Brandenstein Wilhelm

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Biografie:
geboren in Salzburg (Österreich)
gestorben in Graz (Österreich)

Seine Frau Henriette war auf vielen Bergfahrten seine Begleiterin. Mit ihr durchsteig er auch die Pallavicinirinne am Großglockner.
Er war ein Spezialkenner der Granatspitzgruppe.
Überschreitung aller 13 Einzelgipfel des Tauernhauptkammes in durchlaufender Folge am 23. August 1927.

Anfang Dezember 1967 ist in Graz der seinerzeit sehr bekannte Bergsteiger, Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Brandenstein, im Alter von 69 Jahren verstorben. Er war in den zwanziger Jahren ein ausgezeichneter Kletterer, dem u. a. die erste Begehung des Ringwulstes am Campanile di Val Montanaia glückte, also eine Direttissima" seiner Zeit. Bezeichnend für Dr. Brandenstein war es, daß er diese Route (er hatte sie noch dazu mit einer Dame, Frl. Grete Doppier, gemacht) schlicht „die Knödelroute" nannte. Noch mehr Verdienste um die Bergsteigerei aber hat er sich durch die Entdeckung der bis dahin so gut wie unbekannten Granatspitzgruppe der Hohen Taueni erworben. Er liebte dieses Zwischenreich im Schatten der Glockner- und Venedigergruppe und hat ihm einige große Aufsätze, u. a. im Alpenvereinsjahrbuch 1929 und in der ÖAZ 1927 gewidmet, aber auch einen eigenen, sehr interessanten Führer über dieses Gebiet verfaßt, der 1929 im Wiener Artaria-Verlag herausgekommen und heute leider längst vergriffen ist. Dr. Brandenstein, der auch Mitglied des Österreichischen Alpenklubs war, hat sich aus gesundheitlichen Gründen leider frühzeitig vom Bergsteigen zurückziehen müssen, sein Name ist daher der Bergjugend von heute nicht so bekannt, wie er sein sollte. Umso mehr aber leistete er auf geistiger Ebene und für die akademische Jugend. Er war zuletzt Vorstand des Instituts für vergleichende Sprachwissenschaft und für indo-iranische Philologie an der Universität Graz und eine Kapazität auf seinem Gebiet; ein Feuergeist, der aber auch seine Hörer zu großen Leistungen anregen konnte. Seine besonderen Fachgebiete waren klassische Philologie (Griechisch, Sprachen der Ägäis), Etruskisch und Theorien über Atlantis, die Aufsehen erregten. L. B.
Quelle: Mitteilungen des Österreichischen Alpenvereins 1968, Seite 15

Wilhelm Brandenstein
*23. Oktober 1898 — (+) 1. Dezember 1967
Über 30 Jahre ist es her, daß hoch über dem Königsee zwei Bergsteiger ein weiches Grasbiwak bezogen. Unter ihnen lag die Eiskapelle am Fuße der Watzmann-Ostwand, auf dem schon nachtdunklen See schwamm das letzte Schifflein hellbeleuchtet dem Heimat-hafen zu, am klarblauen Himmel schien der zunehmende Mond.
Univ.-Prof. Dr. Willi Brandenstein hatte mich eingeladen, mit ihm die Ostwand zu ersteigen. Für ihn war es die zweite Ersteigung, bei mir der zweite Versuch. Ich durfte führen und das war eine Ehre für mich. Dessen war ich mir damals schon bewußt, jedoch sollte ich erst im Laufe der Zeit erfahren, was für einen Gefährten ich am Seil hatte. Ein für die Jugend der Akademischen Sektion Wien im Glocknergebiet abgehaltener Eiskurs, bei dem ich Brandensteins Gehilfe war, hatte uns näher bekannt gemacht. Nun lagen wir in den „Gamsgärten" unter der Watzmannwand und besprachen den morgigen Weg, sprachen von Bergen und ihren Namen, von Fahrten und Gefährten, von Tat und Traum.
Am nächsten Tag ging ich zwar als erster, aber Willi gab mir manchen Hinweis für den Durchstieg, so daß er mich zuweilen geradezu aus dem Gedächtnis emporlotste. Er war oft allein gegangen in den Bergen, hatte einen hervorragenden Orientierungssinn, und es war eine Freude, ihn klettern zu sehen, ihn, den Turnlehrer, den alten Könner am Berg.
Schon als Salzburger Gymnasiast — er war 1898 in der Salzachstadt geboren worden — zog er mit Klassenkameraden in die Berge. Zu Pfingsten 1915 beschlossen er und drei seiner Gefährten auf dem Gipfel des Schneibstein im Hagengebirge, sich zum Kriegs-dienst zu melden: Italien hatte den Krieg erklärt. Am 16. November 1915 rückte er nach Schärding ein und kehrte mit sechs Kriegsauszeichnungen am 16. November 1918 dorthin zurück. Zwanzig Jahre jung! Der ehemalige Leutnant und tapfere Kämpfer mußte wohl die Waffen sinken lassen, doch sein Geist verlangte nach anderen Taten. Er bezog bald die Universität Innsbruck und studierte dort vor allem klassische Philologie, vergleichende Sprachwissenschaft und Turnen. So wie er Bergsteiger aus Begeisterung, Kletterer aus blendender körperlicher Veranlagung und Freude an turnerischer Betätigung, wie er forschender Begeher mancher Berggruppe aus Lust am Entdecken war, so bestimmte ihn eine innere Berufung zum Lehrer. Schon 1921 bekam er eine Stelle an der Realschule seiner Heimatstadt. Nach Wien versetzt, legte er 1925 die strengen Prüfungen mit Haupt-fach Philosophie ab und heiratet noch im selben Jahr. An seiner jungen Gattin, die selbst Mittelschullehrerin war, hatte er eine begeisterte und gewandte Berggefährtin gewonnen. Von seinen Jahren als Lehrer in Salzburg und später an der Bundeserziehungsanstalt in Wien-Breitensee sagte er selbst, daß sie ihm großen pädagogischen und menschlichen Gewinn brachten und — weil er mit viel Liebe unterrichtete — auch Erfolg und damit innere Befriedigung. Sein strebender und forschender Geist verlangte aber nach Höherem. Der vergleichende Sprachwissenschaft besonders zugeneigt, habilitierte er sich 1936 an der Universität Graz für indogermanische Sprachen und wurde bald darauf mit der Leitung des Institutes für vergleichende Sprachwissenschaft und des Institutes für indoiranische Sprachen betraut. Sein Weg als Wissenschaftler war damit vorgezeichnet. Zahlreich sind die Publikationen, Aufsätze und selbständigen Arbeiten, deren erste bereits 1921 erschien. Insbesondere interessieren uns Bergsteiger aber seine aufschlußreichen und tiefschürfenden Veröffentlichungen über Ortsnamenkunde. Verwoben wie Schuß und Kette sind in Brandensteins Leben die beruflichen mit den bergsteigerischen Leistungen. Dies wird besonders deutlich, wenn man seinen 1928 erschienenen „Führer durch die Granatspitzgruppe" durchblättert, den der junge Salzburger Geograph Slupetzky zur Zeit neu bearbeitet. Abgesehen davon, daß man mit Staunen feststellen muß, wie oft es da heißt: „Erste Ersteigung durch W. Brandenstein", wird man nicht leicht in einem anderen Führer so viele klärende und aufschlußreiche Hinweise auf Namengebung, -aussprache und -herleitung bei. Gipfeln, Scharten, Tälern und Orten finden.
Hier zeigt sich Brandenstein in seinem Element. Mit größter Gewissenhaftigkeit durchstreift er die von ihm so sehr geliebte Berggruppe jahrelang, macht unter anderem erstmals die Längsüberschreitung des ganzen, teilweise sehr schwierigen Hauptkammes mit 13 Gipfeln in einem Tag, weist häufig auf Naturkundliches hin und führt uns im besten Sinne des Wortes. Oft war hier seine Gattin getreuliche Weggefährtin zusammen mit Dr. Waldmann oder Dr. Sekyra. Sehr viel ging Brandenstein aber allein. „Ich bin viel allein gegangen, weil mich die Einsamkeit des Hochgebirges immer aufs stärkste ergriffen hat, und es entspricht meinem Wesen, auf mich allein angewiesen zu sein und auf keine Hilfe rechnen zu können." Dieser Satz findet sich als erster in seinen bergsteigerischen Aufzeichnungen. Dennoch war er ein liebenswürdiger, umsichtiger, humoriger Gefährte, dessen scharfer Verstand oft in einer treffenden Bemerkung zusammenfaßte, was sonst vieler Worte bedurft hätte. Nie war er darauf bedacht zu „glänzen" und so selbstsicher er sein durfte, ließ er auch andere ihre Qualitäten neidlos einsetzen. Insbesondere schätzte er seinen oftmaligen Gefährten auf schwierigen Fahrten, unseren unvergessenen Rudolf .Schwarzgruber, hoch ... „Er war mir zwar in vieler Beziehung überlegen, aber wir ergänzten uns in glücklicher Weise", sagt Brandenstein von ihm. Zahlreich. sind die schwierigen Bergfahrten, die Brandenstein ausgeführt hat, so unter anderem Dachstein-Südwand (Steinerweg), Stuhlwandkamin, Barihkamin mehrmals, Hocheck-Ostwand, Watzmann-Ostwand zweimal, erste Überschreitung der westlichen Wimbachkette, Hochkalter-Blaueis-Nordgrat in einem Tag; im Wilden Kaiser Totenkirchl-Südwand, Predigtstuhl-Nordkante, Predigtstuhl-Westwand (Dülferriß); in den Zentralalpen: Glockner-Westwand, Glockner-Nordwestgrat, -Nordgrat und Pallavicinirinne, Fuscherkarkopf-Nordflanke, Hochschober-Nordwand, Glödis-Westwand, 1. Begehung, in der Granatspitzgruppe war ihm wohl kein Gipfel fremd, und er erstieg manchen von ihnen mit verbissener Zähigkeit, über gefährlich geschichtetes, brüchiges Gestein, damit er ihn in seinem Führer lückenlos aus eigener Kenntnis beschreiben konnte. Auch auf vielen Gipfeln der Dolomiten ist er gestanden und hat dort manche bergsteigerische Glanzleistungen vollbracht. Erwähnt sei nur die Alleinersteigung der Marmolata-Südwand, Croda da Lago-Pompaninkamin und am Campanile di Val Montanaia die erste Überkletterung des Ringwulstes (wovon er nur als der Überkletterung des „Knödels" spricht). Nicht zu vergessen sind die zahllosen Touren in seinen geliebten Salzburger Heimatbergen, wo er zusammen mit seiner Frau viele Besteigungen und Klettereien ausführte. Von seinen Westalpentouren seien nur, außer dem Bergell, noch die zweite Begehung der Gran-Paradiso-Nordwestwand erwähnt.
Im zweiten Weltkrieg war Brandenstein Hauptmann und Chef einer Luftwaffen-Baukompanie, kehrte Mitte 1942 schwer krank von Rußland zurück und wurde 1943 aus der Wehrmacht entlassen. Erst jetzt konnte er seine Professur richtig ausüben, erholte sich zunächst in steigendem Maße, so daß er sogar Kletterfahrten unternehmen konnte, mußte es aber hinnehmen, daß es bald nach Kriegsende immer schlechter um ihn stand. 1954 erlitt er eine schwere Lähmung, die ihn bis an sein Lebensende stark behinderte. Dennoch mochte er nicht ganz auf seine geliebten Berge verzichten, Sein letzter, etwas wehmütiger Gipfelbesuch galt im Sommer 1967 dem Untersberg, den er mit seiner Gattin mittels der neuerrichteten Seilbahn erreichte. Ihm waren die modernen Bergbeförderungsmittel willkommene Vermittler eines letzten bescheidenen Höhenglücks. So konnte er im August 1967 noch auf den Dobratsch, die Turracher Höhe und einige andere Aussichtspunkte fahren und solange seine Kräfte reichten, ging er dann noch der Höhe zu, wenn kein Hilfsmittel zur Verfügung stand. Mit Ausnahme weniger dunkler Tage war er stets voll Lebensmut und Optimismus und von bewundernswertem Gleichmut, trotz seiner schweren Behinderung nie ungeduldig und immer bestrebt, niemandem Unannehmlichkeiten zu bereiten, stets voll Rücksicht, so wie ihn seine Kameraden auch als Berggefährten kannten. Sein größtes Glück jedoch bedeutete ihm in dieser Zeit seine wissenschaftliche Arbeit und seine Arbeit als Universitätslehrer. Es erschien ihm als seine vordringliche Pflicht, den jungen Nachwuchs zu lenken und zu fördern. An seinem Grazer Institut hing er mit großer Liebe, und er dachte viel daran, es in den nächsten Jahren einem würdigen Nachfolger zu übergeben. Dies sollte ihm nicht mehr möglich sein. Jedoch hatte er die Genugtuung, seine wissenschaftlichen Arbeiten und Bestrebungen als Sprachphilosoph und Sprachforscher anerkannt zu wissen. Er war Mitglied der historischen Landeskommission für die Steiermark, korrespondierendes Mitglied des Istituto di Studi Etruschi in Firenze, Vizepräsident der Indogermanischen Gesellschaft, korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Träger des Ehrenkreuzes für Kunst und Wissenschaft 1. Kl. und Besitzer der Medaille der Katholischen Universität Löwen.
Ein aus dem zweiten Weltkrieg mitgebrachtes Blasenleiden verschlimmerte sich zusehends, eine ständige innere Infektion belastete seinen Kreislauf schwer. In einer Grazer Klinik, in der er sich zur Vorbereitung einer Operation aufhielt, ereilte ihn unerwartet schnell, nachdem er kurz vorher noch mit seiner Frau voll Zuversicht gesprochen hatte, der Tod. Eine Lungenembolie hatte sein Leben beendet.
Oft schaue ich von einem der aussichtsreichen Punkte in der Umgebung Salzburgs hinüber auf den Watzmann, wo ich damals mit Willi einen meiner schönsten Bergtage erlebt habe. Dann gedenke ich dieses Mannes, der auf manche lichte Höhe stieg, aber auch durch Enge und Dunkelheit gehen mußte, der nie vergaß, daß oben das Licht war, zu dem er stets strebte und andere auf seinem Weg dahin geleitete. Ein Stück durfte auch ich mit ihm gehen, und ich habe ihn gut kennengelernt: er war ein Mann, nehmt alles nur in allem, er war ein Bergsteiger—wahrhaft, vornehm und bescheiden! F. Swoboda
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1968, September/Oktober, Folge 1361, Seite 128 - 130


Geboren am:
23.10.1898
Gestorben am:
01.12.1967

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