Liebener Leonhard von

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Biografie:
Von der Liebenerspitze und dem Mann, nach dem sie benannt ist
Zum 100. Todestag Leonhard von Liebeners am 9. Februar 1969
Welchem Sommer- und Wintertouristen, besonders in Tirol, wäre nicht die Liebenerspitze im Gurgler Eiskamm bekannt, der kühne Doppelgipfel aus Eis und Fels mit seinen 3402 Höhenmetern die auffälligste Erhebung des Ötztaler Grates zwischen Hochfirst und Hochwilde ?
Der Urgebirgskoloß ist aufgebaut aus einem Gemenge aus Gneis und Chloritschiefer, in den, wie bei den Nachbarspitzen Granatkogel und Hochfirst, Granaten eingebettet und in ihrer ungeheuren Anzahl direkt am Aufbau des Gebirges mitbeteiligt sind. Die Granaten sind an der Oberfläche oft schön auskristallisiert, zuweilen in ansehnlicher Größe; Hirten im hintersten Passeier erzählten dem Verfasser, daß ihnen solche hervortretenden Granaten („Knöfl") als Griffe beim Klettern in den felsigen Südhängen dienten. Der Doppelgipfel überragt etwa um 200 Meter die obersten Steilhänge der beiden bekannten Gletscher, die er ins innerste ötztal entsendet: des Rotmoos- und des Gaisbergfemers. Diese oberste Bastion ist gegen den Rotmoosferner zu zeitweise eisfrei oder nur mit dünnem Schmelzeis über dem gerölligen Steilfelsen bedeckt. Nach Süden, d. h. nach Südtirol zu, ist der Abfall aper, felsig und ungeheuer steil; man hat das Gefühl, fast senkrecht in die Wurzeln der innersten Täler des Passeier- des Pfelders- und des Seewertales hinabzublicken. Die Tiefendifferenz beträgt fast 2000m. Läßt man den Blick in die Weite schweifen, so verliert er sich zwischen dem bleichen, mehr unscheinbaren Gemäuer der Dolomiten zur Linken und den fernen Eisfeldern der Pre8anella- und Adamellogruppe zur Rechten, in die Unendlichkeit des Südens. In einer frühen Landesbeschreibung, ich glaube von Beda Weber, konnte ich lesen, daß kühne Wanderer und Träger aus Pfelders aufsteigend, das Imsterjoch*, die auch schon über 3000 m hoch gelegene tiefste Einsenkung im Gurgler Eisgrat südwestlich der heutigen Liebenerspitze benützten, um aus dem Meraner Raum über das Ötztal auf kürzestem Wege nach Imst und ins obere Inntal zu gelangen. Dieser Übergang war, nebst dem Timbljoch, besonders zu Kriegszeiten, wohl seit alters der sicherste, wenn auch kühnste Weg für Botengänge — freilich nur während der Hochsommerzeit gangbar. Beda Weber schildert echt romantisch, wie diese kühnen Jochgänger, wenn sie frühmorgens an einem klaren Tag, fast ohne Trittspuren zu finden, sich den endlosen felsigen Steilhang hinaufarbeiteten und, schon der Kammhöhe nahe, zum Verschnaufen den schwindelnden Blick nach rückwärts richteten, wie sie dann im leeren Raum alle Berge Süd- und Welschtirols weit unter sich sahen und im Süden ihnen der Spiegel der Adria erglänzte. Noch schöner würde dies Schauspiel wohl vom Gipfel der damals freilich noch nicht erstiegenen Liebenerspitze zu sehen sein! Allerdings hat dem Verfasser noch kein Ersteiger der Liebenerspitze vom Anblick der Adria berichten können, so daß man versucht wäre anzunehmen, daß etwas „Jäger- oder Hirtenlatein" der Bewohner von Pfelders in Beda Webers romantische Schilderung eingeflossen ist.
Wann nun ist die Liebenerspitze erstmals erstiegen worden? Im Jahrbuch 1874 des Deutschen und österreichischen Alpenvereins berichtet Victor Hecht über diese Erstersteigung der Liebenerspitze, die er 1872 unter Führung des berühmten Vintschgauer Bergführers Pinggera — des nämlichen, der den berühmten Nordpolforscher v. Payr etwas abenteuerlich über die Gipfel der Ortlergruppe geführt hatte — vollbracht hat. Der hundertste Todestag Leonhard von Liebeners, dessen Namen die Liebenerspitze trägt, gab dem Verfasser dieses Aufsatzes, einem Urenkel Liebeners, Anlaß, der Namengebung des Berges nachzuforschen. Es lag nahe, einen Beschluß des allerdings erst 1869, drei Jahre vor der Erstersteigung, gegründeten Deutschen und (Österreichischen) Alpenvereins über die Benennung des Gipfels zu vermuten, da der 1869 verstorbene Liebener wegen hervorragender Verdienste um die geologische Kartographie, um die Mineralogie und den Straßen- und Brückenbau Tirols im Jahre 1868 in den Adelsstand erhoben worden war. Es fand sich aber trotz bereitwilligster persönlicher Nachforschungen des em. Alpenvereinsvorsitzenden Herrn Univ.-Prof. Dr. Hans Kinzl kein solcher Beschluß in den 1870 beginnenden Protokollen des Vereins. Also mußte weiter zurückgegangen werden.
Fortgesetzte Nachforschungen des Verfassers führten ihn auf das 1860 bei Justus Perthes, Gotha, erschienene Werk Carl von Sonklars: „Die Ötztaler Gebirgsgruppe mit besonderer Rücksicht auf Orographie und Gletscherkunde". Sonklar, Geographieprofessor an der k. k. Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, hatte in den Fünfzigejahren über höheren Auftrag die Gletscherketten Zentraltirols zu erforschen; wie er im Vorwort ausführt, war ihm dabei das Vorrecht eingeräumt worden, für wichtigere Berggipfel, die noch keinen kartierten oder landesüblichen Namen trugen, die Benennung selbst vorzuschlagen. In seinem zitierten Werk schlug Sonklar (Einleitung S. VII) für den in Rede stehenden markanten Gipfel des Gurgler Eiskammes die Benennung nach dem Tiroler Landesbaudirektor Leonhard Liebener vor, der sich um die geognostische Erforschung des Landes große Verdienste erworben und ihn selbst bei seiner Forschungstätigkeit wesentlich unterstützt habe. Mit der Veröffentlichung dieses Buches 1860 galt die Benennung der Liebenerspitze als vollzogen. Sonklar hatte noch persönlich die Höhenmessung dieses Gipfels (und vieler anderer) in „Fuß" vorgenommen und in seinem Buch veröffentlicht, die Umrechnung von Fuß auf Meter (das Metermaß wurde in Österreich erst in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eingeführt) ergab die Höhe von 3402 m, d. i. die nämliche Höhe, die heute noch in den alpinen Karten für die Liebenerspitze eingetragen ist².
Soweit also von der Liebenerspitze, ihrer markanten Lage als ein Trennungspfeiler zwischen Nord- und Südtirol und der für die Alpin-Geographie bedeutsamen Geschichte ihrer Benennung durch den Alpingeographen Carl von Sonklar — nach welchem übrigens ein Hauptgipfel der Stubaier Alpen benannt ist; Anlaß und Zeitpunkt dieser Benennung gelegentlich aus diesen „Mitteilungen" zu erfahren, wäre wünschenswert.
Wer war nun also der bedeutende Mann, dessen Namen die schöne hohe Spitze in der Ötztaler Gruppe trägt? Zum 100. Todestag am 9. Februar 1969, hat der Tiroler Rundfunk eine einstündige Ringsendung der Würdigung des ungemein vielseitigen Lebenswerkes Liebeners als Straßen- und Brückenbauingenieur, als Schöpfer der Etschregulierung unterhalb Mezzolombardos, als ein führender Mineraloge und Geologe seiner Zeit, als Schöpfer der ersten geologischen Landeskarte Tirols in Farbabstufungen, als Zeichner und Kupferstecher von hohem Rang, als Organisator des Baudienstes in Tirol und schließlich als Landesbaudirektor für Tirol und Vorarlberg in den letzten 20 Jahren seines Lebens und Empfänger hoher und höchster wissenschaftlicher und staatlicher Ehrungen gewürdigt. Ernst Attlmayr hat in seinem 1968 beim Universitätsverlag erschienenen Buch „Pioniere der Technik in Tirol" Liebener ein schönes Lebens- und Schaffensbild gewidmet. Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum hat in das 1969 erscheinende Ferdinandeum-Jahrbuch eine ausführliche, bebilderte wissenschaftliche Abhandlung „Leonhard von Liebener — ein Pionier der Naturwissenschaft in Tirol" aufgenommen; ebenso widmet das Technische Museum in Wien im Jahrbuch 1969 der „Blätter für Technikgeschichte" Leonhard von Liebener zu seinem 100. Todestag eine umfangreiche Studie: „Leonhard von Liebener, ein Pionier der Technik in Österreich" ; auch das weithin geschätzte wissenschaftliche Periodicum in Südtirol „Der Schlern" hat ein Monatsheft des Jahres 1969 dem Fleimstaler Leonhard von Liebener zugedacht. Alle diese Druckwerke erschienen bzw. erscheinen mit umfangreicher Bibliographie und Quellennachweis.
* wohl identisch mit dem heute in den alpinen Karten mit 3055 m eingetragenen „Rotmooajoch".
² Die beiden südwestlichen Nachbargipfel der Liebener-Spitze: Heuflerkogl und Trinkerkogl, sind im nämlichen Werk Sonklars nach den beiden wichtigsten Vor- und Mitarbeitern Liebeners bei der Herausgabe der „Ersten geognostischen Landeskarte Tirola" (1849 — 1852) benannt worden.
Quelle: Mitteilungen des ÖAV 1969, Heft 5/6, Seite 84-85

Gestorben am:
09.02.1869