Kislinger Franz
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Biografie:
Franz Kislinger
*11. Juli 1901 — (+) 18. März 1992
Wir fanden niemand mehr, der Franz Kislinger so gut kannte, daß er hätte einen Nachruf schreiben können. Die Grazer Klubrunde erinnerte sich an zwei oder drei Besuche des schon sehr alten Herrn bei Klubabenden, dann wurde der Weg nach Graz zu mühsam.
Es ist ein glücklicher Umstand, daß mir seine Tochter einen von Franz Kislinger selbst verfaßten „alpinen Lebenslauf" zur Verfügung stellen konnte. Er gibt mir die Möglichkeit, unseren Klubkameraden post mortem selbst sprechen zu lassen und die folgenden Auszüge aus dieser Schrift zeigen uns in knappen und bescheidenen Worten das Bild eines großen Lebens in und mit den Bergen.
„1915, als wir noch Buben waren, begann auf dem Weg zur Mugel das Abenteuer. Da ging mir der Knopf auf über die Schönheiten, die die Berge darboten, als ich nach durchfrorener Nacht auf dem lehmgestampften Dachboden einer Holzknechthütte unterwegs auf einem Feuer Kaffee kochte. Da geschah es! Der Himmel dunkelblau, die Fichten dufteten im Schmuck ihrer roten Blütenzäpfchen und am Horizont standen die Hochschwabberge, traumhaft schön, wie eine Fatamorgana." ...
„So liefen wir eben zu Fuß von Leoben auf die Griesmauer und zurück. Oder in der Nacht von Leoben zum Grünen See und bei Tag wieder zurück. Auch andere Berge wurden so erobert. Die Verpflegung bestand in der Kriegszeit und danach aus zerfallendem Maisbrot und Rübenmarmelade. Erst später kam ein Speck dazu." ...
„(1922) ... Im darauffolgenden Winter von Kaprun bei ungeheuren Schneemassen und ununterbrochenem Schneefall mit zwei Grazern und Sepp Kurz, Leoben, zum Moserboden, dort übernachtet. Es schneite die ganze Nacht weiter und auch den Tag darauf.
Trotzdem gings über den Karlinger Gletscher in fast bauchtiefem Schnee weiter zur Oberwalderhütte, die wir im Nebel um 10 Uhr nachts erreichten. Das waren 13 harte Stunden ohne Rast und ohne Essen. Tags darauf war keine Wolke am Himmel und die Lawinen begannen herabzudonnern. Wir blieben jedoch auf dem Weg zur Adlersruhe, wo wir dann die Nacht verbrachten, verschont. Ein Erlebnis war das Alpenglühen, als wir uns hin-aufwühlten zum ungeheuer überwächteten Kleinglockner. Wegen der Schneemassen mußten wir den Großen aufgeben." ...
„(1923) ... In dasselbe Jahr fiel auch meine Erstbegehung des Eisenerzer Reichenstein-Südgrates mit Sepp Schiar und Horky. Ungefähr 70 Bergfahrten gelangen dieses Jahr und auch im Jahr vorher und danach. Auch wenn das Wetter noch so schlecht war, immer war ich oben. Erstmalig stieg ich in diesem Jahr durch die Hochtor-Nordwand (Pfannl-Maischberger), die ich im Jahr darauf mit meiner Frau und noch weitere viermal in den nächsten Jahren (einmal im Alleingang an einem Nachmittag, da die Haindlkarhütte gesperrt war) durchstieg." ...
„(1924) ... Ödstein NW-Kante, Berner Oberland. 6 Viertausender in einer Woche: Strahlegghörner,
Schreckhorn, Finsteraarhorn, Jungfrau, Mönch und Fiescherhörner. War das eine herrliche, abenteuerliche Woche! Es waren oft reine Gehzeiten von 16-18 Stunden im Tag. Anhaltender Schneefall machte dann die Verwirklichung weiterer großer Pläne zunichte. Auch Capt. Finch, der Everestmann, den wir auf Schönbühel kennenlernten, mußte kapitulieren. Beim Aufstiegsversuch auf die Dent Blanche gingen zwei kleine Staublawinen über uns hinweg. Da machten wir Schluß." ... „Auf der Dufourspitze war ich mit meiner Frau. Wir waren die einzigen Ersteiger an diesem Tag. Ebenso war ich mit ihr am Matterhorn bis zur Cap. Solvay. Schnee, nasses, unsicheres Wetter zwangen zum Aufgeben. Zwei Tage später erreichte ich den Gipfel im Alleingang."
„(1926) ... Am 1. August übernahm ich die Leobnerhütte. Mancher Stall ist heute schöner, als diese damals war. ... Es war ein harter Anfang. Bei starken Regenfällen drang an der Rückwand Wasser ein, so daß alles in der Hütte schwamm. Ein in die Wand gestecktes Rohr ergab ein Bründl in der Hütte. ... Samstags hatte ich immer nette Menschen oben, keine Radaubrüder, wie man sie heute erleben kann. Wenn welche nach der Hotel-Sperrstunde auf dem Präbichl heraufkamen und weitersaufen wollten, gabs Verdruß, aber keinen Schnaps. Ich schickte sie weiter zum nächsten Wirt. Der war auf der Sonnschien ...".
„(1927) ... Dann im Sommer mit Dr. Zahlbruckner, meiner Frau und Frl. Pichler in die Bernina. Piz Tschierva, Biancograt-Bernina und Palü-Überschreitung ..."
„Im strengen Kriegswinter 1941 — 42 Bergung ei-nes Toten (erfroren) vom Eisenerzer Reichenstein und eines 15jährigen Burschen (tot) und seines achtjährigen Bruders mit Oberschenkelbruch unter den Wandln in der Nähe der Leobenerhütte. Einen Abgestürzten konnte ich mit meinen Bergkameraden schwerverletzt vom Ostgrat des Reichensteins herunterholen und einen Verstiegenen von der Westwand der hohen Griesmauer. Mehrere Suchaktionen nach Vermißten. Im Alleingang Überschreitung des Fledermausgrates im Winter bei Nacht. 1942 rückte ich zur Wehrmacht ein und verbrachte drei Jahre an der Front, anschließend war ich 14 Monate Gast bei den Engländern."
„Nach dem Kriege entdeckte ich meine Liebe zu Südtirol. Zehnmal war ich in den Dolomiten unterwegs. ... von Bozen mit Dr. Zahlbruckner wieder auf den Ortler. Einmal mit ihm in den Julischen Alpen und einmal mit ihm zu meinem 60. Geburtstag auf den Montblanc. Mt. Cristallo, Große Zinne, Marmolata, Schlern, Langkofeleck, Sella, Peitlerkofel, Lavarella, Plose, Gabler, Tofana, Antelao, Mt. Pelmo, Civetta, Cima Vezzana, Seekofel, Rosengartenspitze und andere. ... Im späteren Alter galt mein Interesse aber auch den wunderbaren Tälern und den hochliegenden Bergdörfern. Dazu nahm man sich früher nie die Zeit." ...
... „Im Jahre, als ich 70 wurde, landete ich viermal in der Chirurgie, anstatt auf dem Montblanc." ... „Molveno-, Idro- und Ledrosee, Umrundung des Gardasees, die Weinbaudörfer Tramin, Kurtasch und Magreit waren Höhepunkte des Erlebens." ... „Mit Wehmut denke ich oft zurück an ehemalige Bergkameraden. Viele leben nicht mehr, manche sind im Krieg geblieben oder verzogen. Es ist immer einsamer geworden. Schön, daß mein liebster Freund und Bergkamerad auf schweren Fahr-ten, noch zu mir hält in alter Treue. Zu Weih-nachten, zu Pfingsten, zum Treffen beim Österreichischen Alpenklub und bei der HG des AV sind wir oft mehrere Tage unterwegs ... Im Jahre 1923 wurde ich in den Alpenklub aufgenommen, was eine große Auszeichnung war, Dr. Zahlbruckner bald danach."
„Wenn ich sonst zu Berge stieg, anders wars wie heute,
selbst der kühnste Gipfelsieg schien mir leichte Beute.
Heute schau ich still umher, schaue still nach innen,
Seh noch immer rings ein Meer unerreichter Zinnen.
Bergbezwinger, beug Dein Knie, Wichtlein, falt die Hände;
Vieles zwingst Du, Alles nie — schon ist
Sonnenwende."
Hans Barth
Zusammengestellt von Ottokar Blazek
Quelle: Österr. Alpenklub 1992, Folge 1505-1506, Seite 100-101
Geboren am:
11.07.1901
Gestorben am:
18.03.1992