Schmid Hermann von

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Biografie:
Ein bayrischer Hochlandserzähler.
Zum 100. Geburtstage Hermann v. Schmids (30. März 1915) von Dr. A. Dreyer.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vor der Gründung alpiner Vereine, weckten und schürten das Verständnis und die Begeisterung, für unsere Hochgebirgswelt außer den deutschen Alpenpionieren besonders die Maler und Dichter. Münchener Landschaftsmaler, wie Albrecht Adam, J. Klein, Peter Heß u. a., durchstreiften das bayrische Hochland, und ihre köstlichen Bilder von den leuchtenden Schönheiten dieser Täler und Berge erregten die ungeteilte Bewunderung ihrer Zeitgenossen.
Nach den Künstlern kamen die Münchner Dichter. Hochtouristen waren freilich auch sie nicht (nur der urwüchsige Kobell stieg auf seinen zahlreichen Gemsjagden zu unwirtlicheren Regionen empor), dafür aber ausdauernde Wanderer. Nun erklang das Lob der bayrischen Berge in wohlgesetzten hochdeutschen Rhythmen, in frischkecken mundartlichen Gesängen, in farbensatten Prosaschilderungen und in anmutigen Erzählungen. Vor und neben der ländlichen Fabulierkunst Bertold Auerbachs wuchs gleich einer würzigen Bergblume die bayrische Hochlandsgeschichte empor. Lentner bebaute zuerst dieses brachgelegene Feld, dann folgte Ludwig Steub mit zwei prächtigen Geschichten („Das Seefräulein" und „Die Trompete in Es"). Allein des ersteren Sangesmund verstummte bald für immer, und die Liebe für Tirol durchglühte Steub bald so mächtig, dass er seiner bayrischen Heimat fast ganz und gar vergaß.
Da erstand dieser ein neuer dichterischer Herold, der ihr bis zu seinem Tode unwandelbar treu blieb: Hermann Schmid. Geboren am 30. März 1815 zu Weizenkirchen (im damals bayrischen, heute oberösterreichischen Innviertel), betrieb und vollendete er seine Gymnasial- und Hochschulstudien in München. Als Rechtspraktikant fand er in alten Gerichtsakten (in Dachau, Erding usw.) die dankbaren Stoffe für seine späteren Dorfgeschichten. Im Chiemgau veranstaltete er kleine Bauernkomödien. Sonst kümmerte er sich damals blutwenig um das bayrische Alpenvolk.
Zwar regte sich seine dichterische Begabung schon verhältnismäßig früh; doch geizte er anfangs nur nach dem Lorbeer des Dramatikers. Seine Trauerspiele „Camoens", „Straßburg", „Columbus" errangen bei ihrer Aufführung im Münchner Hoftheater reichen Beifall und die „innige Anerkennung" des Königs Ludwig I. Dadurch war Schmid erst recht in dem Wahn bestärkt, er sei nur für das Drama hohen Stils berufen. Sein Lebensschicksal hatte unterdessen eine verhängnisvolle Wendung genommen. Als Stadtgerichtsassessor war er in politischer und kirchlicher Hinsicht bei seiner vorgesetzten Behörde mißliebig geworden. Seine Ruhestandsversetzung (1850) traf ihn schwer. Als schlechtbezahlter Anwaltskonzipient fristete er Jahre hindurch ein kärgliches Dasein.
Erst spät entdeckte er sein großes Talent für die Novellistik durch zwei kleine Geschichten („Unverhofft", ein bäuerliches Lebensbild, und „Der Greis"), die in den „Stuttgarter Hausblättern" von Edmund Höfer erschienen. Dadurch wurde der Herausgeber der „Gartenlaube" Ernst Keil auf ihn aufmerksam und lud ihn zur Mitarbeit an feinem Blatte ein. „Die Huberbäuerin" (1860) begründete Schmids Ruhm.
,Mit ihr war das Eis gebrochen sagt der Verfasser selbst. „und ich ein populärer Mann." In der „Gartenlaube" mit ihrem bedeutenden Leserkreis ließ Hermann Schmid die meisten seiner Erzählungen die Feuerprobe der Kritik bestehen, ehe er sie in Buchform herausgab. Innerhalb eines Zeitraumes von kaum zwei Jahrzehnten erblühte ein reicher Kranz bergfrischer Geschichten, die in verschiedenen Gegenden der bayrischen Alpen und ihres Vorlandes spielen: „Blut um Blut", „Die Gasselbuben", „Der bayrische Hiesel", „'s Schwalberl", „Der Loder", „Der Habermeister", „Der rote Hannickel", „Die Brautschau oder 's Lieserl von Schliersee", „Die Venediger", „Der Bergwirt", „Die Zwiderwurz'n", „Im Himmelmoos", um nur die bekanntesten zu nennen. Ein paar („Die Goldsucher", „Die Mordweinacht" usw.) veröffentlichte er in der von ihm im Oktober 1863 herausgegebenen illustrierten Familienzeitschrift „Der Heimgarten", dessen Leitung er aber etwa nach Jahresfrist niederlegte. Ein Jahr nach seinem Rücktritt stellte dieses Blatt sein Erscheinen ein. Schmid hatte hier einen Stab erlesener Mitarbeiter um sich geschart, deren Namen heute noch in der alpinen Literatur einen guten Klang haben: Kobell, Stieler, Hartwig Peetz, Max Haushofer, J. V. Zingerle, Adolf Pichler, Ludwig Hörmann u. a.
Die Zeit war dem Erscheinen seiner bäuerlich-volkstümlichen Geschichten außerordentlich günstig. Die erwachte Vorliebe für das Volkstum in den Alpen wuchs zusehends.
Emsig forschte man nach Sitte, Sage und Brauch der Älpler, und die Sammlung und Aufzeichnung von älplerischen Volksliedern betrieben nicht allein Gelehrte mit vollem Eifer, sondern auch fürstliche Personen, so der zitherkundige Herzog Maximilian in Bayern.
Zudem hatte Bertold Auerbach durch seine allerdings oft allzu gefühlsüberschwenglichen Schwarzwälder Geschichten das Interesse für die Dorfnovellistik belebt. Von ihm unterscheidet sich Schmid schon dadurch vorteilhast, daß er nirgends aufdringlich belehrend wirkt wie dieser. Seine Gestalten sind nach der Natur gezeichnet, obgleich sie meist statt des verschlissenen Werktagskittels den schmucken Sonntagsrock tragen. Der gegen Auerbach oft erhobene Vorwurf, seine Bauern hätten zu viel im Spinozza und im Rotteck gelesen (d. h. sie philosophieren und politisieren zu viel), läßt sich auf die Charaktere in den ländlichen Erzählungen Schmids nicht anwenden.
Allerdings ist er wie sein Freund Pocci von Haus aus Vollblutromantiter; dies offenbart sich am deutlichsten in dem Gang der Handlung, die sich hie und da ins Abenteuerliche verirrt. Den Schauplatz der Handlung, den er ein paarmal auch nach Tirol verlegt („Der Schütz von Pertisau", „Oswald und Friedel", „Der Kanzler von Tirol"), weiß er mit kräftigen Strichen zu zeichnen, und für die mannigfach abgestuften Reize der Bergwelt hat er ein feines Auge und wundersame Farben auf seiner Palette.
Die Erzählung fließt leicht und ungezwungen dahin und trifft den Ton der engbegrenzten bäuerlichen Denk- und Empfindungsweise recht gut. Nur manchmal verfällt er in allzu große Rührseligkeit. Die bayrisch-tirolische Mundart beherrscht er trefflich, und oft überraschen den Kenner echt bodenständige Ausdrücke und Redewendungen. Reiches kulturgeschichtliches Material ist überall aufgespeichert und für den Folkloristen späterer Tage ungemein wertvoll.
Als sein bestes Werk darf wohl der vierbändige Roman „Der Kanzler von Tirol" (1874) bezeichnet werden, ein anschauliches Gemälde der politischen, sozialen und künstlerischen Zustände Tirols unter der Regierung der Herzogin Claudia zur Zeit des Kanzlers Dr. Biener, der 1651 auf Betreiben seiner Feinde auf Schloß Rattenberg enthauptet wurde. Steub rühmt dieser Dichtung nach, dass sie „ein lebendiges anziehendes Bild damaliger Zeiten, damaliger Männer und Frauen" entrolle. Im 5. Band der „Quellen und Forschungen zur Geschichte Tirols" (1898) erbrachte Hirn den Nachweis, dass beim Falle Biener „weder politische, noch nationale, noch konfessionelle Motive" entscheidend waren.
Ludwig Trost hebt an dem Zeit- und Kulturschilderer H. Schmid besonders hervor „die epische Kraft der Anschaulichkeit, mit der er vergangene Zeiten zu vergegenwärtigen und die Feinfühligkeit, mit der er als rückwärts gekehrter Prophet sich in frühere Kulturzustände, Lebensgewohnheiten und Anschauungsweisen hineinzuempfinden weiß".
Dieses Urteil umspannt auch die übrigen geschichtlichen Erzählungen Schmids, die größtenteils in und um München spielen („Die Türken in München", „Die Mordweihnacht", „Konkordia", „Im Morgenrot", „Mein Eden"). Auch im volkstümlichen Drama ward ihm ein voller Erfolg beschieden. Als Dramaturg des Gärtnertheaters in München (dieses Amt bekleidete er nur einige Jahre, ebenso hatte er später kurze Zeit die Leitung dieses Theaters inne) kam ihm der glückliche Gedanke, die besten seiner Volkserzählungen in dramatische Form zu gießen. Die Aufführungen von mundartlichen Singspielen Kobells im Münchner Hoftheater (1847, 1851, 1862) hatten ihn ja darüber belehrt, dass das Publikum für derartige Gaben volkstümlicher Dichtkunst die nötige Empfänglichkeit besitze. So ging im Gärtnertheater 1866 sein „Tatzelwurm" in Szene, 1867 „Almenrausch und Edelweiß". Bald drängten sich auch die Gestalten anderer seiner oberbayrischen Geschichten auf die Bühne, stets von lautem Beifall umrauscht. So wurde er der Schöpfer der Bauernstücke. Anzengruber, der ihn allerdings erheblich überragt, ward sein begabtester Nachfolger.
Schmids ländliche Dramen feierten nicht nur in München, sondern auch auf den Gastspielreisen der Mitglieder des Gärtnertheaters und später der ländlichen Wandertruppe der Schlierseer wahre Triumpfe. Einzelne (namentlich das gemüt- und humorfrische „Lieserl vom Schliersee") haben sich bis heute auf dem Spielplan erhalten.
Zwar nicht unter König Max II., doch unter Ludwig II. lächelte dem Dichter die Sonne fürstlicher Huld. Für sein episches Gedicht „Wieland" wurde er 1876 mit dem Kronenorden ausgezeichnet, mit dem der persönliche Adel verbunden ist. Auf Anregung Ludwigs II. schrieb Schmid für dessen Sondervorstellungen vier dramatische Bilder aus dem Leben Ludwigs XV., die der Öffentlichkeit nie zugänglich wurden.
Auch in lyrischen Gedichten versuchte er sich. Sie verraten eine große Gefühlsinnigkeit, so fein „Am Tegernsee" mit den empfindsamen Versen:
„So mild wie heut‘ sah'n deine Berge nieder,
Als dich mein Herz begrüßt zum erstenmal
So gab der See den blauen Himmel wieder
Im Abendstrahl."
Tiefe Liebe zur Alpenwelt atmet das von ihm im Verein mit bedeutenden Schriftstellern (Stieler, Steub, Hörmann, Rosegger u. a.) und Künstlern (Defregger, A. Gabl, M. Schmid u. a.) herausgegebene Prachtwerk „Aus deutschen Bergen" (1872), in der 2. Auflage unter dem Titel „Unser Vaterland in Wort und Bild". Beim Anblick des Hochlands gesteht er hier: „Die Berge sind die Schatzkammern der Natur, in welchen sie alle einzelne Schönheit von Höhe und Ebene, von Wasser und Land, von Erstarrung und frischgrünendem Leben gesammelt hat und in einem Bilde darbietet."
Quelle: Mitteilungen des DÖAV 1915, Seite 50-51


Geboren am:
30.03.1815