Westgrat

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Routen Details:
Zu unserem Verdruss setzte am Nachmittage Westwind ein, der auf einige Zeit das Wetter wieder gründlich verdarb. Am 14. Juli regnete es in Zwischenräumen, am 15. Juli aber den ganzen Tag ohne Unterlass. Trotzdem trafen im Laufe dieses Tages einige Touristen ein, unter ihnen Herr Joh. Edm. Strauss aus Wien. Regen und Nebel erwarteten wir auch am 16. Juli, als wir um 7 U nach dem Wetter schauten. Doch welche Ueberraschung! Die Nebel hatten sich zertheilt und liessen einen tiefblauen Himmel hindurchschimmern. Jetzt hiess es eilen, eine fieberhafte Thätigkeit wurde entwickelt. Als Erster brach um 7 Uhr 15 Herr Strauss mit seinem Pfitscher Führer zum Greiner auf, wir folgten um 7 U 30.
Unsere Absicht war, vom Ochsnerkar über den Westgrat den aussichtsreichen Ochsner zu besteigen. In fast nördlicher Eichtung klommen wir pfadlos die steilen, mit Alpenrosengesträuch und Latschengestrüpp dicht bedeckten Hänge bergan, mit wachsender Höhe nahmen die Beschwerden zu, indem nun glatte Platten und Felsabstürze sich noch hindernd in den Weg stellten. Nach hartem Kampfe mit den zähen Latschen befanden wir uns auf der ersten Stufe. Vor uns lag eine nicht unbedeutende, öde Schlucht, Schneeflecke und kleine Wassertümpel bedeckten die Sohle, die wesentlich aus durchlöchertem Moorboden bestand. Eine Umgehung dieses Hindernisses brachte uns zum zweiten Hang. Easch erstiegen wir ihn; oben angelangt bot sich dieselbe Erscheinung, nur waren diesmal die Schluchthänge so steil, dass eine grössere Umgehung nach 0sten vorgenommen werden musste. Diese characteristischen Schluchten, deren wir noch dreien begegneten, vertiefen sich bei ihrem südwestlichen Verlauf nach dieser Eichtung rasch und zeigen stellenweise senkrechte Wände. Diesem bösen Terrain ist es zuzuschreiben, dass wir uns erst gegen 9 U 30 im Ochsnerkar befanden, etwa in 2500 m Höhe; hier hielten wir Frühstücksrast. Uns gegenüber erhob der Grosse Greiner sein trotziges Haupt; eifrig spähten wir hinüber, da sahen wir in der vom unteren Schneesattel emporziehenden steilen Schneerinne Herrn Strauss mit seinem Führer. Trotzdem das Wetter wieder schlecht geworden und sogar leichter Schneefall eingetreten war, drangen sie doch auf dem schwierigen Berge muthig in die Höhe. Das wirkte ermuthigend auf uns, um 10 U 15 gingen auch wir weiter. Längs des äusserst wild zerrissenen SSW.-Grates gelangten wir über nicht steile, • noch harte Schneefelder in kurzer Zeit auf das am Fuss der Südwestwand sich ausbreitende kleine Kees, das wir gegen N. überquerten. Staunend musterten wir die Wand, sie besteht bei ihrer bedeutenden Steilheit gänzlich aus Trümmern, an ihrem Fusse liegen Berge von Geröll und Schutt. Unser Ziel war eine im Westgrat gelegene Schneescharte, zu der ein steiles gewundenes Couloir führte. Die vielen Steine an seinem Ausgange hatten uns stutzig gemacht, wir mussten versuchen, schnell in die Höhe zu kommen. Als wir in halber Höhe waren, hörten wir aus einem etwas tieferen Seitenast das unheimliche Gepolter des Steinschlags. Hans schlug jetzt mit fieberhafter Eile Stufen, zum Glück weitete sich die Rinne bald, der Schnee trug wieder und ohne Unfall erreichten wir die Scharte (11 U 15). Erschütternd war der Blick über die fast senkrechten Wände hinab zur Gunkelplatte. Dicht vor uns stieg der Grat steil in die Hohe. Anfangs kamen wir auf dem ihn deckenden Schnee rasch empor, als sich aber grössere Wächten zeigten, mussten wir die entsetzlich steilen Schneehänge der Gunkelseite betreten, nicht ohne Furcht, der weiche Schnee möchte mit uns in die Tiefe rutschen. Ohne Seil musste Jeder sehen, wie er sich am Besten vorwärts bewegte, an gegenseitige Hilfe wäre hier nicht zu denken gewesen. Man kann sich vorstellen, dass wir herzlich froh waren, als dieser böse Gang bei einigen Gratzähnen sein Ende erreichte. Eine interessante Kletterei über scharfe Schneiden, zerfressene Platten, Thürmchen und Zacken folgte jetzt, leider währte sie nicht lange, da der Grat jetzt wieder ganz zur Schneeschneide ward. Trotz der auf der Südseite hängenden Wächte wollten wir uns doch lieber hier durchschlagen, als noch einmal die Firnhänge der Nordseite betreten. Hans hielt es sogar für das Beste, unter der etwa 1 l J2 m hervorstehenden Wächte in gebückter Stellung die Südwand zu queren. Das etwas gewagte Vorhaben gelang vortrefflich; wir kamen nun zu einem etwa 2 m hohen glatten Felsabsturz, dessen Ueberwindung erhebliche Mühe verursachte, so dass wir beschlossen, einige Minuten zu rasten. Von hier an zog ein ununterbrochener Schneegrat zur nicht mehr fernen Spitze. Bald nach unserem Aufbruche begann der mühsame Aufstieg unter einer neuen Wächte, aber schon nach kurzer Zeit begann Hans auf die Südwand hinauszutraversiren. Wir folgten, hatten guten haltbaren Schnee unter uns und konnten die Spitze leichter als wir gedacht ersteigen. Um 1 U 30 war der Gipfel des Ochsners 3106 m erreicht. Kein aperes Plätzchen zeigte sich, nur die Spitze des Steinmanns ragte aus dem Schnee hervor. Die höchste Erhebung lag gegen NO., es war eine mehrere Meter hohe Schneeaufwehung, die gegen N. fast senkrecht abfiel. Uns interessirte wesentlich die nähere Umgebung, der Glanzpunkt im Ochsnerpanorama. Wir sind mit Herrn Purtscheller überzeugt, dass »unter allen Gipfeln der Zillerthaler-Gruppe den Grossen Greiner ausgenommen — der Ochsner den schönsten und umfassendsten Einblick in die orographischen Verhältnisse der centralen Hauptkette bietet« (»Mitteilungen. d. D. u. Ö. A.-V.« Bd. X, S. 374). — Um 2 U 45 brachen wir nach Zurücklassung einer Karte auf und gelangten, den Spuren des Anstieges folgend, schnell und ohne Missgeschick auf den erwähnten Schneesattel.
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1887, Seite 14
Datum erste Besteigung:
16.07.1886
Gipfel:
Ochsner
Erste(r) Besteiger(in):
Benzien C. (Berlin)
Hörhager Hans
Noster C. (Berlin)