Migotti Adolf

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Biografie:
geboren in Wien (Österreich)
gestorben in Val di Genova (Italien)

Quelle: DÖAV Mitteilungen 1886, Seite 211 f

Professor A. Migotti (+)
Adolf Migotti, Doctor der Philosophie und ausserordentlicher Professor für Mathematik an der Universität Czernowitz, stand im 36. Lebensjahre. Der Sohn eines Kaufmannes, wurde er im Jahre 1850 in Wien geboren. Nach absolvirter Realschule besuchte er das Polytechnicum in Wien und wurde hierauf Eisenbahn-Ingenieur. Als solcher war er unter Anderem auch bei dem Bau der Theissbahn beschäftigt. Seine immer mehr hervortretende Neigung für Mathematik, verbunden mit einem ausserordentlich entwickelten Unabhängigkeitssinn, veranlassten ihn jedoch bald diese Laufbahn aufzugeben und sich ausschliesslich seiner Lieblingswissenschaft zu widmen. Nur seiner geradezu bewundernswerthen Energie und Willenskraft, seiner mit unermüdlichem Fleisse gepaarten Ausdauer, sowie seinen glänzenden Talenten gelang es dieses hohe Ziel zu erreichen.
Vorerst bekleidete Migotti die Stelle als Assistent des Prof. Kolbe am hiesigen Polytechnicum und wurde bald darauf Privat-Docent an derselben Hochschule. Doch das genügte seinem hochfliegenden Geiste nicht. Er holte in der kurzen Zeit von zwei Jahren die ihm mangelnden Kenntnisse in der lateinischen und griechischen Sprache nach und erwarb im Jahre 1881 an der Universität Heidelberg den philosophischen Doctorgrad. Hierauf ging er nach Berlin, um die dortigen berühmten Mathematiker zu hören und wurde 1883 als ausserordentlicher Professor an die Universität in Czernowitz berufen.
Prof. Migotti war in jeder Beziehung ein seltener Mann. Er lebte nur für seine Wissenschaft. In Czernowitz sah man ihn den ganzen Tag bei seinem Studirtische sitzen, ein kurzer Spaziergang war die einzige Erholung, welche er sich gönnte. Er lebte höchst zurückgezogen ; Zerstreuungen, Gesellschaften und Unterhaltungen ging er principiell aus dem Wege. Und doch gehörte er durchaus nicht zu jener Gattung von verknöcherten Gelehrten, welche äusser ihrer speciellen Wissenschaft nichts kennen und nichts gelten lassen. Seine Belesenheit in den philosophischen und naturwissenschaftlichen Fächern war eine erstaunliche, nicht minder seine Sprachkenntniss; es wäre ihm ein Leichtes gewesen, italienisch oder französisch statt deutsch vorzutragen. Migotti besass in einem aussergewöhnlichen Maasse die Gabe, sich klar und fasslich auszudrücken, was seinem Amte als Lehrer einer der schwierigsten und abstraktesten Wissenschaften sehr zu gute kam.
Die Alpen besuchte Migotti seit 1876. Er ging in den ersten Jahren immer allein, ohne Begleiter und bestieg auf solche Weise eine grosse Anzahl Gipfel in Vorarlberg und einige in Tirol. Es seien hier nur genannt: Piz Buin, Parseierspitze, Adamello, Monte Boe, Ortler über den hinteren Grat und die Gratwanderung über Speckkaarspitze, Bettelwurfspitzen, Walderkammspitze und Walderzunderkopf nach Schwaz. Erst in letzteren Jahren, nachdem er Professor geworden, nahm er sich Führer zur Begleitung mit. Alle, mit denen er gegangen, rühmten seine Gewandtheit sowie namentlich seine Sicherheit und Ruhe beim Klettern. Er bestieg nun Tribulaun, Langkofel, Rosengarten (allein), Marmolata, Croda da Lago, Cristallo und Tischlerkaarspitze (erste Ersteigung). Ich vermag nur einen sehr geringen Theil seiner Touren namentlich anzuführen, denn Migotti vermied es sorgfältig Aufzeichnungen touristischer Natur zu machen; er wurde beständig durch die Furcht beherrscht, die Kunde von seinem Thun in den Bergen könnte in das grosse Publicum dringen, „der Meute vorgeworfen werden“, wie er sich ausdrückte. Nur im intimsten Zirkel, wenn er sich von völlig Gleichgesinnten umgeben wusste, schilderte er in seiner hinreissenden Weise ein oder das andere Abenteuer; wie glühte sein Auge, wenn er von der magischen Pracht des Sonnenunterganges, von der ergreifenden Weihe eines einsamen Freilagers in den Hochregionen sprach, oder wenn er auseinandersetzte, dass er des Bergsteigens als eines Stimulans zu bedürfen glaube, um seinem durch das fortwährende Nachdenken über die tiefsten Probleme der Wissenschaft angespannten und ermüdeten Geist neue Anregung zu geben.
Man pflegt in Kreisen, die dem Bergsteigerthum feindlich gegenüberstehen, gewöhnlich zu sagen: Prahlerei ist der einzige Grund, aus welchem schwierige Touren unternommen werden. Bei Migotti traf dies sicher nicht zu. Er that alles, um seine Bergfahrten zu verheimlichen; er verschmähte es, was für ihn höchst charakteristisch irgend ein Zeichen seiner Anwesenheit auf den yon ihm erstiegenen Gipfeln zu hinterlassen, wie auch sein Alleingehen hauptsächlich dadurch veranlasst wurde, dass er befürchtete, seine Gefährten oder Führer könnten ihn verrathen. Heuer war es das erste Mal, dass er sich entschloss, eine Gebirgsreise in Gesellschaft anderer Touristen zu unternehmen; seine Begleiter mussten ihm jedoch vorher versprechen, bei ihren Berichten seinen Namen nicht zu nennen. W’enn Migotti zwar in alpinen Kreisen nicht sehr bekannt war, so war er doch ein ausgezeichneter Bergsteiger; dass sein tragisches Ende an einer leichten Stelle erfolgte, kann diesem Urtheil keinen Abbruch thun. Es beklagt in ihm der Alpinismus einen begeisterten Anhänger, die Wissenschaft einen
genialen Jünger, die Menschheit ein edles Mitglied.
Dr. Otto Zsigmondy.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung 1886, Folge 199, Seite 207-208


Quelle: Wr. Abendpost vom 16. 8. 1886;
Quelle: ÖTZ, 1886, S. 200;
Quelle: Annuario biografico universale 3, 1887, S. 168 f.;
G. Gröger–J. Rabl, Die Entwicklung der Hochtouristik in den österr. Alpen, 2. Aufl. 1890; (Buch)


Erste Begehungen:
Grat von der Speckkarspitze zur Bettelwurfspitze (1880), Karwendelgebirge;
Cima d’Ambies von Norden und Cima Tosa von Südwesten (beide 1886), Brentagruppe.
Gelegentliche Begleiter: L. Purtscheller, J. Reichl und K. Schulz. W.

Geboren am:
10.10.1850
Gestorben am:
15.08.1886