Südostwand

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Routen Details:
Die Eichhamspitze in der Venediger Gruppe.
Von Adolf Gauster in Wien.
Die alpine Literatur berichtet nur wenig über die Erschliessung und Durchforschung des südöstlichen Theiles der Venediger Gruppe. Thatsächlich waren es auch grösstentheils nur einheimische Mineraliensucher und Gemsjäger, welche vollen Einblick in die innersten Geheimnisse dieses Theiles erhielten. Touristische Excursionen sind wenige zu verzeichnen. Einige Klarheit in Bezug auf Gliederung und Nomenclatur wurde erst durch die verschiedenen Detailaufnahmen der Militärmappierung erzielt. Doch finden sich zwischen den einzelnen Kartenwerken noch namhafte Differenzen.
In Anbetracht der grossartigen, pittoresken Bergformen und wildzerrissenen Hängegletscher, die jeden Beschauer in Erstaunen setzen, wäre es zu wünschen, dass die verhältnissmässig leicht zugänglichen Hochthäler häufiger von Touristen besucht würden. Die Ersteigung der Gipfel und Scharten erfordert allerdings die Gewandtheit und Sicherheit eines guten Kletterers und, da die Bergführer fast gar nicht.mit der Gruppe vertraut sind, auch einen tüchtigen Orientierungssinn. Der Culminationspunkt der Gruppe, die sogenannte Vordere Eichhamspitze (3367 m.), und deren Besteigung sollen hier Hauptgegenstand meiner Besprechung sein. Als Ausgangspunkt wählte ich die Ortschaft Virgen im Iselthale. Von hier gieng ich am 1. September 1895 in Begleitung des Führers Paul Resinger nach Obermauern und dann in nördlicher Richtung auf gutem Pfade im Nillthale aufwärts bis zum letzten Heuschupfen (ca. 2250 m.), wo wir nach zweistündigem Marsche anlangten. Hier wurde genächtigt und um 5 U. morgens aufgebrochen. Anfangs gieng es über Käsen und Geröll thaleinwärts zu den Felsen unterhalb der Gletscherzunge. Das Klettern in den ca. 40° geneigten, abgeschliffenen Felsen verursachte einige Schwierigkeiten. Mit Hilfe der Steigeisen erklommen wir auch die Böschung der Gletscherzunge. Wir gelangten bald in die Firnregion des Nillgletschers und strebten, immer in nördlicher Richtung ansteigend, der Randkluft zu, die wir um 7 U. 15 erreichten. Die Uebersetzung derselben war mit ziemlichen Schwierigkeiten verbunden, da die Breite an der schmälsten Stelle 1 m. betrug und der obere Rand infolge der starken Neigung der Firnfläche bedeutend höher war als der untere. Jedoch wird die Gefahr durch, die richtige Handhabung des Seiles wesentlich vermindert. Nach Ueberwindung der Kluft wurde stufenschlagend in nördlicher Richtung etwa 30 m. angestiegen und die Felsen des Gipfelmassives erreicht. Nun gieng es im Zickzack ziemlich steil und exponiert über die Schieferwand hinan, zuletzt westlich auf dem messerscharfen Grat zur Spitze, die wir um 8 U. morgens betraten. Ein Steinmann wurde nicht vorgefunden, aber in einer Flasche gewahrten wir einige Visitkarten, von denen wir nur die der Herren Benzien und Meynow entziffern konnten.
Ein überaus grossartiges Panorama (dem des Venedigers nur wenig nachstehend) entrollte sich vor unseren Blicken. Die ungeheuren Wandabstürze gegen das Wallhorn- und Frossnitzthal, sowie die unmittelbare, jedoch die Fernsicht nicht beeinträchtigende Nähe des Venedigers, Geigers, der Dreiherrenspitze und Röthspitze üben einen fast überwältigenden Eindruck aus. Die Dolomiten präsentieren sich von keinem Punkte der Hohen Tauern so grossartig als eben von unserem Gipfel. Im Südosten schweift der Blick bis gegen Krain und Croatien. Da wir noch einen beschwerlichen Abstieg über den Mail-Frossnitzgletscher vor uns hatten, brachen wir bereits um 8 U. 30 auf und kletterten über die weichen, aber nicht steingefährlichen Felsen hinab zu unseren Stufen oberhalb der Bergkluft. Diese wurde in sitzender Stellung übersetzt, sodann über den massig geneigten Firn des Nillkeeses in südöstlicher Richtung abgefahren. Wie bereits erwähnt, war unsere Absicht, in das Frossnitzthal abzusteigen; zu diesem Behufe steuerten wir der östlich gelegenen Seulescharte (zwischen Eichham und Seulekopf) zu, die wir über flachen Firn um 9 U. 15 erreichten. Auf der anderen (Ost-) Seite übersetzten wir vermittelst einer Schneebrücke die Randspalte und stiegen in östlicher Richtung über Schnee anfangs sachte, später ziemlich steil hinab und geriethen in einen furchtbaren Gletscherbruch, aus dessen Spaltenlabyrinth nur schwer ein Ausweg zu finden war. Wir querten unter Stufenhauen eine 45° geneigte, apere Eislehne und gelangten auf einen geröllbedeckten Felsgrat, der sich steil vom Eichham in östlicher Richtung herabsenkt. Hier erkannten wir beim Zurückblicken, dass wir weit schneller und gefahrloser herabgekommen wären, wenn wir unseren Abstieg am Rande der Felsen genommen hätten. Nunmehr gieng es über lose Trümmer auf der Nordflanke des Kammes hinab zur Moräne des grossen Mail-Frossnitzgletschers. Nachdem wir über blankes Eis und Moränentrümmer das Gletscherende erreicht hatten, marschierten wir über Geröll und Wiesenflecken (die sogenannten Mailböden) thalauswärts. Unbeschreiblich grossartig präsentieren sich die wildzersägten, schwarzen Mauern des Frossnitz-Virgener Scheiderückens (darunter die Gipfel des Galgenkopfes, der Mittereggspitze, des Schusters, Schneiders, Ochsenbugs etc.). Um 11 U. 45 mittags gelangten wir zur Alpe Frossnitz. Wegen gänzlichen Proviantmangels verliessen wir dieselbe bereits um 12 U. 15 und eilten über Katal durch das enge und wildromantische Frossnitzthal hinab nach Gruben und durch das Tauernthal hinaus nach Windisch-Matrei, das um 2 U. 45 erreicht wurde.
In Anbetracht der erwähnten Naturschönheiten und des kurzen, interessanten Aufstieges möchte ich jeden geübten Berggänger, der das Iselthal besucht und etwa den Venediger oder Glockner bereits kennt, auffordern, meine Tour zu wiederholen. Bei schlechten Schneeverhältnissen wird man vielleicht von der letzten Hütte auf die Spitze 3 1/2 bis 4 St. benöthigen; aber man wird unter allen Umständen sehr befriedigt zurückkehren.
Zum Schlüsse erlaube ich mir, auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der es ermöglichen könnte, auch minder geübten Touristen den Gipfel der Eichhamspitze zugänglich zu machen. Es sind nämlich die Felsen von so weicher Beschaffenheit, dass mit wenigen Hieben eines Arbeiterpickels ein förmlicher Serpentinenweg hergestellt werden könnte. Ich schliesse mit dem nochmaligen Wunsche, dass die prächtige Eichhamspitze häufigeren Besuch erhalte und ihre Besucher in dem Maasse wie mich zufriedenstellen möge.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1896, Seite 96-97;

Quelle. Austria Nachrichten 1896, Seite 20
Datum erste Besteigung:
01.09.1895
Gipfel:
Eichham Hoher
Erste(r) Besteiger(in):
Gauster Adolf
Resinger Paul (Führer)