Ehalt Walther
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Biografie:
geboren in Wien (Österreich)
Walther Ehalt
*8. November 1902 ? (+) 11. Jänner 1976
Ein lachendes Gesicht blickt mir von der oberen Felskante des Klettersteiges in den ?Gießwänden", der altberühmten Kletterschule im Wienerwald, entgegen, als ich mich langsam und nach Griffen tastend nähere. "Ich glaube, das ist nichts für mich", verkünde ich schnaufend. "Wird schon werden " jetzt machen wir den Triograt!"
Das war der erste Gang am Seil meines alpinen Lehrmeisters und späteren Freundes und Bergkameraden auf so vielen Bergfahrten, Walther Ehalt. Wir waren Turnbrüder, er um drei Jahre älter als ich, Medizinstudent und schon recht bergerfahren. Schilderungen seiner Bergfahrten hatten mich so begeistert, daß wir beschlossen, es einmal miteinander zu versuchen. Es wurde eine über 50 Jahre währende Freundschaft daraus ...
Am "Brillantengrund", im Wiener Bezirk Neubau, war Walther als Sohn eines Seidentextilkaufmannes zur Welt gekommen. Er hatte nach der am Gymnasium Kandlgasse mit Auszeichnung abgelegten Matura 1921 die Universität bezogen und ging ? von den Eltern schon als Bub dazu angeregt ? gern in die Berge. Sein früherer Klassenvorstand, unser ehemaliges Mitglied, Prof. Dr. Raimund Ullrich, war es, der ihn bergsteigerisch schulte. Auf bescheideneren Anstiegen hatte sich Walther schon vorher, mit Schulkameraden gehend, Erfahrung und Ausdauer angeeignet, so daß er im sommerlichen und ? schon frühzeitig Schiläufer ? auch im winterlichen Gebirge ein sicherer und verläßlicher Gefährte war. Die vom Anfang an geführten Fahrtenbücher sind ein Abbild seiner Person: mit der Genauigkeit, die den späteren berühmten Chirurgen kennzeichnet, vermerkte er seine Erlebnisse, Ob es auch nur der Schlangenweg oder der Hoyossteig auf der Rax waren, sie wurden mit der gleichen Sorgfalt gewürdigt wie die Anstiege auf Dreitausender des Kaunergrates oder der Ötztaler und später die der höchsten Viertausender der Alpen und außereuropäischen Gebirge. In seinen Aufzeichnungen reihen sich fast sämtliche Berggruppen der Ostalpen, die meisten der Westalpen und Gipfel der amerikanischen Sierra Nevada sowie des Hohen Atlas und Korsikas aneinander. Auf manchen von ihnen sind wir gemeinsam gestanden, auf einige durfte ich meinen Freund führen. Es würde ein Buch füllen, wollte ich sie alle ? es wären gegen fünfhundert ? anführen.
Der junge Bergsteiger, ein ausgezeichneter Turner, mit beträchtlichen Körperkräften ausgestattet, hat die Fähigkeiten eines Ludwig Purtscheller, an dem er sich in manchem orientiert. Von tiefer Liebe zur Natur und einem Hingegebensein an die Bergwelt erfüllt, ist ihm das Ersteigen der Gipfel reinste Freude. "Genießen der üppigen Kraft", wie es E. G. Lammer ausdrückt. Es ist ihm, dem überaus fleißigen und begabten Medizinstudenten, aber auch der Born, aus dem er für sein an Hörsaal und Stadt gebundenes Leben Kraft schöpft. Beherrscht und schweigsam darüber, was sein Inneres bewegt, ist er dennoch tief empfindsam Musik und Lyrik zugeneigt. Richard Wagner ist sein bevorzugter Tonschöpfer. Immer wieder hört er den "Tristan", den "Lohengrin" und den "Ring", erfreut er sich an mittelhochdeutscher Lyrik. In seinen Fahrtenbüchern steht so mancher Vers, so manches kleine Gedicht von Baumbach, Kernstock, Purtscheller, Rosegger und Scheffel, aber auch von unbekannten Verfassern, aus einem Gipfel- oder Hüttenbuch säuberlich abgeschrieben. Viele Anmerkungen sind zu lesen über die herrliche Stimmung im Wald, über die prachtvolle Fernsicht, über Wolken, Blumen und Tiere. Auch darin gleicht er Purtscheller, so wie in der Anzahl, der in unglaublich kurzen Zeiträumen erstiegenen Gipfel. Im winterlichen Bundschuh sind es einmal in einer knappen Woche siebzehn, im Planner- und Steyrerseegebiet in zehn Tagen siebenundzwanzig, in den Lechtalern und in der Silvretta in guten drei Wochen neunundvierzig! Oft sind sein Jugendfreund, der spätere Prof. Georg Gräbner und Studienkollegen seine Gefährten: Prof. Ullrich der Initiator, Führer, Begleiter; manchen Gipfel stürmt er allein. Seiner spartanischen Lebensweise in den Bergen entspricht es, daß er häufig in Heustadeln oder unter freiem Himmel seinen Schlaf findet und selbst kocht. Dies aber nicht nur in jenen bergsteigerischen Sturm- und Drangtagen: noch mehr als 20 Jahre später nächtigen die beiden Universitätsprofessoren Ehalt und Brandenstein als Berggefährten auf einer Kaunergratfahrt im Heustadl!
1926 geht es zum ersten Mal in die Dolomiten. Schon mit reichlich erworbener Berg-erfahrung wird geplant nach dem Gesichtspunkt: der höchste und danach die "schönsten" Gipfel einer Berggruppe. Zinnen (die kleine im Laufe der Zeit mehrmals mit Nordwand), Zwölferkofel im Alleingang, Vajolett-Türme, Guglia di Brenta, Marmolata, die Langkofel- und Rosengartengruppe kreuz und quer, die Lienzer und viel anderes wird erobert. Begehrte Gipfelführen in anderen Gebieten der Ostalpen, wie Ortler-Marltgrat, Dachstein-Südwand- Watzmann-Ostwand, Ödstein-Nordwestkante, reihen sich an. Bei Sturm und Sonnenschein ertönt unser alter Gipfelkantus, das ?Burschen heraus!".
Walther ist ein idealer Berggefährte: sein rasches Erfassen, die von ihm aus¬gestrahlte Ruhe und Sicherheit, seine zügige wie selbstverständliche Art, auch die schwierigsten Kletterstellen zu nehmen, vertiefen die Freude, mit ihm gehen zu dürfen. Dazu kommt sein schalkhafter Humor, seine Unerschütterlichkeit, mit der er mancher, nicht gerade rosigen, Lage noch etwas Heiteres abzugewinnen weiß. Er ist der gern anerkannte "Chef", der aber niemals auf diese Rolle pocht. Es gab nie einen Mißton zwischen ihm und seinen Kameraden.
Trotz anstrengendem und erfolgreichem Studium - er promovierte bereits im April 1927, knapp ein Semester nach dem Absolutorium ? geht er in die Berge. Als junger Arzt dann erst recht.
1928 beginnen seine Westalpenfahrten, bei denen Egon Benisch, Georg Gräbner, Karl Kadlec, Fritz Pfeiffer, Rudolf Schwarzgruber, Rolf Werner und auf einige Gipfel auch ich seine Begleiter waren. Zahlreich sind in den folgenden Jahren die erstiegenen Gipfel, oft auf renommierten Routen, darunter Biancograt, Nadelgrat, Montblanc-Brenvaflanke, Rochefortgrat, Morteratsch-Nordgrat, Jorasse, Matterhorn; großangelegte Überschreitungen und hartnäckige Belagerungen. Bei seiner zweiten Besteigung des Matterhorns über den Zmuttgrat, der ihn und Freund Gräbner stark aufhält, darf er sich auf seine richtige Abschätzung der Gesamtlage hin zumuten, die Tour nicht abzubrechen, sondern unter dem Gipfel zu biwakieren. Rasch entschlossen wechselt er einmal bei Schlechtwetter vom Montblancgebiet nach Korsika!
Kaum aus den Westalpen zurückgekehrt, sind es wieder die Berge der Heimat und Südtirols, Faltbootfahrten, aber auch Wanderungen im Wienerwald, die ihn erfreuen. Das in den Bergen bewährte "Kleeblatt' findet sich immer wieder zusammen: sein Vetter Jop Piwniczka, Fritz Kohout und ich, der ehemalige "Lehrbub". An wie vielen Abenden saßen wir bei Gesang und fröhlichem Umtrunk beisammen! Oft bin ich es allein, der in freundschaftlichem Gespräch bei ihm im Unfallkrankenhaus, seinem Dienstort, weilt, Bergfahrten bespricht, und ihn immer mehr schätzen lernt. Ganz besonders allerdings erst später, als ich, schwer verletzt, seiner ärztlichen Fürsorge anheimgegeben bin, und er mich Tag und Nacht umsorgt. Seine wahre menschliche Größe erreicht er in seinem Beruf als Arzt, und zahlreich sind die Klub- und Sektionskameraden, die dies am eigenen Leib erfahren haben. Seiner Selbstlosigkeit und uneingeschränkten Hilfsbereitschaft verdanken viele ihre Wiederherstellung zu voller Leistungsfähigkeit.
Ehalt war Arzt aus Berufung. Bereits in der Volksschule wußte er, was er werden wollte. Er war der geborene Chirurg. Schon sein Anatomielehrer, Prof. Hochstetter, belobte ihn für besondere Leistungen im Sezieren. Es nimmt daher nicht wunder, daß er in seinem Beruf rasch aufsteigt. Bald nach seiner Promotion wird der Sekundararzt bei Lorenz Böhler, dem Vater der Unfallchirurgie. Dieser erkennt die außerordentlichen Fähigkeiten seines jungen Mitarbeiters und fördert ihn insbesondere auch durch Anregungen zu wissenschaftlichen Arbeiten.
1933, bereits zum Oberarzt aufgerückt, erhält er den Facharzttitel für Chirurgie, später auch den für Unfallchirurgie und Orthopädie. Nachdem er noch 1936 den Hohen Atlas mit den ÖAK-Mitgliedern Benisch und Püchler bestiegen hatte - seine jungangetraute Frau begleitete ihn auf der Reise durch Nordafrika - weilte er vom Juni 1937 bis März 1938 in Kalifornien, um über Einladung eines amerikanischen Arztes eine Privatklinik einzurichten und in der Sierra Nevada u. a. Mt. Whitney, Mt. Muir und Mt. San Georgonio im Alleingang zu ersteigen. Nach der Rückkehr an seine frühere Wirkungsstätte in Wien erreichte er Anfang 1939 die Dozentur für Unfallchirurgie und übernahm im April 1940 die Leitung des Unfallkrankenhauses in Graz.
Immer war es schon seiner humanen, ganz auf die Heilung Verletzter und insbesondere Schwerstverletzter eingestellten individuell-fürsorgenden Art gemäß, diese Schicksalbetroffenen womöglich wieder zu vollwertigen und damit dem Leben ganz zurückgegebenen Menschen zu machen. Seiner Initiative entsprang daher die Planung und Errichtung von Rehabilitationszentren. Zunächst, unter Überwindung erheblicher Schwierigkeiten, des ersten in Tobelbad bei Graz. Wer miterleben durfte, mit welch glücklichen Gesichtern dort wiederhergestellte, vorher schier hoffnungslos scheinende Verletzte an der Werkbank oder an einem Arbeitstisch tätig sein konnten, kann die Verdienste dieses menschenfreundlichen Arztes erst ganz ermessen. Er ging noch weiter und ließ Amputierte, Behinderte, ja sogar Querschnittgelähmte in ihren Rollstühlen Sport betreiben. Seine größte Genugtuung waren wohl die Erfolge auf der Versehrtenolympiade in Japan, wo es Gold- und Silbermedaillen für seine Schützlinge nur so regnete.
Neben seiner rein ärztlichen Tätigkeit arbeitete er stets auch wissenschaftlich-literarisch. Am Ende seines Lebens bestand sein Werk aus 5 Büchern, etwa 250 wissenschaftlichen Beiträgen ? zu einem Teil in Fremdsprachen übersetzt. Er hatte über 300 Vorträge in aller Welt gehalten und ließ 20 Fachfilme herstellen. Unzählige Ärzte und nach vielen zehntausend zählende Verletzte hatten davon Gewinn. Unabschätzbar ist der materielle Nutzen für die Betroffenen und die Wirtschaft ihrer Heimatländer.
Leider schlugen sich die beruflichen Anspannungen in gesundheitlichen Schädigungen nieder. Mit schuld daran waren auch die sehr schwierigen Verhältnisse in den ersten Nachkriegsjahren bei der Führung des Unfallkrankenhauses - die Steiermark war zunächst russisch besetzt. Doch die Arbeit ging trotz überstandener schwerer Magenoperation weiter. Ehalt wurde Universitätsprofessor, erhielt das Goldene Ehrenzeichen der Republik Osterreich, das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, arbeitete, heilte weiter, wurde von Fachkollegen und Mitarbeitern geschätzt und von seinen Patienten verehrt. Die Ethik des ärztlichen Berufes fand in ihm eine geradezu ideale Personifizierung, und es ist verständlich, daß er der Erfüllung dieses Strebens viele Opfer bringen mußte. Vor allem den Verzicht auf ein geregeltes Familienleben. Seine Frau, einst selbst in einem medizinischen Beruf tätig gewesen, brachte in höchst anerkennenswerter Weise viel Verständnis für die Belange ihres berühmten Mannes auf. Immer wieder war er in den verschiedensten Stellungen als Mitglied von mehr als einem Dutzend teils internationaler medizinischer Institutionen - u. a. als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie und als Präsident des Steierischen Roten Kreuzes, irgendwo unterwegs. Seine beiden Töchter - die eine ist heute selbst schon Fachärztin, die andere ebenfalls im medizinischen Beruf tätig, freuten sich ganz besonders, wenn ihr Vater nach seiner Rückkehr von einer Reise Zeit fand, um mit ihnen einen oder den anderen Tag in freier Natur zu verbringen. Er regte sie seinerseits zu Reisen an, und wurden solche, die auch nach Übersee führten, gemeinsam unternommen, waren es ausgiebig genossene Höhepunkte des Familienlebens.
Verzichten mußte der Vielbeschäftigte allmählich auch auf das Bergsteigen. Es hätte ihm wohl mehr Energie und Zeit abgefordert, als Gewinn für den anstrengenden Beruf gebracht. Einen gewissen Ersatz boten Einladungen zu Hochwildjagden, bei denen er aber viel lieber pirschte und beobachtete, als daß er nach dem sogenannten Jagdglück aus war. Der Musik war er treu geblieben, Opernbesuche gehörten nach wie vor zu dem oft sehr notwendigen Ausgleichsprogramm. Ende 1968 ging er als Primarius in Pension, man konnte aber kaum eine Abnahme der Arbeitsleistungen wahrnehmen.
Wir sahen uns in dieser Zeit nicht oft, standen aber stets in Fühlung miteinander.
Tiefbekümmert, mußte ich von seiner Frau vor etwa drei Jahren erfahren, daß es um seine Gesundheit nicht zum besten stand. Anläßlich der Unfallchirurgenkongresse, die jährlich in Salzburg stattfanden, gab es stets ein Wiedersehen, und da mußte ich selbst feststellen, daß er nicht mehr der alte war. Geblieben war sein Humor, eine leise Selbstironie, die den eigenen Zustand ohne jede Klage belächelte. Operationen wurden notwendig, die zeitweise Besserung, aber keine endgültige Heilung brachten. Ernste Sorge um sein Leben ergriff uns. Mitte August des Vorjahres besuchte ich ihn in seinem Erholungsort nahe bei Bad Aussee. Er schien gebessert, aber wie von einer schweren Bürde belastet. Es wurde dennoch ein geruhsam verplauderter Tag, an dem die Sonne von einem schleierigen Himmel verdeckt war. Im Süden ahnte man den Dachstein, und wie ein Abschiedsgeschenk war es, daß ihn die Wolken am späten Nachmittag freigaben. Er war einst einer der ersten großen Gipfel, die wir gemeinsam erreicht hatten. Seine Südwand - Gewitterbiwak ... die Wand im Abstieg ? frühe Bewährung einer Gemeinschaft, die sich nie mehr lösen sollte. Dann der Händedruck zum Lebewohl, ein Lächeln noch, ein mattes Winken bei der Abfahrt. Es war gut, daß ich schon ein Stück entfernt war und nicht mehr sprechen mußte ...
Bange Wochen, Anfragen, Hoffnung; Ahnung des Unabwendbaren. Denken an dich, zurückdenken an die Tage der Jugend, die vielen heiteren Stunden, an die Bergfahrten, an die schwersten Tage meines Lebens, in denen ich in deine rettend-heilenden Hände gegeben war, der nie vergessene Blick des Freundes und Arztes in meine Augen, als das Leben zu entschwinden drohte, deine Hilfe in Tagen der Not, deine Freundschaft, die treu, lauter, rückhaltlos und großzügig war, an dich, der mir wie ein Stück meiner selbst war.
11. Jänner 1976 ? das Ende.
Der Sarg, mit Blumen überdeckt, die Tausende von Menschen, die in Verehrung für
dich gekommen waren, die Sonne, die, zum Abend geneigt, aus dem Gewölk hervortritt
? das offene Grab. Mein letzter Gruß ? ein paar Latschenzweige mit einem Stück des
Seiles umwunden, das uns einst verbunden hat ..., ein letzter Blick hinab in den Erden-
raum, der dich nun umschließen wird, mein lieber Walther.
Nun bist du wieder als erster gegangen, wie so oft in den Bergen?
Ich sehe helle Nebel ziehen ober mir ? gipfelnah. Das Seil, das uns verbindet, verschwindet im Ausstiegskamin.
Ich sichere und blicke nach oben.
Das letzte Stück noch ..., vielleicht scheint oben die Sonne?
Das Seil läuft durch meine Hände, langsam, stetig.
Stille.
?Nachkommen!" Dein Ruf, der oftgehörte ? vom Gipfel her.
?Ich komme!"
Das Seil strafft sich. Das letzte Stück noch ? dann werden wir uns nach langer Bergfahrt die Hände reichen und wollen Gipfelrast halten.
F.S.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1976, September/Oktober, Folge 1409, Seite 136-140
Geboren am:
08.11.1902
Gestorben am:
11.01.1976