Martin Franz
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Biografie:
Franz Martin
*30. Mai 1892 — (+) 21. Juni 1967
Seinen 75. Geburtstag hatte er am 30. Mai noch mit seinen vielen Freunden gefeiert, und er zeigte bei frohem Sang und Becherklang auch um zwei Uhr nachts noch keinerlei Müdigkeit. Eigentlich müßte man bei ihm zwei Uhr früh sagen, denn wie viele Male in seinem Leben war er um diese Zeit schon im Anstieg auf einen der ungezählten Gipfel der Ost- und Westalpen. Unerschütterlich schien die Gesundheit dieses Mannes, der in seinem Leben niemals krank war und sowohl beruflich wie sportlich bis ins hohe Alter großartige Leistungen vollbrachte. An seinem 75. Geburtstag sprach er noch von den Bergturnfesten, an denen er als aktiver Wettkämpfer anzutreten gedachte (nur wenige Turner werden so viele Siegerkranzerl erkämpft haben wie er), und welche Bergfahrten er sich für diesen Sommer und Herbst wohl noch vorgenommen hatte. Nichts war zu sehen von dem tückischen Leiden, das damals schon in ihm gewesen sein mußte und dem er dann in kürzester Zeit erlegen ist.
Eigentlich wäre es die Aufgabe eines Nachrufs gerade in dieser Zeitschrift, über Franz Martins Bergsteigerleben zu berichten. Doch hat er uns diese Aufgabe noch selber abgenommen. Wenige Wochen vor seinem Tode hat ihn die Schriftleitung der Alpenzeitung gebeten, die Frage zu beantworten, ob unsere Bergveteranen ihrer Jugendliebe treu geblieben sind und wie dies bewiesen werde. Diesen Artikel hat er geschrieben, er wird posthum in einer der nächsten Nummern der Alpenzeitung erscheinen — zur Freude, so glaube ich, der jungen wie der alten Bergsteiger. Denn gerade er ist ein Beispiel dafür, daß kein Lebensjahr dem Bergsteigen ein Ende macht, wenn man es nur verstanden hat, sich durch eine entsprechende Lebensweise und harte Übung frisch zu erhalten, was auch im strengen Berufsleben in der Großstadt möglich ist, wenn man so wie er und mancher andere zeitig genug aufsteht und den Leopoldsberg in der Diretissima mehrmals auf und ab läuft. Dann kann man sich zum Siebzigsten einen alten Geburtstagswunsch erfüllen und das Matterhorn angehen. Doch darüber wird er selbst berichten.
Uns bleibt übrig, etwas über den Menschen zu sagen, der uns so unerwartet entrissen wurde. Sein Leben verlief, ungeachtet der turbulenten Zeitläufe und schwerer persönlicher Schicksalsschläge, in beispielhafter Zucht und Ordnung. Mit 18 Jahren hat er in seiner Geburtsstadt Graz maturiert und erwarb während des Jusstudiums auch die Reife an der Handelsakademie. 1914 rückte er zum Feldhaubitzenregiment Nr. 3 ein; in jedem der kurzen Fronturlaube legte er eine Staatsprüfung oder ein Rigorosum ab und promovierte knapp vor dem letzten Fronteinsatz im April 1918 zum Doktor juris. Er wurde mehrmals verwundet und trug unter anderem die Große Silberne Tapferkeitsmedaille und das Signum Laudis.
Schon als Student hatte er als Sekretär des Generaldirektors der Firma Greinitz in Graz gearbeitet und kam 1921 zu Felten & Guilleaume nach Wien, wo er bald Prokurist und später kaufmännischer Direktor wurde. Als solcher war er auch in inländischen und internationalen Wirtschaftsverbänden der Stahl- und Metallindustrie tätig, vielfach an leitender Stelle oder als Vorsitzender. Hier bewährten sich die gleichen Eigenschaften, durch die er während seiner ganzen Dienstzeit jeden Arbeitskonflikt vermeiden konnte: ausgleichende Grundhaltung und natürliche Autorität, die sich aus seiner Erfahrung, seinem überragenden Können, seiner starken Persönlichkeit und seinem lauteren Wesen ableiteten.
Auch große Sportorganisationen sind ja, wie man weiß, nicht leicht zu führen. In Dr. Martin fand man hiefür den richtigen Mann. Auf Grund seiner Erfolge als Obmann des Wiener Schiklubs wurde er 1928 Sportwart des Österreichischen Schiverbandes und Vorsitzender in dem von der FIS eingesetzten Komitee zur Ausarbeitung von internationalen Wettkampfregeln für Abfahrt und Slalom. Fünfmal hatte er zu Pfingsten das Abfahrtsrennen am Großglockner durch die steilen Gletscher höchstpersönlich ausgeflaggt. Wegen seiner Leistungen als Sportwart des ÖSV ist Dr. Martin auch in den Vorstand der FIS berufen worden, wurde Ehrenmitglied des Schiverbandes von Großbritannien und des Kandahar-Schiklubs, erhielt das Goldene Ehrenzeichen des ÖSV und mehrere Ehrenabzeichen ausländischer Schiverbände. Bei den Olympischen Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen 1936 wurde Dr. Martin zum Führer der gesamten österreichischen Mannschaft berufen.
Über die Entwicklung des sportlichen Schilaufs in Österreich hat Dr. Martin in der Festschrift des 100. Stiftungsfestes des Akademischen Turnvereines Graz (1964), dessen Ehrenmitglied er war, selbst berichtet; ebenso über das Bergsteigen. In Graz war nach dem ersten Weltkrieg der Verein „Turnerbergsteiger" begründet worden, wo sich die Alpinisten schärferer Richtung aus allen Grazer Turnvereinen zusammenfanden. „Und damit war eine Vereinigung entstanden", erzählte Dr. Martin, „die für Graz und die Steiermark ungefähr die gleiche Einstellung zu den Bergen einnahm wie der Österreichische Alpenklub in Wien für ganz Osterreich. Für die Aufnahme in den ÖAK muß nicht nur eine größere Anzahl von Hochtouren nachgewiesen, sondern auch eine für das ganze Leben anhaltende innere Verbindung zur Alpenwelt und zum Bergsteigen gesichert und vor allem die charakterliche Haltung eines echten Bergsteigers gewahrt sein." Nebenbei sei erwähnt, daß heute noch folgende Mitglieder des Grazer Akademischen Turnvereins dem ÖAK angehören: Dipl.-Ing. Fritz Fink, Dr. Otto Reisch, Dr. Hans Schäftlein, Dr. Helmuth Schmid, Dr. Ferdinand Seidler und Dr. Kurt Wallenfels,
1912 erhielt der Bruder eines Grazer ATVers, Dr. Richard Weitzenböck, einer der erfolgreichsten Bergsteiger seiner Zeit, vom ÖAK den Auftrag, einen Führer durch die Montblanc-Gruppe zu verfassen, und er hat damals zusammen mit Dr. Martin die weniger bekannten Aufstiege und Routen in den Aiguilles von Chamonix, wie Requin,
Geant, Tacul, Moine, Verte, begangen.
Seine Weltanschauung, die so entscheidend durch Leibesübungen und Bergsteigen bestimmt war, faßte Dr. Martin selbst in die schönen und tiefsinnigen Worte zusammen: „Fast alle Leibesübungen ohne Unterschied enthalten in irgendeinem Ausmaße jene Erscheinungen, die wir als die Voraussetzungen des kulturellen und nationalen Lebens bezeichnen können: den Willen zum Leben in Gefahr, die Bejahung des Risikos als tragen¬des Motiv des Lebens oder des Risikos in der natürlichen Bewährung des Menschen; sie bedeuten eine Stärkung des Selbstbehauptungswillens und gehören zur männlichen Haltung überhaupt. Darüber hinaus aber schenkt uns das Bergsteigen, mehr als jede andere Leibesübung, jenes besondere Glücksgefühl, dessen Herkunft und Ursprung uns unerklärlich und unerforschlich scheint, jenes befreiende Gelöstsein von aller Last und allem Drucke des Alltags, kurz das Gefühl des Wirklichglücklichseins. Wir empfinden dieses Gefühl manchmal neben der Freude über einen Gipfelsieg, dann wieder bei einer einfachen Wanderung über die weichen Wiesen der Almböden und dann wieder schon beim Anblicke der geliebten Berg- und Almblumen. Dieses Glücksgefühl ist also höher und tiefer als die Freude an der Natur oder die Freude an der körperlichen Leistung."
Wer so denkt, und wem es vergönnt ist, fast bis in die letzten Tage seines Lebens danach zu leben in voller und unbehinderter Kraft und Freude, der hat ein reiches, schönes Leben nicht nur hinter sich gebracht, er hat es in allen seinen Tücken gebändigt.
Es wird uns allen gut tun, das Andenken an Dr. Franz Martin hochzuhalten.
Manfred Jasser
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1967, November/Dezember, Folge 1356, Seite 155-157
Geboren am:
30.05.1892
Gestorben am:
21.06.1967