Schlagintweit Emil

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Biografie:
geboren in München (Deutschland)
gestorben in Zweibrücken (Deutschland)

Emil Schlagintweit zum hundertsten Geburtstag.
Von E. F. Hofmann, München.
In Treue trug er unser Edelweiß. Erstbesteigungen und Erschließertat zwar gab er unserem Vereine nicht, wohl aber freudige Mitgliedschaft als bergfroher Wanderer, dem kein Weg zu weit, keine Berganstrengung zu viel gewesen und der die Landsckaft um ihrer selbst willen ehrte.
Im Banne des Hochgebirges stand auch er, mit stillem Denkertum vorkämpfend für Hochasiens fremde Welt, ein Künder und Vollender im Dienst und Nachdienst seiner großen Forschungsbrüder, Es sei des 7. Juli nicht vergessen, des Tages, da vor hundert Jahren Emil Schlagintweit geboren wurde. Der Jüngste war er aus seines Vaters, Josef August, erster Ehe, Nicht so leidenschaftlich mehr wie bei ihm floß in diesem Kind ererbtes Blut, nicht so stürmisch in aufloderndem Ideenschwall und wilder Unternehmungslust wie bei den älteren Geschwistern Hermann, Adolf, Eduard und Robert. War es darum ruhiger, gemessener fast geworden, weil die Mutter (Rosalia Seidl, des Münchner Högerbräu schöne Tochter) damals schon am Herzen litt, das so bald darauf, 1839, ganz versagte? Die Schlagintweitsche Geisteskraft und ihr unbeugsamer Arbeitswille ward Emil wie den anderen. In gleicher Erziehungsweise ausgebildet, erblühte aus dieser Geschwisterschaft dereinst eine phänomenal abgeglichene, einzigartige Verbundenheit.
Daheim ging es lebendig zu: ein Haus voll Kinder, teils aus zweiter, dritter Ehe, der Vater als erfinderischer Facharzt und Gründer der Münchner Augenklinik von Patienten überlaufen, in Adelskreise gezogen, die Familie gesellschaftlich begehrt, dabei die älteren Söhne streng im Studium unter besten Lehrern. Inmitten von dem allen lebte Emil ein wenig ernsthaft sein Jungendasein. „Haushofmeister" war der junge Dr. Lauth, nachmals ein bekannter Orientalist, der in dem Knaben eine auffallende Sprachliebe förderte. In dessen Mittelschulzeit — im Wilhelmsgymnasium — fiel neben Eduards Übertritt zur Offizierslaufbahn Hermanns und Adolfs wissenschaftlich bahnbrechende Tätigkeit in den Alpen, die zur Gönnerschaft A. v. Humboldts und zu raschem Aufstieg führte. Es kam beider Übersiedlung nach Berlin, die Habilitierung dort, beziehungsweise in München, und dann die brennende Frage um die geplante Indienreise, die auch auf Nobert übergriff. Englische und preußische Blätter tobten im Meinungsstreit, derweil die drei schon zutiefst in Vorbereitung steckten für diese großzügige, lange Forschungsexpedition — Aufregung genug auch bei den Angehörigen. Emil schwankte zwischen Begeisterung, Abschiedsweh und frischem Stolz des ersten naturwissenschaftlichen Semesters.
Jäh wie ein Blitz traf alle des Vaters Plötzlicher Tod an Cholera im August 1854. Hermann, Adolf und Robert dicht vor der Abfahrt in unbekannte Abenteuer, Eduard nur vorübergehend von auswärtigem Truppenplatz hier. Viel änderte sich da. Das Haus mit dem schönen Garten mußte aufgegeben werden. Emil wechselte über ins Studium der Rechte.
Und die ersten Briefe aus Asien langten an. Sie waren übervoll an Eindrücken. Der geniale Vormarsch durch Indien begann, der sich steigerte und steigerte an wissenschaftlichen Ergebnissen und geographischen Entdeckungen, durch des Himalajas Wildnis in unberührteste Gebiete vordrang, bis Tibet, Turkestan, Karakorum und Afghanistans Ostecke vorstieß. Alle Welt harrte in Spannung. Als Vertreter seiner Brüder zog Emil nach Berlin, den Schriftverkehr mit König Wilhelm von Preußen und Baron Humboldt zu vermitteln.
Oft war er dessen Gast. Im Leuchten solcher Geistessonne, von höchsten Gelehrtenkreisen aufgenommen, durchlebte er die gewaltige Forschungstat. Ihr Ruhm strahlte auf ihn zurück und hielt ihn immer neu in seelischer Bereitschaft für die Bilder ferner, fremdester Zonen, die ihn mehr und mehr umstrickten.
Umjubelt von Anerkennung, kehrten Hermann und Robert zurück, kurz bevor er sein Herbstexamen zu München machte, um nach zwei Jahren Praktikum die Staatsprüfung (1859) und 1860 den Doktor zu bestehen. Das waren Jahre. Von Adolf keine Nachricht, er blieb verschollen. Die Angst stieg auf, die Ungewißheit um sein Schicksal. Furchtbare Zeit des Wartens und der Suche, bis die Kunde des grausigen Endes kam, zugleich die Sorge um Eduard, der als Reiterleutnant im Kriege Spaniens gegen Marokko stand! Als sie vorüber, hatte Hermann mit Robert Schloß Jägersburg in Oberfranken gekauft.
Dorthin wurde die reiche, gemeinschaftlich auf der Asienfahrt erworbene Sammlung gebracht. Kostbarer Inhalt aus Hunderten von Kisten war zu sichten, einzuräumen, auszuwerten und dauernd zu betreuen, eine ungeheure, verantwortungsvolle Mühe. Adolf aber fehlte.
Emil müßte helfen können. Und er half, jahrzehntelang. Sein halbes Ich gab er dem Werk der Brüder, an ihm sich aufschwingend zum Gelehrten von Bedeutung, der Lohn seiner Liebestat.
Hand in Hand ging alles, was sie unternahmen. Blutsgemäße Einfühlung erleichterte und verschönte dies geistige Zusammenstehen. Während die zwei Älteren ihr physikalisch-, magnetisch-, geologisch-meteorologisches Beobachtungsmaterial verarbeiteten, ordnete und reihte er ein. Als halbe Wirklichkeit zauberte sich ihm das mächtige Reiseerlebnis der Schlagintweits vor Augen. Wie deutlich sah er nun die Landschaft und ihr Leben, da er katalogisierte: weit über 700 Aquarelle, Skizzen, Panoramen, 9 1/2 Tausend Gesteins- und Erdproben, 2 1/2 Tausend Pflanzenstücke, 750 Tierpräparate, 400 menschliche Skelette, Schädel, Gesichtsmasken, viele Körpermessungen, 1400 ethnographische Gegenstände und endlich mehr als 100 Handschriften und Drucke aus indischen wie tibetischen Klöstern. In den Räumen war Kommen, Bewundern, Studieren von Besuchern. Wer aber sollte die Bücher entziffern? Gerade sie bargen das heiß erfragte Geheimnis innerasiatischer Kultur und Religion. Emils Sprachbegabung wagte sich an diese, den Europäern sonst verschlossene Kunst, lud sich als Lehrer einen hochgebildeten Mongolen, den Lama Galsang Combojew, aufs Schloß und betrieb mit ihm so eifrige Studien, daß er schon 1863 die erste Übersetzung aus dem Tibetischen vorlegen konnte: „Über das Beichtbuddhagebet", und im selben Jahre noch sein berühmtes „Buddhismu in Tibet".
Das große Rätsel um diese Kultform schien sich zu entschleiern. Emils Veröffentlichung wurde so hoch angeschlagen, daß ihn die Bayrische Akademie der Wissenschaften zu ihrem korrespondierenden Mitglied ernannte. Welche Auszeichnung für seine 29 Jahre! Weiter grub er an dem seltenen Schatz; keiner hätte ihn so heben können wie er, der seinen Neuweg gehen durfte in der Schrittspur seiner Brüder. Er schrieb das Geschichtsbuch „Die Könige von Tibet", schrieb über die Gottesurteile der Inder und andere Abhandlungen und Mitteilungen in verschiedenen Zeitschriften. Die Kulturwelt war begeistert. Der Verfasser aber blieb schlicht und anspruchslos, zufrieden, wenn man ihn zunächst als Bezirksamtsassessor in Kitzingen beließ, nah so vielem, was ihm am Herzen lag — das frische Grab Eduards, der 1866 in der Schlacht zu Kissingen gefallen war. Gießen wo Robert, so er nicht als Vortragspionier in weiten Landen, an der Universität lehrte, und Hermann mit Schloß Jägersburg. Er machte Sorge. Mit Arbeit überlastet, in der Herausgabe seiner vier Reisebände und der „Reports", gesundheitlich elend, so manchesmal verkannt, konnte er Adolfs Tod nicht verwinden und sah die Hoffnung verblassen, jemals die gesamte Forschungsausbeute geschlossen darzustellen.
Wie treu stand Emil bei, beriet juristisch, verwaltete die Sammlungen, die ein Vermögen verschlangen und zur Veräußerung des Schlosses führen mußten, half bei den Voll- und Gruppenumzügen (nach Nürnberg, München, Berlin). Ungezählte Stunden des Packens, Sichtens, Umstellens, der Neukatalogisierung! Wenn jemand außer den ursprünglichen Besitzern das Wesen dieser edlen Sammlung überschaute, so er, dem mit zu verdanken ist, daß sie der Allgemeinheit nutzbar wurde und fast restlos in Deutschland verblieb.
Unentwegt veröffentlichte er daneben wichtige Neuerkenntnisse, wie „Geographische Verbreitung der Volkssprachen", „Ostindische Kasten der Gegenwart" u. a., bis er sich entschloß, einen neuesten Überblick über ganz Indien in Buchform zu geben. Aus allem Sammelstoff der Brüder und dem riesigen Material der indischen Volkszählung von 1868 bis 1877 baute er dies Geistesunternehmen auf zu den zwei herrlichen Bänden „Indien in Wort und Bild", ein großartiges Werk der Quellen und Zusammenfassung, was Englands Literatur bisher für diesen Kolonialbereich fehlte. Das war ein Stück Vollendung, wie Hermann es sich geträumt. Sein Wunderland mit des Himalajas ewiger Hoheit wurde nahegerückt für Auge, Verstand und Herz. Geschichte, Rasse-, Sprach-, Volks-, Erdkunde, Statistik, die Wärme schildern der Beschreibung quoll aus Text und Bildern. Die Freude ward dem müden Manne noch beschert, ehe er hinüberging, im Januar 1882, sein Sammelgut als Erbe und Pflicht an Emil hinterlassend. Vier Jahre später verschied auch Robert in dessen Armen und ließ ihn als Letzten zurück aus seiner Eltern glückhafter Ehe, und ihm allein von ihren Söhnen erblühte ähnliches Glück sonniger Ehe mit Kindersegen, zu Zweibrücken, in dem er sich seit 1880 als Assessor, Bezirksamtmann, Regierungsrat eine zweite Heimat schuf.
Hier wurde er Biograph und Chronist seiner Brüder, nach ihrem Willen all ihr Schrifttum, das er so mühsam durch lange Zeit zusammengestellt, der Staatsbibliothek in München zu übergeben. Ein ausgezeichneter Fachmann und Gelehrter, Geheimrat Dr. Leidinger, ist ihr hütender Bewahrer. Wer dank seiner Güte so Einsicht nehmen durfte wie ich, den muß Ergriffenheit rühren ob all der Geistesgröße und brüderlichen Hingabe, die der Name Schlagintweit umschließt.
Wieviel wäre verloren oder verstreut geblieben ohne Emils ordnende, besorgte Hand? Seine Familie wußte ihn nicht anders als in Manuskripten, Büchern, Korrekturen, Briefschaften, Forschungsstudien, und das alles neben dem Beruf, den er außerordentlich liebte und aufs gewissenhafteste ausübte. Erholung gönnte er sich nur, um den Seinen die Schönheit der Welt zu zeigen; immer wanderte und stieg er dann, am meisten in Vorarlberg, im. Allgäu und Ötztal, deren Landschaft und Volksart er mit
warmem Kerzen und dem Scharfblick überlegener Beobachtung kennzeichnete. Schwer traf ihn seiner Gattin, der heiteren Maurice Köhler, früher Heimgang. Ernster noch seitdem, widmete er sich mit treuester Vatersorge seinen Kindern, genau so um ihre Erziehung beflissen, wie er es aus der eigenen Lernzeit gewöhnt gewesen. Rast kannte er nicht. Er schriftstellerte, beteiligte sich am Namensstreit um den Gaurisanker, trug sich stets mit neuen Sprach' und Veröffentlichungsplänen, warf sich noch auf Familienforschung, die sein jüngster Halbbruder Max (als Oberst heuer zu Ostern gestorben), der wie seine Geschwister innig an ihm hing, emsig fortgesetzt hat.
Vor lauter Arbeit und Gedanken merkte Emil nicht, daß er müder wurde. Als er im Sommer 1904 noch einmal die Zugspitze besteigen wollte, hinderte ihn Schwäche auf der Knorrhütte. Da merkte er — das Alter kam. Es hat ihn nicht gequält. Noch im Beruf, voll Schaffenslust und Ideen, inmitten seiner Kinder schied er still und unaufdringlich, wie er gelebt, eingeschlafen im Frieden reicher Erfüllung am 10. Oktober 1904. All die Seinen ruhen, wie er, bis auf eine Tochter, Olga Schlagintweit, mit ihrer leidenschaftlichen Liebe für den Vater und der Trauer um die letzte Schwester Mathilde, die so viel von ihm erzählte und seine Bedeutung so sicher zu beurteilen wußte. Wie hatte sie recht! Sein Werk war Treue. Auch er ist Entdeckerwege geschritten, im Drang, der Brüder Forschung seiner Zeit zu nähern und verborgene Kultur zu erschließen. Glanz eines starken Namens war um ihn. Seien wir stolz, daß wir im Alpenverein ihn zu den Unseren zählen durften!
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1935, Seite 191-193

Quelle: Der Bergsteiger 1938/39, Seite 97 ff

Schlagintweit Emil, * 13.5.1826 in München, + 19.1.1882
Als Gebrüder Schlagintweit wurden die fünf Söhne (Hermann, Adolf, Eduard, Robert und Emil) des Augenarztes Joseph Schlagintweit (1792–1854) bekannt.
1853 1.Touristische Best.Treffauer,2304m, (Wilder Kaiser)
1910 1.Beg.Kleiner Wanner-Nordostgrat,III+,1080 HM,2546m, (Wetterstein)
G.Schauer, Isny im Allgäu



Geboren am:
07.07.1835
Gestorben am:
20.10.1904