein paar Pickelhieben war der überhängende Theil entfernt und ich konnte das niedliche Ding rittlings ohne weitere Gefahr passiren. Ein kaminartiges Couloir brachte mich ohne weitere Schwierigkeiten auf den Grat, von welchem aus der höchste Gipfel des Gsell 2754 m in wenigen Schritten erreicht war. (1 Uhr) Es ist dies die erste Besteigung dieses schönen Gipfels, da Ich von dem sehr verehrten Herrn Postmeister Stemberger nur von einer früheren Besteigung erfuhr, bei welcher der Besteiger, ein alter Gemsjäger, eine Fahne aufgepflanzt haben soll. Ich sah vom Grat aus auf dem nördlichsten Zacken, der jedoch 150 — 200 m niedriger ist als der Gipfel, ein Steinmannl nebst Flaggenstock; dieser Zacken scheint von Sexten aus der höchste Punkt zu sein. Auch der Führer Veit Innerkofler in Sexten — der nebenbei bemerkt, Jedermann bestens empfohlen werden kann und schon wiederholt nicht nur auf den Elfer, Rothwand, Zwölfer, Schuster etc., sondern auch auf die Kleine Zinne geführt hat — bestätigte mir, dass weder Einhelmische, noch Fremde diesen Gipfel betreten haben. Von einer etwaigen früheren Anwesenheit von Menschen fand ich nicht die geringsten Spuren vor. Der Rundblick vom Gsell ist ein sehr schöner, namentlich repräsentiren sich die gegenüberliegende Rothwand (nur 34 m höher), ferner Elfer, Zwölfer, Schuster, Haunold etc. sehr schön und ausserdem bietet der Gsellgrat selbst mit seinen feinen, oft gekrümmten Felsnadeln ein sehr interessantes Bild. Nun aber hatte Ich, um die mir gestellte Aufgabe, den Übergang vom Gsell zum Schuster, zu lösen, noch ein bedeutendes Stück Arbelt zu thun. 1 Uhr 35 verliess ich den Gipfel, nachdem ich meinen Zettel mit Namen, Daten etc. in einem kleinen, nothdürftig aufgeschichteten Steinmannl deponirt hatte. Beim Aufschichten des Steinmannls zerquetschte ich mir den Nagel des rechten Zeigefingers derart, dass ich von nun an nur noch vier Finger an der rechten Hand verwenden konnte —, ein recht unangenehmer Zwischenfall. Von der kleinen Wächte stieg ich auf der Fischlelnseite durch ein steiles Couloir ab. (60 Eisstufen.) Bei einem rechts einmündenden, ansteigenden Ast des Couloirs folgte ich diesem auf einem Sattel (2 Uhr 35), welcher mit Schnee überlagert war. Ein bequemes Traversiren, ca. 30 Schritte weit, brachte mich auf einen dem ersten ähnlichen Schneehang. Die Richtung gegen den Schuster behielt ich nun traversirend längere Zeit bei und stieg dann kurz vor der, den Gsell mit dem Schuster verbindenden Gratstrecke, abermals ca. 30 m (60 Stufen) an der Fischleinseite ab. Nun führten begrünte Bänder bequem auf den Verbindungsgrat und in die letzte Schalte zwischen Schuster und Gsell. (3 Uhr). Hier hielt ich eine längere Rast bis 3 U 25 und deponirte unter einem Überhang meinen Rucksack. Ein schwach aus geprägtes Gemssteiglein führte mich in westlicher Richtung quer über ein Couloir und weiter an die Mündung einer riesigen, schneeerfüllten Klamm. Eine mächtige Steinfallrinne schien die Durchsteigung derselben gefährlich zu machen, doch sah ich später, dass gegenwärtig nicht das geringste Bedenken zur Begehung derselben vorliege. Das Couloir theilt sich und der linke Ast schien mir zum Gipfel zu führen und ihn verfolgte ich. Vor einem Abbruche der Rinne ging ich links heraus und gelangte über ein Schneefeld nach rechts wieder in dieselbe zurück. Ich ging nun direct auf den Zacken der Gipfelkrone los, welcher mir am höchsten schien. Von rechts nach links war dieser nicht schwer zu erklettern und der Anblick dreier grosser Steinmannln überzeugte mich sofort, dass ich den Gipfel des Schuster auf diesem neuen Wege erreicht hatte. (6 Uhr 15.)
Eine Kartenflasche fand ich trotz eifrigen Suchens nicht und errichtete neben dem höchsten Steinmannl ein kleines, in welchem ich meinen Zettel mit den Daten zurückliess. Ausserdem nahm ich den Stock, welcher im höchsten Steinmannl stak, für meines in Anspruch, um auf die darin befindliche Karte aufmerksam zu machen. 6 Uhr 40 verliess ich den Gipfel und kletterte so gerade als möglich in das grosse Couloir hinab. Die Steinfallrinne, deren mächtige Wandungen mit weichem Neuschnee ausgekleidet waren, benützte ich als willkommene Abfahrbahn und erreichte bald das untere Ende des Couloirs und 8 Uhr 50 die Scharte. Ohne mich aufzuhalten, nahm ich meinen Rucksack auf und fuhr bei klarem Mondschein die riesige Schneehalde gegen das »Sternalpel« (Innerfeldthal) hinab, 9 Uhr 3 erreichte ich das Ende der Schneefelder und hielt nun eine längere Rast bis 9 Uhr 35. Nun zündete ich meine Latarne an und erreichte 10 Uhr Abends einen guten Bivouakplatz. Morgens 5 Uhr 30 brach ich auf und kam 7 Uhr 45 in Sexten an.
Wien. Robert Schmitt.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1888, Seite 191
Datum erste Besteigung:
1888
Gipfel:
Gsellknoten Nördlicher (Cima di Sesto Nord)
Erste(r) Besteiger(in):
Schmitt Robert Hans