Südwestwand Westliche

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Routen Details:
Erstbesteigung im Rahmen der Überschreitung von Süd nach Südwest
ÜBERSCHREITUNG DER FALLESINSPITZE
Zwei Berge in den westlichen Lechtaler Alpen genießen bei den Führern und der übrigen Bevölkerung große Achtung — die Rockspitze und die Fallesinspitze. Wer also vor den Einheimischen den Kranz alpinen Heldentums erringen will, der steige auf „den Rock" oder von Süden auf die Fallesinspitze.
Der „Hochturist" wertet letztere Tur als „schwierig". Die Schwierigkeit ist jedoch nur von kurzer Dauer. Schönheit des Aufbaues, reiche Gliederung der Felsen, Stille der Täler und Einsamkeit der Höhen erheben für mich eine in lieber Begleitung durchgeführte Überschreitung der Fallesinspitze in die Sphäre der Erlebnisse. Noch nie in unserem Bergsteigerleben haben Ostler und ich so viel geschlafen, so gut und reichhaltig gefrühstückt, als während unserer Urlaubstage auf der Leutkircher Hütte. Der ständige kalte Morgennebel benahm die Lust zu frühem Aufbruch. Auch heute, am 25. September 1912, durchmessen wir in langen Schritten die Hüttenstube. Doch wird uns der Raum nach einigen Rundgängen zu eng. Wir entschließen uns zu einem Spaziergang in das wilde Fallesintal. Und da man nie wissen kann, was für Hindernisse und Schwierigkeiten einem auf hochalpinen Spaziergängen begegnen können, wandern Seil, Kletterschuhe und Steigeisen in den Schnerfer. So bepackt queren wir die gefrorenen Steilhänge und Gräben, die sich vom Westausläufer des Stanskogels zum Almejurbach senken. Im Tal liegt Nebel und um die Lechtaler Berghäupter ballen sich schneeträchtige Wolken. Der erste Blick in das Fallesintal verliert sich in trübes Weiß, der Nebel hindert uns, des Tales Schönheit und Abschluß zu überblicken. Daher steigen wir auf den aperen Kamm empor, der das Tal südlich begrenzt. Er verengt sich zu firnbedeckter Schneide. Vor uns flieht eine Schar Schneehühner, deren zierliche Spuren sich wie Stickerei neben der Firnkante abheben. Wir steigen über tiefen, weichen Schnee steil zum Fallesinbach ab. Da lacht ein Fleckchen blauer Himmel durch das ernste Gewölk. Hoch über uns verliert sich eine fein geschwungene Linie in düsteres Grau. Die reizt unsere Neugierde. Von da oben wollen wir das ganze wildschöne Fallesintal und das Kaisertal östlich überblicken. Über eine steile, schiefrige Rippe gelangen wir auf den von unten gesehenen Grat. Am Fuße eines Steilaufschwunges halten wir Rast, brauen heiße Limonade, blicken nieder in das weiße Fallesintal und in den grauen Nebel, der das Kaisertal füllt. Vor uns wölbt sich, von silbernen Wächten behangen, der Grat steil zum Stanskogel. Da erscheint ein junger Marder, der mit geschmeidigen Bewegungen an den Wächten entlang läuft. Das schlanke Tier tritt an den Saum einer überhangenden Wächte, schwingt sich — ohne jegliche Sicherung! — über den unheimlichen Überhang und verschwindet vor unseren Blicken. Ein eleganter Kletterer! Das Wort weckt aus Beobachten und Sinnen. Kletterer! Waren wir Spaziergänger von heute nicht auch einmal Kletterer? Wir waren es gestern und wollen es heute nochmals sein; dann mag der Winter kommen, der eben in leise sich senkenden Flocken sein Nahen kündet. Wir prüfen den Steilaufschwung des Südgrates der Fallesinspitze. Zwei Routen stehen uns zur Wahl: die Route Mehmke, eine kurze, sehr ausgesetzte Rißund Wandkletterei östlich der Südkante, und die Route Herold-Zohsel, die durch einen verborgenen Kamin der westlichen Flanke führt. Wir entscheiden uns für letztere, in der Meinung, hier auch außer den Fingern die geschützten Beine, Arme und den Rücken ausgiebig benützen zu können. Der nach unten offene Kamin mit schwerem Einstieg bereitet uns in Nagelschuhen Gehenden, zu deren Benützung die heutigen Verhältnisse zwingen, große Schwierigkeiten. Es fehlt das Gefühl der Sicherheit. Die Felsen sind feucht und kalt wie Schlangenhaut, so daß wir sie nur widerwillig berühren. Endlich sind die ersten 15 Meter bewältigt. Während die Erstersteiger sich nun links wandten, durchklettern wir den sich verengenden Kamin in seiner ganzen Länge. Das war doch ernster, als wir erwartet! Was nun folgt, ist eine Erholung, ein Gehen neben dem Grate, ein hübsches Klettern über diesen. Unter des Nebels Regie entstehen phantastische Bilder, der Wind liefert die Musik und lustig umtanzen uns die Schneeflocken. Besonders der Übergang vom Süd- zum Hauptgipfel über Grattürme, Wächten und Firnschneiden wirkt tief eindrucksvoll. Ohne Aufenthalt auf dem Hauptgipfel, leider auch ohne jegliche Aussicht und ohne Überblick, stapfen wir dann über einen nordwestlich sich senkenden Rücken abwärts. Wir erspähen rechtzeitig die einzige Rinne, die uns ohne allzu großen Höhenverlust einen Abstieg in das Fallesintal ermöglicht, und gelangen auf einem Steiglein zu einer einsamen kleinen Alm. Weiße Flocken spielen um die Hütte, um Lärchen mit schon herbstlich gelben Nadeln, um altersgraue, längst abgestorbene Stämme, die noch trotzig im Boden wurzeln. Es wird Winter in den Bergen. Nun wissen wir, daß wir morgen zu Tal steigen.
Der Neuschnee bildet an den Schuhen lästige Stollen, so daß uns der Rückweg zur Hütte über die steilen Grashänge nur mit ausgiebiger Hilfe des Pickels möglich ist. Bei Eintritt der Dunkelheit betreten wir die Leutkircher Hütte zur Freude des Hüttenwirts und der anwesenden Bauleute, die bereits in ernster Sorge um uns waren.

Quelle: Zeitschrift des DÖAV 1913, Seite 166
Datum erste Besteigung:
1912
Gipfel:
Fallesinspitze (Vallesinspitze)
Erste(r) Besteiger(in):
Kurz Fritz