Görg Friedrich
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Biografie:
Friedrich Görg *
* 2. März 1917 — (+) 24. Juli 1970
Völlig überraschend ist er, erst wenig über 53 Jahre alt, in tragischer Weise von uns gegangen. Einer Beamtenfamilie entstammend, schien seine berufliche Laufbahn vor-gezeichnet. Nach der Mittelschule absolvierte er sein Einjährigen-Freiwilligenjahr beim Bundesheer und belegte Anfang 1939 die Hochschule. Dann kam jedoch die Einberufung und der Kriegsdienst als Fliegerleutnant, Die Einordnung ins bürgerliche Leben nach Kriegsende war nicht leicht; er hatte inzwischen geheiratet und war fast 29 Jahre alt; ein Weiterstudium war nicht möglich, Lange Jahre arbeitete er in der Firma seines Schwiegervaters, des bekannten Bergschuhspezialisten Mörtz, und wechselte später in die Versicherungsbranche. Es ist müßig, nachträglich zu fragen, wie sich die Anforderungen dieser Sparte mit seinem Naturell vertragen haben mögen.
Wie der Krieg seine berufliche Ausbildung unterband, so hemmte er auch seine berg-steigerische Entwicklung und kostete ihn die besten Jahre seiner Leistungsfähigkeit. Als Kind war er durch seine Eltern mit der Bergnatur bekannt geworden und hatte sie lieben gelernt. Im Alpenverein fand er in Klubkamerad Franz Bauer einen verständnisvollen Mentor und gute Gefährten. Mit 19 Jahren führte er schon viele Touren durch und beging erstmals führend die Kopfwandkante. Mit 20 Jahren war er in Hochform; seine Leistungs-fähigkeit bezeugen 78 Gipfel im Winter 1936/37 in vielen Gruppen der Ostalpen vom Dachstein bis zur Silvretta, darunter eine Glocknerumfahrung, und 41 Gipfel im Sommer 1937, vielfach Touren von beträchtlichen Schwierigkeitsgraden (z. B. Christaturm-Südost-kante, Predigtstuhl-Dülferweg, Östlicher-Törlturm-Ostkante, Totenkirchl-Südverschneidung, Admonter Kalbling — direkte Südwand, Große-Bischofsmütze-Nordostkante, Schneeberg-wand-Ostkante 4. Begehung usw.). In diesem Sommer wandte er sich erstmalig Eistouren zu und beging u. a. Fuscherkarkopf-Nordwand und Wiesbachhorn-Nordwestwand (38. Be¬gehung). Großzügige Schihochtouren. in den Ötztaler und Stubaier Alpen, dem Dachstein-stock u. a. folgten im nächsten Winter, in dem er auch erstmals Winterbegehungen unternahm (z. B. Niederer Dachstein-Südostwand).
Damit hatte er die Lehrzeit als Bergsteiger hinter sich gebracht und eine Entwicklungsstufe erreicht, die ihn — die wirtschaftlichen Grundlagen vorausgesetzt — mit großer Wahrscheinlichkeit früher oder später zu den großen Westalpentouren geführt hätte. Das hat der Krieg leider verhindert; die Fronturlaube reichten nur zu kurzen Besuchen des Wilden Kaisers und der Leoganger Steinberge.
Seine Touren führte er mit den bescheidensten Mitteln durch. Manches abenteuerliche Erlebnis mit dem Fahrrad als Verbindung zwischen Bahnstation und Talort erinnert an Hermann Buhls einschlägige Schilderungen. Schwer traf es ihn, als er im Oktober 1938 seine Eisenbahn-Regielegitimation zurückgeben mußte. Doch konnte er aus einer Interimstätigkeit als Bankbeamter bald ein Puch-250-Motorrad erwerben und damit ein neues Feld von Möglichkeiten, in die Berge zu kommen.
Nach dem Krieg war es zunächst schwierig, sich durchzubringen. Er leitete Schikurse bei den Amerikanern und war dabei erfolgreich, dank seiner guten englischen Sprachkenntnisse, dem ausgezeichneten Können auf Schiern und einer seltenen pädagogischen Veranlagung, die sich auch später immer wieder bewährte.
In den Jahrzehnten seit Kriegsende lernte er fast alle Gruppen der Ost- und Westalpen kennen. Er erstieg den Montblanc und eine Reihe von Viertausendern im Wallis, das er wiederholt besuchte. Touren in Montenegro hatten Expeditionscharakter. Legion ist die Zahl seiner Bergfahrten und Wanderungen in den Nördlichen und Südlichen Kalkalpen und in den Voralpen; es gab nur wenige freie Tage im Jahr, die er nicht in den Bergen verbrachte. Mit seiner Gattin unternahm er später auch weite Reisen nach Griechenland, Kleinasien, Afrika, Israel, Frankreich, Spanien, Italien, Jugoslawien, Schweiz und natürlich auch durch Österreich, kehrte aber selbst nach der eindrucksvollsten Auslandsreise mit um so größerer Freude wieder zum Gosaukamm, dem Hochschwab, den Wiener Hausbergen und dem Peilstein zurück, Er ging ebenso gern mit einigen alten Freunden durch den herbstlichen Wienerwald wie auf einen Dreitausender und verbrachte manchmal auch einen längeren Urlaub im Veitschgebiet, das ihm eine zweite Heimat geworden war.
Vom Pistenfahren wandte er sich mehr und mehr ab und suchte die Stille. Seine sportliche, mäßige Lebensweise, die regelmäßigen Touren und Wanderungen, Waldlauf und Sauna bewahrten ihm eine erstaunlich gute Kondition, die es ihm erlaubte, mit 50 Jahren noch Touren, wie Marmolata-Südwand, Große-Zinne-Dibonakante, Croda-da-Lago- und Becco-di-Mezzodi-Überschreitung, Campanile di Val Montanaia usw. zu unternehmen.
Seine Gefährten wußten seine Verläßlichkeit und sein Organisationstalent zu schätzen. Mit seinem Auto gab es dank guter Wartung und Ausrüstung nie Schwierigkeiten. Er war ein ausgezeichneter und sicherer Autolenker, dem man in kritischen Verkehrssituationen vertrauen konnte. Auf der Tour war er ein selbstloser Gefährte, rücksichtsvoll zu den älteren, aufmunternd zu den jüngeren Kameraden. Er fand leicht Kontakt zur Jugend und hat vielen jüngeren Bergsteigern Anregungen gegeben und zu schönen Touren verholfen. Damit hat er bei der jüngeren Generation eine unverlierbare Spur hinterlassen. Er verfügte über eine große Sammlung von Führerwerken und Karten, und man konnte sicher sein, von ihm verläßliche Auskunft zu erhalten, An der Klarheit und Anschaulichkeit der Routenbeschreibungen in seinen Notizen könnte sich mancher Verfasser von Führerwerken ein Beispiel nehmen. In seiner zurückhaltenden Art hat er keine Vorträge gehalten und nichts veröffentlicht, obgleich er Wertvolles zu sägen und manche, auch allgemein inter¬essierende Erlebnisse aufzuweisen gehabt hätte.
Aus diesem Grund ist auch nicht allzuviel über seine Bergungstätigkeit bekannt. Man weiß nur, daß er mit zwölf Jahren ein Kind aus dem Wörthersee gerettet, mit 15 zwei junge Leute in den Rottenmanner Tauern, vor einigen Jahren ein Wiener Ehepaar auf der winterlich-stürmischen Rax geborgen hat; auch eine Peilstein-Bergung ist bekannt.
In den letzten Jahren kämpfte er mit Berufssorgen und mancherlei psychischen Be-lastungen. Ihn bedrückte die Erkenntnis, daß ein Mensch über 50 im heutigen Berufsleben praktisch keine Chance mehr hat, noch einmal hochzukommen. Manches aus dieser Verbitterung resultierende Mißverständnis mit alten Freunden verblaßt vor der Erinnerung an einen Bergsteiger von Format und einen liebenswerten Gefährten, wie man keinen
besseren finden kann.
F. Schattauer
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1971, Jänner/Februar, Folge 1379, Seite 159-161
Geboren am:
02.03.1917
Gestorben am:
24.07.1970