Golikow Karl
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Biografie:
Golikow Karl "Katastrophen-Karle",* Schlesien,ab 1946 bis1953 Bremen,1954 Stuttgart
+ Piz Badile,Erschöpfung nach Wettersturz
Der Schlesier Karl Golikow war vorübergehend Wahlbremer und später Stuttgarter. 1956 hatte er seine Begeistung zu den Bergen entdeckt. Viele schwere Touren in den Ost-und Westalpen sind ihm gelungen.
1960 Beg.Dachl-Roßkuppen-Nordverschneidung "Totesverschneidung",VI+,350 HM,
(Ennstaler Alpen,Gesäuse)
1960 Beg.Laliderer-Direkte Nordwand "Schmid-Krebs-Führe",VI-,900 HM,2583m, (Karwendel)
1960 Beg.Große Zinne-Nordwand (Direttissima) "Hasse-Brandler",VI+A/3,500 HM,2999m,
(Sextener Dolomiten)
1960 Beg.Rotwand-Südwestwand,2806m, (Rosengarten)
1961 Beg.Westliche Zinne Nordwand "Schweizerweg",VI/A3,2973m, (Sextener Dolomiten)
1961 Beg.Westliche Zinne-Nordwand "Franzosenweg”,VI+,2973m, (Sextener Dolomiten)
1961 Beg.Cima Su Alto-Nordwestwand "Livanosverschneidung“,VI+/A3,800 HM,2951m, (Civetta)
1964 Beg.Petit Dru-Südwestpfeiler "Bonattipfeiler",VI/A2,1100 HM,3733m, (Montblancgebiet)
1964 Beg.Triolet-Nordwand,3870m, (Montblancgebiet)
1964 Beg.Les Courtes-Nordwand,3856m, (Montblancgebiet)
1965 Beg.Grand Capucin-Ostwand "Bonatti-Führe",VI/A2,500 HM,3838m, (Montblancgebiet)
1965 Beg.Punta Civetta-Nordwestwand "Quota IGM",2892m, (Civetta,Dolomiten)
1965 Beg.Civetta-Punta Tissi-Nordwestwand "Philipp-Flamm",VI/A1,1130 KM,2992m, (Civettagruppe)
1965 Beg.Marmolata Punta Penia-Südwestwand,VI+,3343m, (Dolomiten)
1965 Beg.Marmolata-Punta Penia-Südpfeiler,VI,3343m, (Dolomiten)
1966 1.Beg.Eiger-Nordwand-John Harlin Gedächtnis-Route (Direttissima),3970m, (Berner Alpen)
1967 1.Beg.Schwarze Wand,VI,2962m, (Höllental,Wetterstein)
1967 Teiln.Schorndorfer Hindukusch-Expedition
1968 Teilnehmer Nanga Parbat-Expedition, (Himalaya,Pakistan)
1967 1.Best.Langusta-i-Barft-Südgipfels,7017 m, (Hindukusch)
1968 Beg.Vers.Droites-Nordwand "Cornuau-Davaille-Führe",V/A1, Eis 70°,1100 HM,4000m,
(Montblancgebiet)
1972 Beg.Monte Agner-Nordwand "Jori",V+,1500 HM,2871m, (Pala,Dolomiten)
1972 Beg.Sass Maor-Direkte Ostwand,2814m, (Pala,Dolomiten)
1972 Beg.Punta Civetta-Nordwestwand "Aste-Susatti",VI/A1,770 HM,2892m, (Civetta,Dolomiten)
Beg.Dru-Westwand,3754m, (Montblancgebiet)
Beg.Monte Pelmo-Nordwand,3168m, (Dolomiten)
Gerd Schauer. Isny im Allgäu
Seit Jahren schätzte ich Karl Golikow als hervorragenden Bergsteiger und sympathischen Kamerad, der in seinem unverwüstlichen Humor stets zu Späßen aufgelegt war und sich allseitiger Beliebtheit erfreute. Doch Karl konnte auch nachdenklich sein und setzte sich mit mancherlei ernsten Problemen auseinander. 1969 wurde er Zeuge vom Tod Jörg Lehnes am Walkerpfeiler, wobei er selbst nur mit viel Glück überlebte. Monate Krankenhausaufenthaltes und schleppender Genesung schlossen sich für ihn an. Ein paar Tage vor Beginn des Sommerurlaubs 1972 hatten wir Karl in engem Freundeskreis samt dem Mädchen, mit dem er sich kurz vor seinem Tod noch verlobte, einen ausgedehnten Abend lang zu Gast. Es waren unsere letzten gemeinsamen Stunden.
Der Sommer 1972 wird als einer mit den schlechtesten Wetterverhältnissen wie auch als einer mit besonders zahlreichen katastrophalen Bergunfällen in die Geschichte des Alpinismus eingehen. In der Nacht vom 3. zum 4. September kam Karl Golikow in den Steilabstürzen der Badile ums Leben. Rund 24 Stunden hatte er seinen Stuttgarter Seilgefährten Otto Uhl überlebt.
Eine Wochenendtour sollte es werden, als die beiden an einem Morgen Anfang September in die Badile-Nordostwand einstiegen. Die Wettermeldungen hatten für die Alpensüdseite und Engadin wohl bewölktes, aber nicht schlechtes Wetter verhießen. In bester Form, erwarteten Golikow und Uhl von der vielbegangenen berühmtesten Bergellwand weniger Schwierigkeit als um so mehr Kletterfreude. Der Sommerurlaub hatte ihnen die recht anspruchsvolle Direkte Ostwand vom Sass Maor sowie die Jori-Führe durch die Agner-Nordwand gebracht. Außerdem lag hinter Karl und seinem lang-jährigen vertrautesten Freund Walter Knödler eine 7-Stunden-Begehung der Aste-Susatti-Route an der Punta Civetta. In aller Frühe waren sie von ihrem Pala-Zeltplatz im Canalital mit dem Auto aufgebrochen, rechtzeitig zum Abendessen kamen sie wieder zurück.
Samstag, 2. September. Der Morgen in der Badile-Wand zeigt sich, wie erwartet, von seiner besten Seite. Kleine vom Süden heraufziehende Wolkenfetzen lösen sich rasch wieder auf. Die Wand ist zwar naß von all den Schlechtwettertagen vorher, doch das empfinden die beiden erstklassigen Felsgeher kaum als ernstes Hindernis. Dann schon eher die fehlende Wegbeschreibung, denn so leicht scheint selbst der Durchstieg einer solchen „Modetour" nicht zu finden zu sein, gleich wenn man in groben Zügen Bescheid weiß.
Ein Verhauer kostet Zeit. Unversehens tauchen zwei andere Bergsteiger von unten her auf. Es sind Siegfried Hupfauer, einer der Freunde von der winterlichen Eiger-Direkten 1966, und Alois Ritter, beide aus der Gegend um Ulm. Ihr Erscheinen wischt die Zweifel um den Routenverlauf hinweg. Nach freudiger Begrüßung steigen beide Seilschaften weiter.
Die hinzugestoßenen Kameraden sind bestens ausgerüstet, ihre relativ großen Rucksäcke enthalten Schnitzel und Wurstsemmeln, Angora-Ersatzunterwäsche, Überzieh-zeug und eine Daunenjacke, anderes mehr. Luxuriös gegenüber dem eher spartanisch kleinen Rucksäckchen von Karl Golikow und Otto Uhl, in dem neben einigem wenigen Proviant nicht viel mehr als ein Biwaksack und eine Astronauten-Rettungsdecke Platz gefunden haben. Aber so rechneten sie, schneller zu sein, und schließlich hat der Wetterbericht annehmbares Wetter gemeldet. Hier begegnen sich zwei gegensätzliche Auffassungen, zwei grundverschiedene Stile alpinistischen Vorgehens. Beide können Plus- wie auch Minuspunkte für sich buchen. Unter Normalbedingungen, was durchaus nicht „nur bei strahlend schönem Wetter" heißt, pflegt der Golikow-Uhlsche Stil der erfolgreichere zu sein. Schneller auf jeden Fall; auch das bedeutet häufig zusätzliche Sicherheit. Mit einiger Härte lassen sich gewöhnlich selbst unplanmäßige Belastungen überstehen. Der Hupfauer-Ritter-Stil verlangt demgegenüber ungleich mehr Kraftaufwand und Zeit, was zweifellos auch nicht ganz risikolos ist. Er verspricht überdies weniger Eleganz, gleichzeitig vergällt er oft die Freude am (auf die Art eben nicht mehr) leichtbeschwingten Steigen. Erst beim Biwakieren, vor allem im äußersten Notfall, wenn es ums nackte Leben geht, dann, und eben nur dann zahlt sich der schwerfälligere Stil aus und ist überlegen. Zahlreiche gute, durchaus nicht unerfahrene Leute entscheiden sich immer wieder gegen ihn. Und fast durchwegs gibt ihnen der glänzendere Erfolg recht.
Samstag mittag an der Badile. Unbemerkt hat sich der Himmel zugezogen und sieht plötzlich bedrohlich aus. Ein Hagelschauer zieht zwar schnell vorüber, aber gegen 14 Uhr setzt dichter Schneefall ein. Im Nu verwandeln sich die Risse und Kamine in Wasserfälle. Ehe die Gefährten es richtig begriffen haben, sind sie durchnäßt und beginnen zu frieren. Sie befinden sich zu der Zeit nahe dem zweiten Cassin-Biwak, Empfiehlt es sich, zurückzuseilen? Von hier oben scheint ihnen das aber weniger ratsam als der bedeutend kürzere Durchstieg zum Gipfel mit seiner Schutz versprechenden Biwak-schachtel. Dort wissen sie obendrein Kameraden, die heute über die Nordkante aufge-stiegen sind. Also hinauf! Wird das Unwetter nur kurz währen, oder regnet bzw. schneit sich's ein? Sollte man sich bei dem Inferno vielleicht lieber doch abwartend unter den Zeltsack setzen? Damit wäre ein Biwak gewiß. In so nassem Zustand? Kann beschleunigtes Weiterklettern heute überhaupt noch den Gipfel bringen? Bekannte Fragen, vor die wir uns in den Bergen immer wieder gestellt sehen. Meist bleibt ungewiß, was das Bessere ist, mal das eine und dann wieder genau das Gegenteil. Die Freunde entschließen sich fürs Weitergehen. Wenig später hängen sich beide Seilschaften aneinander. Karl steigt voraus.
Anfangs haftet noch tauender Schnee am Granit, bald wird es Eis. Auch die Seile vereisen. Linkerhand, vom Ausstiegstrichter her, sprühen Wasserfälle herab, schließlich sind es Schneerutsche und Lawinen. Steinsalven pfeifen und heulen in die Tiefe. Der Original-Routenverlauf nach links mutet ungangbar an. Lieber im Kamincouloir gerade weiter zum Nordgrat! So hoffen sie den Weg zum Gipfel abkürzen zu können.
Drei Seillängen unter dem Grat ist der Tag zu Ende. Golikow kämpft sich bei ein-brechender Dunkelheit und unvermindertem Schneetreiben unter großen Schwierigkeiten eine Seillänge weiter. Der völlig durchfrorene, unterkühlte Uhl möchte in der Finsternis noch zu Karl aufschließen. Über den Fels hat sich eine Eisglasur gebreitet. Uhl versucht zu prusiken. Anfangs hören die beiden unter ihm noch sein Rufen, wodurch er sich mit Karl verständigen will. Aber der Sturm läßt keine Verständigung zu. In dichter Folge rauschen Schneerutsche herab. Hupfauer und Ritter haben sich trockene Sachen untergezogen und ihre Biwaksäcke übergestülpt.
Etwa zweieinhalb Stunden später, es ist 23 Uhr, trifft Hupfauer unversehens ein starker Schlag. Für Augenblicke verliert er die Besinnung. Als er wieder zu sich kommt, hört er den drei Meter entfernt biwakierenden Ritter rufen: „Sigi, was ist los, bist Du
gestürzt?" — Nein, er nicht. Aber der längst eine Seillänge weiter oben gewähnte Otto ist herabgefallen gekommen. Jetzt stellen die Freunde fest, daß Uhl kaum allzuweit über sie hinaufgekommen sein kann. Karl war offenbar der Meinung, sie biwakierten hier unten zu dritt, denn er hat Ottos Sicherungsseil gar nicht mehr eingeholt. Eilends ziehen sie den Gestürzten heran zu ihrem Stand. In steifgefrorener Kleidung steckend, zeigt er nur noch schwaches Leben. Alsbald (23.45 Uhr) ist er tot.
Am Sonntagmorgen, 3. September, klettern Rittern und Hupfauer hinauf zu Karl Golikow. In einem Felsloch steckend, halbwegs mit Schnee bedeckt, hat er die Nacht
schlecht und recht überstanden, fürchtet jedoch, seine Füße erfroren zu haben. Die Biwaksachen befanden sich ja im Rucksack bei Uhl. Den Rucksack bringen sie ihm mit, aber auch die Nachricht vom Tod des Freundes. Karl ist zutiefst niedergeschlagen. Die folgenden Stunden bringen zur steigenden Erschöpfung den zunehmenden Verfall seines Lebenswillens.
Nach wie vor stürmt und schneit es ohne Unterlaß. Ritter führt die nächsten zwei Seillängen, die zur Nordkante leiten. Verbissen treibt er Haken in den vereisten Fels,
wieder und wieder. Zwischendurch gleitet er mehrmals ab und stürzt. Doch bewußt,
worum es geht, schafft er es endlich nach fünf oder sechs Stunden. Die Nordkante wird dort erreicht, wo sich der Fels erstmals zurücklehnt. Selbst ihrer Grenze nahe, sind die
Freunde nur mit äußerster Anstrengung in der Lage, den völlig apathischen Karl hinaufzuholen. Am Grat übernimmt Hupfauer wieder die Führung. Das sonst leichte Gelände befindet sich in ebenso katastrophalem wie gefährlichem Zustand: Glatteis und Schnee, dazu böiger Sturm. Unter Aufbieten aller Reserven ringen sie dem eisigen Stein Meter um Meter ab.
Zwei Seillängen vor der Umgehung des letzten Gratturms hängt Golikow, der immer wieder abgeglitten und gestürzt ist, endgültig im Seil, unfähig, auch nur irgendwie weiterzukommen. Ritter hat sich beim Ziehen restlos verausgabt, wankt und strauchelt
und kann sich selbst kaum mehr hochreißen. Die zweite Nacht bricht herein. Jetzt müssen die Gefährten einsehen, daß sie allein keinerlei Aussicht haben, den schwer angeschlagenen Freund, der sich selbst aufgegeben hat, weiter hinaufzubringen. Wenn hier jemand helfen kann, dann einzig die Kameraden in der Biwakschachtel — solange sie noch oben sind. Schweren Herzens wird Karl bis auf einen Gratabsatz dicht unterhalb zurückgeseilt und sein Seil fixiert. Ein paar beschwörende Worte: bis Hilfe von oben kommt, muß er durchhalten. Es gibt keine andere Möglichkeit.
Etwa zwei Stunden später, um 21.30 Uhr, stößt Hupfauer, den taumelnden und fallenden Ritter hinter sich herziehend, die Tür der Biwakschachtel auf. Neun Mann sitzen
darin, vom .Schneesturm gefangen. Ritter wird sofort ausgezogen und massiert. Auch Hupfauer ist nach diesem letzten Willensaufbäumen am Ende seiner Kraft. Draußen wüten die Elemente mit ungebrochener Gewalt.
Alle da oben sind mehr oder weniger geschwächt. Unter den derzeitigen Bedingungen fühlt sich keiner von ihnen zu einer nächtlichen Hilfsaktion imstande. Niemand
darf ihnen daraus einen Vorwurf machen. Wer sich je an einer Bergung unter ähnlichen Verhältnissen beteiligt hat, weiß, wieviel Versiertheit und Umsicht dazu gehören, ein solches Beginnen erfolgreich und ohne gefährliche Pannen durchzuführen. Die Badile-Nordkante hinaufzusteigen oder im Finstern bei Vereisung und Schneesturm jemanden aus ihr zu bergen, ist zweierlei. Vielleicht wurde mit dem Abwarten bis zum nächsten Morgen noch mehr schlimmes Unheil vermieden.
Montag, 4. September. In der Früh reißen die Wolken ein wenig auf. Drei Mann steigen zu Karl hinab. Sie finden ihn in die Westwand gestürzt, tot im Seil hängend. Ein Hubschrauberpilot der Schweizer Rettungswacht, der während des kurzen morgendlichen Aufklarens herangeflogen kommt, überzeugt sich ebenfalls von Karl Golikows Tod. Kurze Zeit nur, dann zieht das Wetter wieder zu, und es beginnt aufs neue zu schneien.
Erst am Dienstag, dem 5. September, sieht der Himmel besser aus und läßt einen gemeinsamen Abstieg zur Gianetti-Hütte zu.
Die Bergung der Toten erfolgte gegen Ende der Woche von einem Hubschrauber aus. Am 14. September wurden Golikow und Uhl zusammen auf dem Friedhof von Stuttgart-Untertürkheim beigesetzt.
(Darstellung nach Gesprächen mit Siegfried Hupfauer und Alois Ritter sowie einem
schriftlichen Bericht Hupfauers.)
Dietrich Hasse
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1973, Jänner/Feber, Folge 1387, Seite 32-34
Karl Golikow
aus Stuttgart (37) ist Anfang September am Piz Badile im Schneesturm umgekommen, nachdem er mit Otto Uhl (der wenige Stunden vor ihm gestorben war) die Nordostwand durchstiegen hatte. Golikow war einer der besten deutschen Bergsteiger. Er war bei der Eröffnung der Harlin-Route durch die Eiger-Nordwand dabeigewesen, er war dabeigewesen, als Jörg Lehne vor drei Jahren am Walkerpfeiler zu Grunde ging. 1967 und 1968 hatte er an Hindukusch- und Himalayaexpeditionen teilgenommen.
Quelle: Der Bergsteiger 1972, Heft 11, Seite 703
Geboren am:
20.03.1935
Gestorben am:
03.09.1972