Böttcher Friedrich

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Biografie:
Erlitt viele Schicksalsschläge - eine Tochter abgestürzt, ein Kind Kinderlähmung.
Apotheker in Krems
In den Jahren 1919 bis 1941 in den Ost- und Westalpen 889 Gipfel erstiegen.
Quelle: Archiv Proksch (Österr. Alpenklub)

Friedrich Böttcher
6. Februar 1907 — (+) 4. Jänner 1975
Vor mir liegt ein Schreiben: „Gudrun in den Kalkkögeln tödlich verunglückt — bitte nicht schreiben ..."
Das war der Anfang des Endes.
Mag. pharm. Friedrich Böttcher war mir ein lieber, treuer Freund; doch lernte ich ihn erst kennen, als ihm das Schicksal bereits den ersten schweren Schlag versetzt hatte.
Das wohlgeordnete, sonnige, frohe Leben des tatendurstigen Jünglings, des Studenten, Wandervogels und heranreifenden Mannes liegt weit vor dieser Zeit. Es spricht aus seinem säuberlich und pünktlich geführten Fahrtenbuch, das seine Frau Berta (aus dem großen Innsbrucker Geschlecht Lautschner) mir geliehen hat. In Stein (Krems) stand das Vaterhaus, dort wurde auch die Jugend verbracht; sehr früh starben die Eltern — Schwester Elisabeth wurde ihm Studien- und Berggefährtin. 1929 wurden beide nach gemeinsamem Studium in Innsbruck Apotheker (Mag. pharm.). 1935 übernahmen sie gemeinsam die elterliche „Engel-Apotheke" in Stein.
Nachdem der zwölfjährige Wandervogel 1919 seinen ersten Berg bestiegen und er die Ybbstaler Berge und den Hochschwab kennengelernt hatte, brachte die immer stärker werdende Verbindung mit Innsbruck auch die entscheidende Wende, zum hochalpinen Bergsteiger. 1923 führten ihn, den feinsinnigen, musisch überaus begabten jungen Menschen, die Stubaier Alpen zu innigem und innerlichem Kontakt mit dem Hochgebirge, das ihn zeitlebens in seinem Bann hielt. Mit einzelnen Abstechern in die heimatlichen Türnitzer Berge, Hochschwab, Gesäuse und Dachstein waren es nun die Berge rund um Innsbruck, die planmäßig besucht und erforscht wurden -- dazu noch viele Berge des Tauernhauptkammes und bald auch die Dolomiten, Adamello- und Presanella-Gruppe. Im Wallis wurde das Matterhorn überschritten. Mit der ihm 1933 angetrauten Gattin, Berta, erstieg er dieses neuerdings und 1935 das Zinalrothorn. In den Dolomiten war Fritz Böttcher unter anderen auf dem Zwölfer, der Kleinen Zinne, dem Cimone de la Pala und der Cima de la Madonna (Schleierkante). Viele Berge erstieg er allein — oft und oft waren Schwester Elisabeth und später Gattin Berta seine Begleiterinnen. Insgesamt hat Böttcher von 1919 bis 1941 in seinem Fahrtenbuch 889 erstiegene Gipfel verzeichnet.
Die Ehe mit Frau Berta bescherte dem Paar zwei Kinder — Elmar (1939) und Gudrun (1943). Doch schon kam der erste Schicksalsschlag: 1942 erkrankte Fritz in Südrußland an Kinderlähmung und war bis Kriegsende im Lazarett. Mit dem Bergsteigen war es für immer vorbei. Erst 1947 konnte er mühsam seinen Beruf wieder ausüben. Einige Jahre später lernte ich Böttcher kennen und bewundern. Sein eigenes Leid war vergessen, wenn er von seinen nach wie vor von ihm so sehr geliebten Bergen erzählte — und stand er früher selbst inmitten des Geschehens und Erlebens am Berg — nun war es das Tun und die Begeisterung seiner Kinder, die teils mit seiner Frau, dann auch allein oder mit Gefährten zu den Bergen zogen und ihm von ihren Erlebnissen erzählten oder schrieben. Noch wie heute dünkt es mich, wie Fritz in Lofer zu den Steinbergen blickte und mit dem Fernglas Frau und Kinder auf ihrem Wege suchte. Ein anderes Mal wieder ließ er mir — wie immer, wenn er von seinen Kindern berichtete, mit leuchtenden Augen — einen Brief lesen, in dem sie von großen Bergfahrten schrieben: wie lebte er da mit, wie begeistert war er — vergessen war das eigene Leid — er war richtig glücklich. Doch schon kam der nächste Schlag: 1969 kamen Elmar und Gudrun unter eine Lawine; die Tochter konnte gerettet werden, für Elmar kam jede Hilfe zu spät.
Nun galt alle Liebe der Eltern Gudrun, dem geliebten „Fux". Und dann — dann kam der Brief: „Gudrun abgestürzt — bitte nicht schreiben!" Am 10. Juli 1971 — an der Marchreisenspitze-Nordostwand. Lange hielt ich's durch, doch dann sandte ich ein paar Bergblumen für Gudrun. Erschütternd die Antwort: „... man spürt doch immer durch, wenn ein liebevolles Herz schlägt! Und der Gruß an das Menschenkind Gudrun! Nun liegen die Zeilen auf dem Tisch und in einem winzigen Gläschen der halbverwelkte Rest der Bergblumen. Ach, wie arm sind doch wir Menschen und wie rührend hilflos in unseren Gebärden, wenn wir uns was Liebes tun wollen! Vergebliche Tränen sind die armen, welken Blümchen und doch nicht umsonst geschenkt, denn über das Welken hinweg Zeugnis Deiner Verbundenheit ..."
Es war der Anfang vom Ende.
Wir sahen uns wieder — tapfer kämpften sich die verlassenen Eltern durchs Leben. Klein war der Kreis um Böttcher geworden. Mit unverbrüchlicher Treue hing Böttcher an unserem Klub, dem er über 40 Jahre angehört hatte, an seinem „Wandervogel" und an seinen Innsbrucker Freunden. Treu, einmal mehr in oft bewährter Kameradschaft, gaben ihm die Klubkameraden seiner engeren Heimat, zusammengefaßt als „St. Pöltner Klubrunde", wie selbstverständlich immer wieder die menschlich-helfende Hand.
Und schließlich knapp vor Weihnachten ein Brief: „Klubkamerad Seidel ist mein vertrauter Arzt. Im Herbst dachte ich noch mit leiser Sehnsucht an das Klubtreffen — nur als Wunschtraum. Wie gut, daß sich alles in seinem zugemessenen Rahmen hält ... Ein bißchen Wärme — ein wenig Zusammenklang von Stimmung und Gedanken — ein Rest von Freude über das Gute, das uns das Leben gereicht hat. Vielleicht sehen wir uns doch noch einmal ..."
Am 4. Jänner 1975 war dies glücksuchende, gebende, leidvolle Leben zu Ende. Zurück blieben die Gattin, die als Mutter all das Leid doppelt schwer erlebte, die Schwester, die ein Leben lang eine treue Gefährtin war.
Zurück blieben auch wir, seine Freunde, die wir diesen wirklich großen Menschen gern hatten, dem wir Dank schulden für all das, was er uns in seiner Bescheidenheit und in seiner Tapferkeit zum Leben gab.
Zurück blieb aber auch ein kleiner Gedichtband, den er nur denjenigen gab, an die er glaubte, „Worte der Stille":
...Einfach an jemand zu glauben,
fern oft, in Not und Drang,
das Glück kann uns niemand rauben
ein Leben lang.
Innig an jemand zu denken,
lächelnd, an Lebens Rand,
ist wie ein Blumenschenken
und — Empfangen aus lieber Hand.

Und ein Abschied:
...Dank dir, Fremder!
auch daß du mit mir
ein paar stumme
Schritte geteilt hast
und, an der Ecke dort,
noch im Abschied ein Lächeln...
Dank Dir, lieber Freund!

Rolf Werner
Quelle: Österreichische Alpenzeitung Jahrgang 93, 1975, Seite 90-92



Geboren am:
06.02.1907
Gestorben am:
04.01.1975