Nordwestflanke

(Bearbeiten)
Routen Details:
Erste Ersteigung über die Firnflanke aus dem Sonntagskar und Übergang zur Wollbachspitze

Jeder von uns dreien übernahm die überaus wichtige Aufgabe des Weckens, doch keiner wollte morgens davon wissen. Schließlich verlangte auch der Körper sein Recht. Etwas später als sonst kamen wir daher fort. Der besondere Plan für heute mußte erst beraten werden. Irgendein Verg im Talhintergrunde, das lag einmal fest. Da erinnerten wir uns, daß der Wirt vom Stilluperhause gar viel vom Sonntagskare schwärmte und daß von dort die Stangenspihe am schönsten zu erreichen sein müßte. Nur „ein wenig steil" sei das Ganze. „Firnflanke", wußten wir außerdem — vieleicht finden wir Eis? In uns lag nach längerer Zeit des Kletterns eine unbändige Lust, mit dem Eise Bekanntschaft zu machen. Dazu bietet doch der Hintergrund des „Stillups" reichliche Gelegenheit und darum verlegten wir jetzt unseren Standort weiter talein auf die Taxachalpe.
Wir tappten das Steiglein am diesseitigen Ufer dahin, stolperten viel, denn die „gemächlichen" Fahrten der vorangegangenen Zeit erinnerten uns immer noch an die berüchtigten Talstufen. Nicht ein Wort sprachen wir über die kommende Bergfahrt, wie dies auch sonst nie unsere Art ist, doch hie und da zwingt die eine oder andere doch zum Äußern des Ungewissen. Gegen drei Viertelstunden waren schon vergangen, als wir bei jenem Punkte waren, von dem nach der Karte ein Weg ins Sonntagskar führt, aber die wilden, bufchigen Grashänge hindurch stiegen wir empor und erst nach langer Zeit erreichten wir ziemlich oben einen kaum kenntlichen Steig, den wir in der Folge zwar noch einige Male verloren, doch mit dessen Hilfe wir bedeutend müheloser, kräftesparend ins Kar gelangten. Eben zog die Grenze des Schattens immer näher an uns heran, da sahen wir das erstemal hinauf nach der vorgesehenen Flanke. Die Sonne strahlte von drüben auf die Kammlinie, umspielte die wilden Cisbrüche, die unseren ganzen Weg bedrohen sollten, herrliches Glitzern, fast das triefende Wasser sehen wir im Sonnenlichte! — Wie schön müßte es da oben zu sonnen fein. Und hier friert uns im Schatten ganz erbärmlich. Immer und immer wieder zieht es unsere Blicke hinauf. Dieses wundervolle Spiel des goldenen Lichts ist einer meiner schönsten Eindrücke! — Plötzlich ein Krach — mit greulichem Poltern stürzen die geborstenen Türme wild fallend zum tiefen Gletscherboden. Ein drohendes Donnergrollen bringt den Körper zum leisen Erzittern. Wie angewurzelt blieben wir an unserem Standort, und harrten dem leisen Verrieseln der Trümmer. Doch hier in dieser Linie durften wir auf keinen Fall bleiben! Nach links hinüber — und nach einigen unangenehmen Spaltenübergängen waren wir in der unmittelbaren Anstiegslinie, wo ein freier hang zur Scharte führt. Gott sei Dank! Denn abermals gab es ein Gepolter. Beim Anstieg über den Firnhang waren wir bereits im Strahlenkegel der hochstehenden Sonne. Der Schnee ballte sich zwischen den Jacken der Eisen, so daß wir unsicher jeden Schritt erringen mußten. Schritt für Schritt ein ständiges Vedachtnehmen auf jede Möglichkeit! Fest stapfte ich die Steigeisen in den erweichten Firn. Endlich kam wieder bessere Unterlage. Doch sprödes, beinhartes Firneis erforderte langwieriges, ermüdendes Stufenschlagen. Viel lieber tat ich dies; konnte doch der ungestüme Körper völlig aus sich herausgehen! — Das ging eine lange Weile. Dann kam wieder das alte, jede Vorficht erheischende Vorgehen. Steil führt jetzt der hang unter uns hinab — weit unten klafft das offene Maul der Randkluft wie zur begehrenden Aufnahme. Alles dies machte jeden Schritt zur Ungeduld, weil noch kein Ende
zu sehen war. Der ballige Firn hielt an, bis hinauf in den Cisfattel ein aufregender, aufreibender Gang! Doch wie alles Irdische den Weg zum Ende geht, nahm auch das ein Ende. Im Eissattel konnten wir uns dann genügend an Ruhe entschädigen. Ein unangenehmer Wind konnte uns nicht viel anhaben.
Die Sonne brannte schon heftig — ein leiser, doch strenger Vorwurf also, daß wir viel zu spät weggegangen waren! Wären wir nur zwei Stunden früher daran gewesen, hätten wir sogar ohne bedeutende Pickelhtlfe allein mit unseren guten Eisen. den hang hinaufkommen können. Leider glaubt man von einem aufs andere Mal nicht, was man früher bereits durch böse Erfahrung gelernt. Ein Firngrat führte sodann auf eine Erhebung, in der wir vom Cissattel aus schon den Gipfel vermuteten. Doch oben wurden wir eines anderen belehrt. Vom Gipfel selbst trennte uns noch ein breiter Schuttsattel, in den vermutlich der alte Anstieg mündet, hier hatten wir allen Grund, höchst bedächtig zu gehen, da der lockere Schnee sehr die Gefahr vergrößerte, einzubrechen, und an dem grohblockigen Untergründ mit seinen tiefen Löchern war leicht die Möglichkeit irgendeines Übels gegeben. Graue Wolkenfahnen überziehen kaum merkbar den Gipfel. Der Sturm selbst ließ uns nicht auf ihm bleiben, wir muhten vielmehr ein gutes Stück unterhalb in der Stillupflanke ein Plätzchen wählen. Viereinhalb anstrengende und vielfach auch aufregende Stunden hat uns der Aufstieg gekostet. Doch jetzt wurde wieder anständig der Magen versorgt, so daß bald wieder der alte Mensch in uns war.
Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1924, Seite 240

Erste Damenbegehung Hermi Lottersberger im Alleingang am 17.9.1974;
Datum erste Besteigung:
1923
Gipfel:
Stangenspitze Hintere
Erste(r) Besteiger(in):
Aichberger L.
Magyar Ludwig
Püchler Hans