Reinstein Hermann

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Biografie:
geboren in Kindelbrück (Deutschland)

Ein neunzigjähriger Bergsteigerveteran.
Von Dr. W. Trenkte, Plauen i. Vogtland
Die S. Plauen kann zu ihrer großen Freude den Schwestersektionen eine in der Mainummer der „Mittellungen" schon gemeldete, in der Geschichte des Gesamt-Vereins vielleicht bisher einzig dastehende Tatsache zur näheren Kenntnis bringen. Nachdem nämlich die Sektion, die selbst erst 51 Lenze zählt, vor einigen Wochen ihr ältestes Gründungsmitglied, Professor' Ernst Weise, zu seinem in voller Altersrüstigkeit gefeierten 91. Geburtstag beglückwünschen konnte, vollendete am 4. Mai ihr zweitältestes Gründungs- und Ehrenmitglied, Gymnasialoberlehrer i. R. Hermann Reinstein, in gleicher, geradezu beneidenswerter körperlicher und geistiger Rüstigkeit sein 90. Lebensjahr! Da der Werdegang dieses kernfesten alten Bergsteigers aufs engste mit der Entwicklung unseres D.u.Ö.A.-V. verknüpft ist, dürften einige nähere Angaben aus seinem gesegneten Leben an dieser Stelle nicht nur gerechtfertigt, sondern auch vielen alten Bergkameraden willkommen sein.
Geboren am 4. Mai 1844 in Kindelbrück in Thüringen, verlor H. Reinstein schon im frühen Jünglingsalter seinen Vater, der als preußischer Begleitoffizier im amerikanischen Sezessionskrieg (1861—1865) fiel. Nachdem er sich noch zu dessen Lebzeiten in den sächsischen Landstädtchen Roßwein und Tschopau eine gediegene Volksschulbildung angeeignet hatte, besuchte der Knabe unter der gewissenhaften Obhut seines damals als Lehrer im sächsischen Schuldienst stehenden Stiefvaters zuerst die Bürgerschule in Glauchau und dann das Lehrerseminar in Rossen, um sich nach dem Vorbild seines treusorgenden Pflegevaters dem Lehrberuf zuzuwenden. Schon im Jahre 1863, also vor nunmehr 71 Jahren (l), erhielt er seine erste Anstellung als Hilfslehrer in Glauchau, die er im Jahre 1866, nach der ja bekanntlich auch Sachsen in Mitleidenschaft ziehenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich, auf Grund seines inzwischen glänzend bestandenen Staatsexamens mit einer höheren Lehrstellung in Zwickau vertauschte.
Hier in Zwickau, wo er sich schon im Jahre 1868 einen eigenen, von vollem Eheglück gesegneten Hausstand gründete, begann Reinstein aber nicht nur fsine berufliche, sondern in unmittelbarem Zusammenhang damit auch seine für die damalige Zeit noch ungewöhnliche bergsteigerische Laufbahn. Als Lehrer für Zeichnen und Malen mit besonderer Neigung der Landschaftsmalerei zugetan, war er nämlich schon auf seiner ersten vom schmalen Gehalt abgesparten Alpenreise der überwältigenden Pracht des Hochgebirges mit Leib und Seele verfallen. So entwickelte sich der junge Bergmaler schnell zu einem leidenschaftlichen Bergsteiger, dem damals, als es in den ganzen Ostalpen noch sehr wenige hochgelegene Unterkunftshütten und, abgesehen von einigen Eisenbahnlinien, in den großen Haupttälern noch gar keine zeit- und kraftsparende Verkehrsmittel gab, kein Anmarsch auf Schusters Rappen zu weit und keine „pfundige" Gepäckschlepperei zu mühsam war, um seine ganz bescheiden im bayerisch-tirolischen Grenzgebiet begonnene alpine Gipfelsammlung zu vergrößern. Nur der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71. den Reinstein zu seinem Bedauern als damals in Sachsen nicht militärisch ausgebildeter Lehrer in der Heimat verleben mußte, und die Umständlichkeit seiner bald darauf (1872) erfolgten dienstlichen Versetzung an das Gymnasium in Plauen i. V. zwangen ihn zu einer kurzen Unterbrechung seiner mit leidenschaftlichem Eifer betriebenen bergsteigerischen Betätigung. Dann aber entwickelte er sich schnell zu einem Bergsteiger von solcher Erfahrung und solchem technischen Können, daß er sich in der Vollkraft seiner jungen Jahre mit gutem Gewissen sowohl in den Ostalpen wie in den gerade damals von der Bergsteigergarde des britischen „Alpine Club" hochtouristisch erschlossenen Westalpen an die schwierigsten Unternehmungen wagen durfte. Gleichwohl unterlag Reinstein auch als junger Draufgänger niemals der Versuchung, das Bergsteigen nur aus Gründen des sportlichen Ehrgeizes zu betreiben, sondern ihm lag vor allem daran, die Alpen und nicht bloß diese, sondern auch die in ihrer landschaftlichen Verschiedenheit so unendlich reizvollen deutschen Mittelgebirge und andere europäische Bergländer möglichst gründlich kennenzulernen. In diesem unermüdlichen Bestreben hat er sich seine innig geliebte deutsche Heimat als unverlierbares seelisches Besitztum im buchstäblichen Sinne „erwandert". Immerhin galt seine besondere Liebe der bergsteigerischen Betätigung in den Hochalpen, wobei er sorgfältig darauf bedacht war, sich in Fels und Firn gleichmäßig auszubilden. Wie sehr ihm das gelungen ist, beweist die lange Reihe seiner führerlosen Bergfahrten, die alle klangvollen Namen vom Montblanc im Westen bis zum Großglockner und Triglav im Osten umfaßt, darunter nicht weniger als 240 Gipfel, die die Höhe von 3000 m überschreiten. Auch im norwegischen Hochland und auf dem nordischen Felseneiland der Lofoten hat Reinstein zahlreiche Hochtouren ausgeführt, die ihn z. B. auch auf den höchsten nordischen Gipfel, den rund 2600 m hohen Galdhöpig, führten und ihm die persönliche Bekanntschaft mit F. Nansen vermittelten, überhaupt war es Reinstein bei aller persönlichen Bescheidenheit doch begreiflicherweise eine stolze Genugtuung, daß ihm seine weit über das Durchschnittsmaß hinausgehenden hochtouristischen Leistungen die persönliche Bekanntschaft mit einigen weltberühmten Bergsteigern der alten Schule einbrachten, erlebte er doch sogar die stolze Freude, diese oder jene anspruchsvolle Bergfahrt als Begleiter von Karl Schulz, Ludwig Purtscheller, der Brüder Otto und Emil Zsigmondy, Michael Innerkofler u. a. ausführen zu dürfen.
Indessen hätte Reinstein nicht Zeichner und Maler von Beruf sein müssen, wenn sich sein alpines Erleben in rein bergsteigerischer Betätigung hätte erschöpfen sollen. Tatsächlich hat er von seinen jahrzehntelangen Kreuz, und Querfahrten durch Gottes herrliche Bergwelt in Heimat und Fremde ungezählte Hunderte von Bleistift-, Kohle-, Aquarell- und Ölskizzen heimgebracht, die ihm neben Tausenden von eigenen Lichtbildaufnahmen ein in seiner subjektven und objektiven Reichhaltigkeit schlechthin unerschöpfliches Anschauungsmaterial für seine gleich noch näher zu würdigende ausgedehnte Vortragstätigkeit zur Verfügung stellten. Auch das ist nämlich eine in ihrer vielleicht im ganzen D.u.Ö A.-V. einzig dastehende Leistung unseres „Vaters" Reinstein, daß er als einer der Gründer unserer schon 60 Lebensjahre zählenden Muttersektion Zwickau zugleich der Vater unserer Sektion Plauen und durch sie wieder der Großvater und Urgroßvater eines ganzen Schwarmes von blühenden Enkelsektionen geworden ist, die sich schon bald nach dem Weltkrieg unter dem Namen „Arbeitsgemeinschaft vogtländischer Sektionen des D.u.Ö.A.-V." zu einem ganz intimen Familienverband zusammengeschlossen haben.
Sozusagen „vom Familienstandpunkt betrachtet", hat also Reinstein nur seine Pflicht als guter Familienvater erfüllt, wenn er im Lauf eines halben Jahrhunderts seinen über ganz Südwestsachsen verstreuten Sektionskindern und deren Kindeskindern, aber auch vielen Sektionen in den angrenzenden preußischen, thüringischen und bayrischen Gauen und ebenso vielen heimatlichen und nachbarlichen Touristenvereinen außerhalb unseres D.u.Ö.A.-V. insgesamt weit über tausend rein alpine Vorträge mit und ohne Darbietung von Lichtbildern und Skizzen von seiner kunstgeübten Hand gehalten hat. Dabei hat er die ganze uns Jüngeren kaum mehr recht vorstellbare Entwicklung der photograpyischen Aufnahme- und Reproduktionstechnik wie auch die nicht minder großartige Entwicklung der Projektionstechnik von der kümmerlichen, mit einer Petroleum-Dochtlampe ausgerüsteten Laterna magica bis zum modernen elektrischen Bildwerfer nicht bloß miterlebt, sondern praktisch mit ausprobiert! Dazu kommen noch ungezählte weitere Vorträge, die sich mit der alpinen Mundartdichtung beschäftigen, hatte doch Reinstein als Künstler begreiflicherweise das starke Bedürfnis, seinen Landsleuten in der alpenfernen Heimat nicht nur die alpine Landschaft, sondern auch das kernige Volkstum der deutschen Älpler in Wort und Bild näherzubringen. Das führte ihn einerseits zu liebevoller Versenkung in die volkstümliche Bildkunst F. v. Defreggers, der ihm seine persönliche Freundschaft schenkte, und andererseits zu gründlicher Beschäftigung mit der oberbayrischen Mundartdichtung F. Kobells und K. Stielers, die er gleichfalls persönlich näher kennenlernen durfte. Ja, der große Reiz des Gegensatzes lockte Reinstein sogar, sich auch mit dem Plattdeutsch Fritz Reuters vertraut zu machen, so daß er schließlich das Kunststück fertig brachte, seinen Vortragsgästen in einem Atemzug auf gut oberbayrisch wie auch auf „plattdütsch" die Wahrheit zu geigen.
Auch die unermüdliche alpin-volkskundliche und mundartliche Vortragstätigkeit Reinsteins ist jedoch nach seiner eigenen Auffassung nur ein untergeordneter Teil seines unermüdlich werbenden und belehrenden Wirkens im Dienst des alpinen Gedankens. Er selbst hat es stets als seine schönste und höchste Bergsteigerpflicht betrachtet, sich mit der ganzen Kraft seiner Persönlichkeit für den idealen Gedanken des Natur- und Heimatschutzes einzusetzen. Ja, ihm war zeit seines langen, gesegneten Lebens die hingebungsvolle Pflege des Natur- und Heimatschuhes eine Herzensangelegenheit, für die er sich heute noch mit jugendlichem Feuer einsetzt. Es war deshalb nur eine Selbstverständlichkeit, daß ihm außer den drei Alpenvereinssektionen Plauen, Ölsnitz und Reichenbach noch zahlreiche von ihm begründete oder doch mitbegründete Natur- und Heimatschutzvereine den Dank der Heimat durch die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft, zum Teil schon vor vielen Jahren, zum Ausdruck gebracht haben.
Mehr als diese bescheidene Würdigung des Bergsteigers Hermann Reinstein zu geben, muß sich der Verfasser dieser Zeilen leider versagen, obwohl noch viel, sehr viel gesagt werden müßte, um seiner wahrhaft liebenswerten Persönlichkeit und seinem reichen Lebenswerk auf außer alpinem Gebiet einigermaßen gerecht zu werden. Aber ein solches Ausplaudern seiner außeralpinen Verdienste an dieser Stelle würde unser lieber „Alter vom Berg" als eine ganz ungewohnte Angezogenheit seiner Plauener Sektionskinder betrachten, und mit einer solchen Ungezogenheit wollen wir ihn am allerwenigsten ausgerechnet an seinem 90. Geburtstag kränken. Nur eine ganz kleine alpine Indiskretion möge er uns in Gnaden verzeihen, nämlich die Ausplauderung, daß er sich als einziges Geburtstagsgeschenk die baldige Aufhebung der deutschen Sperre für die Ausreise nach Österreich wünscht, weil er doch im kommenden Sommer „mal wieder" unsere einsam und verlassen hoch droben im Kuchelmooskar des Zillergründls auf uns wartende Plauener Hütte besuchen möchte! In diesem Sinn unserem 90jährigen Geburtstagskind im Namen seiner sämtlichen Tochter- und Enkelsektionen wie auch im Namen des ganzen D.u.Ö.A.-V. ein brausendes „Bergheil!".
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1934, Seite 139-140

Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1936, Seite 122 ff

Geboren am:
04.05.1844
Gestorben am:
14.11.1935