Müller Franz Herbert

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Biografie:
Franz Herbert Müller
*4. Oktober 1902 — (+) 20. August 1981
Am 20. August 1981 richtete Franz Herbert Müller seinen glücklichen Blick zu den Karawanken, deren Konturen er durch die hohen Bäume folgen konnte, die das Haus am steilen Hang in Krumpendorf am Wörther See umgeben. Es waren Stunden voll des sommerlichen Friedens eines schönen Tages. Die letzten Stunden sind es für ihn gewesen, bevor er seine Augen schloß, die so bewußt und so begeistert den Blick zu den Bergen und von den Gipfeln über die Weiten der Alpen in sich aufgenommen haben.
Mit 78 Jahren ist das Leben eines Bergsteigers angefüllt mit Schätzen, wie eine Truhe voll der strahlendsten Bergkristalle. Diese reichen Schätze, die er in allen Einzelheiten zu bewahren wußte, erleichterten und ermöglichten ihm auch die große Umkehr, die jeder Bergsteiger einmal meistern muß. Es gibt die Zeit der Jugend, wo die Pläne für große Touren den Möglichkeiten davonfliegen, die Zeit der Wiederholungen, jene Jahre, wo die Seele mit der Summe des Erlebten noch gar nicht ganz zurechtkommt. Dann folgen die langen Jahre der Reife und des bewußten Erlebens, die den Bergsteiger so glücklich machen. Die große Umkehr wiederum gibt dann den Rückblick auf Freude, Gefahr, Leistung und Zufriedenheit. Franzl Müller hat das gekonnt: zurückzublicken im Glück, ohne Schwermut, ohne Neid und im festen Besitz der Gewißheit, seinen Reichtum aus den Bergwundern der Schöpfung bewahrt zu haben.
Ein Schlüssel dazu sind die Tagebücher seiner Bergfahrten, in denen kein Gefährte so oft genannt ist wie ich. Als seine Frau konnte ich alles teilen mit ihm: die Liebe, die Musik, seine Begeisterung für die Kunst und unsere Berge. Alles war uns gemeinsam geschenkt. Die Bergfahrtenberichte offenbaren mir und allen seinen Freunden den Weg eines Menschen in die Berge. In seinem Herzen lag der Antrieb und seine Seele gab den Rahmen für alles Erlebte!
Ein vierzehnjähriger Bub fuhr zwischen Weihnachten und Silvester mit fünf Freunden in die Gegend von Mürzzuschlag. Ober Neuberg üben sie beim Bettelbauer und im Schneealpen-gebiet und fahren am 30. Dezember 1916 wieder nach Wien zurück. Es werden „mießes Wetter" und Kosten von 21 Kronen in ganz exakter Kurrentschrift verzeichnet.
Das mag ein belangloser Bericht oder ein bedeutsames Ereignis sein. Dem letzteren muß man zustimmen, denn schon einen Tag später ging es nach Mönichkirchen und mit ausgeliehenen Seehundfellen auf die Schweig. Schon diese ersten „Skitouren" sollten bestimmend sein für all die unzähligen Unternehmungen, bei denen er die Bretter auf den Berg und diese ihn dafür wieder zu Tal trugen.
Sein Prof. Glaeser führte ihn dann schon im Jänner 1917 zur Kletterschule Waldmühle, was ihm sehr gut gefiel. Im Februar begegnet ihm erstmals Georg Klappholz, dessen Bergtod
an der Keschnadel im August 1928 ihn tief und nachhaltig erschütterte. Auch Margulies treffen wir noch im dritten Kriegsjahr, der später nach Verlust eines Beines oftmals in den Bergen unterwegs war.
Herausragend als Mensch und Persönlichkeit tritt sein alpiner Lehrmeister und Freund, Albin Roessel, auf den Plan. Vieles von Franzls Kenntnissen und seiner Technik geht auf die gemeinsamen Bergfahrten zurück.
Rax, Schneeberg und Hochwechsel müssen in diesen Jahren die bevorzugten Ziele bleiben. Nur zwei „Durchbrüche" in das Gesäuse sind ihm gelungen, wo auch der Name Roman Szalay auftaucht.
Wie ein Blitzlicht beleuchtet ein Ereignis die damalige Zeit des Ersten Weltkrieges: Zu Ostern 1919 wollten die jungen Burschen in die Steiermark fahren, doch fehlte ihnen die „Einreisebewilligung", die dann auch bei der Landesregierung in Graz nicht zu bekommen war. So blieb wieder nur die Rax!
Nun müßte man Gipfel um Gipfel aufzählen, um der ungeheuer großen Zahl an Bergtouren zu entsprechen. Die Dachstein-Südwand ragt daraus hervor, daneben stehen Hochschwab, Gesäuse und Hohe Tauern. Noch fehlen die Ziele außerhalb von Österreich. Es ist aber nicht Sinn und Inhalt dieser Zeilen, ein Gipfelverzeichnis zu werden, sondern sie sollen dem Menschen gelten, den ich und alle unsere Freunde verloren haben.
Franzl Müller war so ein durch und durch fröhlicher Mensch. Gerade in der Begeisterung für die Musik fand dies auch seinen Ausdruck. Und wenn ihn der Aufenthalt auf den Höhen besonders glücklich gestimmt hatte, konnte er wohl über Stunden ins Tal hinunter vor sich hinsingen. Ins Tiefland ging er, während die Sehnsucht nach den abendlich verglühenden Spitzen schon wieder in ihm aufstieg.
Einen schweren Weg mußte er dann gehen, um nach einem Unfall wieder die Berge aufsuchen zu können. Eiserne Willenskraft ließ ihn alles überwinden und schließlich standen wir gemeinsam im Schneesturm eines Märztages 1926 am Dobratsch. Sein Wille hatte gesiegt. Seine zweite Bergsteigerlaufbahn kam voll zur Geltung! Und wie dicht folgte nun Tour auf Tour! Die Julischen Alpen lagen vor der Haustür in Klagenfurt, der neuen Heimat! Die Sextener Dolomiten lockten, und viele neue Bereiche des Bergsteigerglücks konnte er sich - nun mit mir - erschließen.
Was rief nicht alles in die Berge: Kleine-Zinne-Nordwand — Preußriß, Große-Zinne-NO-Wand, Campanile, Marltgrat, Wischberg, Jalouc, Montasch, Schleierkante, Ötztaler, Steiner Alpen, die Vajolettürme und schließlich die Westalpen.
Doch dann kamen die schicksalschweren Tage des Jahres 1939. Im Juli fanden wir die richtige Jahreszeit für die Westalpen gekommen. Auf der Fahrt nach Entreves war der Geburtstag von Julius Kugy ein feierlicher Anlaß, ihn in Wolfsbach zu besuchen. Über Treviso ging die Fahrt weiter. Wer hätte damals gedacht, daß mein Franzl schon neun Tage später mit Gipsverband und Oberschenkelhalsbruch neuerlich in Treviso sein würde. Auf der Aiguille du Triolet hatte uns eine Lawine in die Tiefe gerissen. Es war die Bergfahrt auf Leben und Tod, es war auch die letzte Seite eines Tourenbuches ...
Aber noch einmal begann er ein Neues. Sein Leben konnte nicht ohne Berge bleiben, und wenn auch die Wintertouren 1940 ohne Ski stattfanden, so spricht aus diesem letzten Büchlein ein neuer Aufstieg eines Menschen, dem die Berge ein Teil seiner Weltanschauung waren. Sie waren einfach ein Stück von ihm selbst. Triglav-Nordwand und viele andere Wände der Julischen Alpen belohnen ihn für seinen zähen Wiederaufstieg! Es ist, als würde sich der Kreis seiner Berge wieder zum Anfang schließen und mitten darin der Schlußpunkt am 1. September 1948 mit dem schönen Namen „Monte Cristallo" Die leuchtenden Höhen waren Kristalle in seinem Leben. Rein, offen und geradlinig war sein Charakter, wie wenn er davon geprägt und bestimmt worden wäre. Er nahm so regen Anteil an allem alpinistischen Geschehen. Die Fäden und Kontakte gingen nach allen Seiten, und den nachfolgenden Generationen war er Erzähler seiner Zeit und Empfänger ihrer Berichte in den langen 33 Jahren, wo sich die Spätfolgen der schweren Verletzungen mehr und mehr hindernd zwischen ihn und die Bergwelt schoben.
So ging sein Blick wohl oft besinnlich zurück über die Landschaft Kärntens und sein Wesen empfing die Harmonie dieser, seiner letzten Heimat. Vom Ufer des Sees stieg die Melodie auf und wurde getragen von den Felsmauern des Südens bis auf die strahlenden Höhen der gleißenden Firne.
Seinem letzten Blick folge ich als seine Kameradin mit allen unseren vielen Freunden und rufe ihm nach: Ein letztes Excelsior!
Lydia Müller
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1981, November/Dezember, Folge 1440, Seite 121-122


Geboren am:
04.10.1902
Gestorben am:
20.08.1981