Lednár Stanislav

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Biografie:
Stanislav Lednár
*4. November 1942 — (+) 19. März 1967
Geboren am 4. November 1942 in Preßburg, tödlich verunglückt bei der 2. Winterbegehung des Bonattiweges in der Matterhorn-Nordwand am 19. März 1967. Nicht ganz 25 Jahre dauerte damit Stano Lednárs kurzes Leben. Dem ÖAK gehörte er nicht einmal ein Jahr an, und doch verband ihn mit vielen von uns eine tiefe Freundschaft.
Wir lernten Stano 1965 im Kaukasus, im Besengigebiet, kennen, wo ihm unter anderem der Tomaschekpfeiler auf die Schchara gelang. Doch nicht nur durch seine bergsteigerische Leistung fiel er uns Österreichern auf, sondern vor allem durch seine symphatische, fast möchte ich sagen, weltmännisch gewandte Art. Dies war um so bemerkenswerter, als er damals mit 22 Jahren der Jüngste unter den Leuten der CSSR-Mannschaft war. Aus einem flüchtigen Treffen im Kaukasus entstand dann unsere Verbindung und daraus wieder Stano Lednárs Wunsch, unserem Klub anzugehören. Als wir uns im Sommer 1966 in Chamonix wieder trafen, trug er bereits stolz das rote Oval mit den drei Edelweißsternen auf seinem Pullover. Ich glaube, er war der erste Slowake, der dem ÖAK angehörte.
Wenige Wochen nach Chamonix waren Klubkamerad Ernst Henninger und ich zu einem internationalen Bergsteigertreffen in die Hohe Tatra geladen. Hier verband uns auch erstmals das Seil mit unserem slowakischen Kameraden, und Pläne für die Zukunft, wie etwa Pamir, wurden geschmiedet. Im Herbst kam dann Stano nach Wien, und wir besuchten ihn in Preßburg, Dabei hatten wir auch Gelegenheit, seine Eltern kennenzulernen: Eine kultivierte, tief religiöse Familie. Vor allem sein Vater beeindruckte mich als markante Persönlichkeit. Erst später erfuhr ich, daß er während des Krieges unter der Regierung Josef Tisos, Minister für Post- und Eisenbahnwesen war. Die Tatsache, daß er heute noch am Leben ist, weist ihn eindeutig als reinen Fachminister und Nichtpolitiker aus. Mit dem Kennenlernen von Stano Lednárs heimischen Milieu aber verstand ich auch sein weltoffenes Wesen besser. Obwohl in der gesellschaftlichen Enge der stalinistischen Ära aufgewachsen, fühlte er sich voll und ganz zur europäischen Seilschaft gehörend.
Nachdem er eine Gewerbeschule für Bauwesen besuchte und sein Studium mit Matura abgeschlossen hatte, studierte er Geodäsie im vierten Jahrgang. Im Jahre 1961 hatte er mit dem Bergsteigen begonnen, wobei seine Entwicklung den politischen Um-ständen seiner Heimat entsprechend, hauptsächlich auf die Hohe Tatra beschränkt war. Dort kannte er allerdings den Großteil der schwierigen Anstiege und führte viele auch im Winter durch. 1964 war er in den Julischen Alpen, wo ihm unter anderem der Aschenbrennerweg am Travnik und der Čop-Pfeiler am Triglav gelang. 1965 folgte der Kaukasus und 1966 Chamonix mit verschiedenen Touren im Montblancgebiet.
Das Jahr 1967 sollte mit einer großen Winterbegehung eingeleitet werden. Silvester 1966 feierte ich gemeinsam mit Stano und einigen Klubkameraden, wie Karl Kosa, Walter Knezicek und Iwan Kluwanek, in der Mala Fatra. Dort besprachen wir die Pläne für die große Winterfahrt. Stano und einige seiner Freunde waren für den Freneypfeiler am Montblanc. Ich äußerte Bedenken, erfordert doch diese Tour im Winter eine Art Expedition mit Troß und Rückendeckung durch Hubschrauber und sämtliche Bergführer der Umgebung, wie sie nur etwa einem Bonatti, Mazeaud und einigen wenigen anderen zur Verfügung stehen. Aber was helfen Argumente, wenn in einem Bergsteiger jenes alles verzehrende, innere Feuer lodert, das ihn zur „Eroberung des Unnützen" drängt. Der Frêneypfeiler wurde in der Slowakei weitergesponnen.
Am 2. März kamen dann Stano und sein Seilgefährte Ján Durana überraschend nach Wien. Sie hatten vom Montblanc auf das Matterhorn umdisponiert, umdisponieren müssen. Die erhoffte staatliche Unterstützung war ausgeblieben, und so hatten sie vernünftigerweise mit dem Bonattiweg am Matterhorn ein zwar ebenso schwieriges, aber durch den kürzeren Zugang doch weniger zeitraubendes Ziel gewählt.
Zwei Mann, Jozo Psotka und Milan Kaláb, die Schweizer Visa besaßen, waren bereits über Deutschland nach Zermatt gereist, Lednár und Durana hofften in Wien dieses Visum einfacher zu erhalten als in Prag. Doch nur dank der Fürsprache von Klubkamerad Dutler beim Schweizer Botschafter waren die Reisepapiere binnen einer Woche zu bekommen. Normalerweise müßte man ein Monat warten. Am 9. März endlich konnten sie von Wien weiterreisen, doch eine Woche Schönwetter war verloren. Als sie nach Zermatt kamen war das Wetter unsicher, ja eher als schlecht anzusprechen. Dennoch brachen sie am 11. März schwer beladen zur Hörnlihütte auf. Weiterhin Schlechtwetter, Sollten sie aufgeben? Verzichten? Jetzt, nachdem sie so mühsam die Ausreisebewilligungen, das Schweizer Visum und die Devisen besorgt hatten? Für sie, aus einem Oststaat, erschien es vielleicht als die einmalige Chance des Lebens all dies erhalten zu haben. Doch auch die Zeit drängte. Sollte es noch eine Winterbegehung werden, mußten sie bis zum 21. durch die Wand sein. Endlich am 14. klarte es auf, und am 15. März stiegen die Vier in die Bonattiroute ein und kamen an diesem Tag noch etwa 300 Höhenmeter empor. Am 16. war wieder strahlend schönes Wetter. Sie legten etwa die Hälfte des Engelquerganges, der Schlüsselstelle dieses Anstiegs, zurück und entschlossen sich am Nachmittag, als es leicht zu schneien begann, an Ort und Stelle zu biwakieren. Von dort wäre nämlich ein Rückzug noch möglich gewesen. In der Nacht aber klarte es abermals auf, und so setzten sie schon zeitig am Morgen ihren Anstieg fort. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Sie bewältigten an diesem Tag den Rest des Quergangs und einen Pfeiler. Während ihres dritten Biwaks aber brach ein Wettersturz mit elementarer Wucht über sie herein. In Zermatt maß man 40 Grad minus und Sturmgeschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern. Diesen 18. März warteten sie in ihrem Biwak untätig ab. Am 19. ist der Morgen etwas heller, und unter der Führung von Stano Lednár brechen die Vier wieder auf und kämpfen sich langsam höher. Mittags hatten sie erst wenige Seillängen hinter sich. Lednár war wieder eine Seillänge ausgegangen und wollte gerade einen Standhaken schlagen. Seine Freunde hörten Hammerschläge, plötzlich polterten Steine, ein Achtung-Ruf Stanos, ein Schatten fällt an den Sichernden vorbei. Psotka kann den 70-m-Sturz zwar halten, doch als er dann zu dem Gestürzten absteigt ist dieser bereits tot.
Die drei Überlebenden kämpften sich, seelisch erschüttert und körperlich durchfroren, und ausgehungert noch zwei Tage aus der Wand heraus und dann zur Solvayhütte hinab. Wenige Tage später waren sie bei mir in Wien. Sie kamen als Sieger und wirkten den¬noch so furchtbar leer, müde und ausgebrannt. Ich konnte ihnen zu ihrem Erfolg gratu¬lieren und mit ihnen um einen guten Freund trauern. Wie vieles hätte ich, hätten auch sie darum gegeben, wenn unser Stano noch lebte. Nun erst, nach seinem Tode merkte ich, was mir Stano Lednár trotz der kurzen Zeitspanne unserer Freundschaft bedeutet hatte, Noch nie war mir der Tod eines Gefährten so nahegegangen, vielleicht weil er das Leben in jeglicher Form so sehr bejahte.
Erst Anfang Juli 1967 konnte die Leiche von Stanislav Lednár im Zuge einer groß angelegten Bergungsaktion von 25 Schweizer Bergführern aus der Nordwand geborgen werden. Die Kosten dieser Aktion trug die Tschechoslowakische Regierung. Wenige Tage danach wurden dann die sterblichen Überreste unseres Klubkameraden unter großer Anteilnahme im Preßburg-Raca bestattet. Für den ÖAK sprach Ausschußmitglied Oskar Krammer Worte des Abschieds. Für uns aber, seine ehemaligen Gefährten, ist Stano nicht tot. Immer, wenn wir auf eisiger Höhe stehen, wird er, zumindest in unseren Gedanken, auch bei uns sein, als der sonnige, heitere Junge mit den dunklen schwermütigen Augen
und dem wilden trotzigen Mut.
Erich Vanis
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1968, Juli/August, Folge 1360, Seite 109-111


Geboren am:
04.11.1942
Gestorben am:
19.03.1967