Turnovsky Kurt

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Biografie:
Kurt Turnovsky
*28. November 1913 ? (+) 19. April 1976
Wenn einem ein lieber Freund stirbt, mit dem zusammen man längere Strecken in der vergangenen Lebenszeit durchmessen hat, dann pflegt man zu sagen, mit ihm sei ein gutes Stück Jugend zu Grabe gesunken. Das stimmt natürlich nur bedingt und im übertragenen Sinn, da man ja seine eigene Jugendzeit in der Erinnerung stets bei sich hat. Aber schmerzlich ist es auf jeden Fall!
Meinen lieben Freund Kurt Turnovsky habe ich kennengelernt, als er sich, um Ende Juni 1933, als Teilnehmer an dem ersten von mir geleiteten hochalpinen Ausbildungskurs in Fels und Eis (?Eiskurs") des ÖTK mit Stützpunkt Defreggerhaus in der Venedigergruppe anmeldete. Meine seit 1934 stark zunehmende Betätigung bei der schon 1926 gegründeten Bergsteigerschule des ÖTK fand in ihm einen in zunehmendem Maße eifrigen Helfer. Zu Beginn 1935 fand er Aufnahme in den Kameradenkreis der im Oktober 1929 gegründeten Bergsteigergruppe des ÖTK; damals trat auch erstmals seine außerordentlich starke schriftstellerische Begabung hervor, die ihn in der Folgezeit zur Abfassung ungezählter alpiner und populärwissenschaftlicher Aufsätze veranlaßte. Seine berufliche Laufbahn, die ihn über das Doktorat in Geologie und Paläontologie zum Erdölgeologen werden ließ, hat ihn in seinem bildungsmäßigen Interessenfeld nie in Scheuklappen gezwungen; ganz im Gegenteil: Es war ihm wie selten einem anderen gegeben, über eine Frage eine so phänomenale Zusammenschau quer durch verschiedene Wissens- und Sachgebiete von so erstaunlicher Breite und noch mehr erstaunlicher Reife zu schaffen. Dabei bewies er neben diesem wissenschaftlichen Weitblick ohnegleichen eine besonders tiefe Kenntnis der Geschichte, von der sich der weite Bogen über die Erdkunde bis zur genauen Kenntnis der Erdgeschichte und jener ihrer einstigen Bewohner spannt. Im Zuge seiner Berufsarbeit bildete er sich zum vorzüglichen Kenner der Ostracoda (Muschelkrebse) heran, die als Leitfossilien von großer Bedeutung sind. Zusammen mit Adolf Papp schrieb er das Werk: ?Drachen und Echsen" (Lebensbilder aus der Vorzeit), das 1954 in Wien erschienen ist. Im Jahre 1960 kam dann in Wien von ihm unter dem Schriftstellernamen Kurt Dornau ?Wilde weite Urwelt" heraus, eine phantasievolle, aber stets wissenschaftlich fundiert bleibende Reise in die Welt vergangener Erdzeiten. Es wird also nicht wundernehmen, wenn man erfährt, daß er seitens des Paläontologischen Instituts der Universität Wien sowie auch der entsprechenden Abteilung des Naturhistorischen Museums in Wien für die Einreichung um Zuerkennung des Professorentitels, den er schon zu Lebzeiten vollauf verdient hätte, vorgesehen gewesen ist.
In bergsteigerischer Beziehung hat Turnovsky die Ortlergruppe, die Dolomiten und die Bergwelt des Gesäuses am besten kennengelernt und war zu allen Zeiten begeisterter Bergsteiger, erschienen ihm doch die Berge gewissermaßen als Sinnbild für die erlernte Geologie. Von seinen Touren seien herausgegriffen: Ortler, Königsspitze und eine Über-schreitung der Vertainspitze; Zwölfer und Kleine Zinne, Grohmannspitze-Südwand und Überschreitung der drei südlichen Vajolett-Türme, der (selten ausgeführte) Jungführer-Anstieg auf den Großen Murfreidturm, Überschreitungen der Fünffingerspitze (mehrmals) und des Dritten Sellaturms, ferner Campanile Basso (Guglia di Brenta) und eine Über-schreitung des Castelletto inferiore; Nordwestkante des Großen Ödsteins, Nordwand des Nördlichen Peternschartenkopfes, Nordwestgrat der Planspitze, Pfannlanstieg über die Nordwand des Hochtors, Kalbling-Südgrat. Weiters wären zu nennen schwierige Fahrten in der Glocknergruppe (Totenkopfgrat) und der Granatspitzgruppe (erste Ersteigung und Überschreitung der Keeswinkelköpfe mit dem Keeswinkelturm, 1937), in der Hochschwabgruppe und den Lienzer Dolomiten. Zahllos waren natürlich die Fahrten in den Wiener Hausbergen, die schwierigeren davon gewöhnlich vor oder nach Führungen der Bergsteigerschule des ÖTK. So konnte er die 6. Begehung des Westanstiegs über die Preiner-Wand-Platte, eine frühe der Blechmauernverschneidung und die 2. Begehung der Südwand des Baumgartnerturms (Hohe Wand) für sich buchen. Mit Karl Kunetits gelang ihm 1937 die erste Begehung des äußerst schwierigen Kurt-Reifschneider-Steiges auf der Hohen Wand, die Erkletterung der Vilma-Abseilfahrt im Aufstieg. Im fernen Persien, wo er (neben Burma und Kleinasien) als Erdölgeologe tätig war, gab es eine Überschreitung des Kuh-i-Bingistan (1900 m) über den Westgrat und nach Nordosten sowie eine solche des Kuh-i-Landar (1000 m) mit der Westwand im Aufstieg. Auch in Anatolien hat er Berge erstiegen und ebenso Ersteigungen in den Vorbergen des Himalaya unternommen, als er im Zweiten Weltkrieg in Indien interniert war ? dem ÖAK gehörte er seit dem Ende des Jahres 1948 an.
Unter den verschiedenen Berggefährten meines Lebens war Kurt eigentlich der einzige Akademiker; ich habe mir nämlich nie Bergbegleiter nach dem Beruf gesucht, doch mit ihm hatte sich eine hohe geistige Übereinstimmung gefügt. Was wir vor, zwischen und nach Bergfahrten ?gefachsimpelt" haben, das erschiene den meisten Menschen fast unglaubwürdig! Aber auch der Humor kam nicht zu kurz; so, als wir für Berg- und andere Namen im Gesäuse italienische Bezeichnungen zu erfinden begannen, in bitterer Ironie darüber, daß sich Österreich um die Mitte der dreißiger Jahre allzu stark ? nach unserer Meinung ? politisch an Italien anlehnte. ? Manchmal machte Kurt Hinweise, die seine überragende Belesenheit blitzartig zu Bewußtsein brachten; so ist mir aus den letzten Jähren ein Hinweis auf ein (mir bis dahin unbekannt gebliebenes) Gedicht von Platen in Erinnerung, das in prophetischer Weise eine Entwicklung der Jetztzeit vorausahnte. ? Als mein Begleiter befuhr der Verblichene erstmals die Bergkameraden-Abseilfahrt und beging den Akademikersteig, beide 1934 auf der Hohen Wand. Im Jahre 1935 begingen wir dann gemeinsam den sehr hübschen, leider nur kurzen Ostanstieg auf den südlichen Vorgipfel (von mir ?Laurinskopf" genannt) des Südgipfels der Laurinswand in der Rosengartengruppe, deren trennende Scharte sich ohne besondere Schwierigkeiten auch vom Osten her erreichen ließ, wie wir mit zwei Kameraden dann im Sommer 1953 feststellen konnten. Im Sommer 1948 war er dann noch mein Begleiter bei der ersten Begehung der Südwand der Seemauer in der bisher noch (Gott sei Dank!) still dahinträumenden Jahrlingmauergruppe südöstlich der Heßhütte im Gesäuse. Nicht vergessen soll sein, daß Kurt auch mein Begleiter war, als bei mir der Gedanke einer ?Planspitze-Nordwandpromenade" zur Welt kam.
So viele bergsteigerische und wissenschaftliche Aufsätze und Arbeiten er auch veröffentlicht hat, als Verfasser schöngeistiger Literatur ist er leider weitgehend unbekannt geblieben. Hinweise auf diese seine großen Fähigkeiten finden sich in alpinen Aufsätzen oder Gedichten im Bereich des ÖTK, doch kann man sie auch aus dem schönen Gedicht ?Werden" im Jahrgang 1935 unserer ÖAZ erahnen. Ich habe mehrere seiner Novellen im Manuskript gelesen, mit eigenartiger Kraft und Emotion geschrieben, so z.B. ?Das Tor des Gewesenen" oder ?Amtmanns Galgen" (die Felssäule an der Straße nach Johnsbach hinein!); leider hat sich bisher noch kein Verleger gefunden, was höchst bedauerlich ist, zumal sie keineswegs etwa in antiquiertem Stil geschrieben sind. ? Über meine Anregung hin hat er ?Gedanken zu Eugen d'Alberts Musikdrama ?Tiefland' und zum Mythos vom Berg" (scheint doch das Symphonische Vorspiel von ?Tiefland" besser eine musikalische Deutung der Berge zu geben als etwa die Alpensymphonie von Richard Strauß!) in der ÖTZ 1952 veröffentlicht, wobei der weite Bogen seiner Überlegungen von Henrik Ibsen zur indischen Mythologie reicht. Unter den Blüten von Kurts Lyrik ist wohl die mir gewidmete alpine Ballade ?Der Tod am Seil" an einer der vordersten Stellen zu nennen, eine der seltenen Balladen mit gutem Ausgang (ÖTZ 1946). Das noch ungedruckte Gedicht ?Ding um den Berg", das ich einmal in der ÖTZ bringen wollte, wozu es aber dann nicht gekommen ist, zeigt wie kaum ein anderes sein Verhältnis zum Berg und scheint eine Brücke zwischen früherer und jetziger Einstellung zum Bergsteigen zu bilden.
Von seinem sonstigen Lebensgang und seinem unerwarteten, viel zu frühen Tod habe ich einiges schon geschrieben und an anderer Stelle zur Veröffentlichung freigegeben. Es wäre müßig, das hier zu wiederholen, wo ihm doch hier ein Gedenken geweiht sein soll, ihm, den ich nie vergessen werde, weil ich ihn nicht vergessen kann. ? Beim Leichenbegängnis am 7. Mai 1976 auf dem Wiener Zentralfriedhof sprach unser Klub-präsident Ing. Dr. h. c. Carl Rind tief empfundene Worte des Abschieds und warf ihm das Klubabzeichen auf den Sarg im offenen Grab.
Das Leben hat unserem Kameraden Dr. Turnovsky im Lauf der Jahrzehnte sehr schwierige Probleme gestellt, mit denen er zu ringen hatte ? und gerungen hat. ? Am 20. April 1976, am Tag nach seinem Tod, von dem ich an diesem Tag noch nichts wußte, las ich an einer Sonnenuhr in Villach einen Spruch, den ich mir damals nichtsahnend aufschrieb und der doch wie selten einer auf Kurts Leben paßte; er sei als Schlußsatz hierher gesetzt:
Jede Stunde bringt Kampf, die letzte den Frieden.
Dr. Robert Hösch
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1976, November/Dezember, Folge 1410, Seite 160-162


Geboren am:
28.11.1913
Gestorben am:
19.04.1976

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