Endell Kurt

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Biografie:
geboren in Stadel (Deutschland)

Dr. Georg Künne
Pfarrer in Hohensinow bei Berlin und
Prof. Dr. Kurt Endell
von der Technischen Hochschule in Berlin-Wannsee.
Der Österreichische Alpenklub Wien hat im Jahre 1945 zwei seiner langjährigen, treuesten und begeistertsten Mitglieder verloren. Sie waren beide Vertreter des Alpinismus vom Anfang unseres Jahrhunderts, als es noch Erstersteigungen in den europäischen Alpen gab, als man sein Tätigkeitsgebiet schon außerhalb der klassischen, deutsch-schweizerisch-französisch-italienisch-spanischen Grenzen suchte, in die Granitgebirge Norwegens vordrang und sogar Gipfel eroberte in bis dahin noch völlig unerforschten Berggruppen Asiens. Beide verbanden die klassische Zeit des Alpinismus im vorigen Jahrhundert mit den letzten, vielleicht etwas zu leichtathletisch-betonten und mit allzu viel künstlichen Hilfsmitteln arbeitenden Formen unserer jüngsten Bergsteiger-Generation.
Sie kannten teilweise noch persönlich die alten Heroen wie einen Hanns Barth, Pfannl, Blodig, Maischberger, einen Weitzenböck, Pfann, und viele, viele andere, eine Eleonore Noll, einen Whymper, einen Dimai, Delago und Alexander Burgener, unter denen jeder einzelne Name ein wirkliches Erleben des Hochgebirges versinnbildlicht.
Beide Flachländer schienen für das Gebirge nicht geboren, jeder Gipfel bedeutete für sie einen Anmarsch von fast 1000 Kilometern und doch hatten sie zu den Bergen ein so aus­ geprägtes Heimatgefühl, daß man nach der Theorie der Seelenwanderung fast glauben möchte, sie hätten ein früheres Dasein schon einmal durchlebt im Reich der Lawinen und rauschenden Gletscherbäche. Dort waren sie eben zu Haus und deshalb waren sie selbstverständlich Führer­lose. Körperlich wie nervlich schienen beide nicht von vornherein zu alpinen Höchstleistungen geschaffen und doch befähigte sie eiserne Energie, Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, ange­borener Berginstinkt und zielbewußtes Training zu ihren großen, führerlosen Erfolgen. All das hätte vielleicht nicht ausgereicht, wenn sie in ihre Leidenschaft nicht all ihr Gemüt und all ihre Sehnsucht nach ästhetischer Harmonie hätten hineinlegen können, wie es die Hochwelt denen gibt, die offenen Herzens zu ihr kommen. Nicht viele deutsche Pfarrer kenne ich, in deren Denken die Hochturistik einen so großen Raum einnimmt wie bei Dr. Georg Künne.
Auch bei ihm ist es wundersam, wie wenig große Entfernung und äußere Schwierigkeiten seinen Hunger nach den Bergen bremsen konnten.IFn den Fahren vor dem ersten Weltkriege verdiente er sich die alpinen Sporen in den deutschen und österreichischen Bergen und bildete sich zu einem zuverlässigen Kletterer aus, der auch größeren Aufgaben gewachsen war. Die erste Ersteigung der Friedrichschneidspitze in der Schobergruppe, Fahrten in der Texelgruppe, in der Hohen Tatra, auf den Ruiskogel, die Erstbesteigung der „Nassen Wand" in den Ötztalern zeugen bereits von Umsicht und Energie. Schon frühzeitig wurde das Studierzimmer während der langen Wintermonate zu eng, aber es zwang zur peinlich genauen Vorbereitung aller Wünsche und Hoffnungen, zur Ausbildung geologischer Kenntnisse, zur Erlernung trigono­metrischer und physikalischer Messungen, zu umfassenden Literatur-Forschungen, die sich schon im Sahre 1910 bewährten, in dem wir Künne auf Auslandsexpeditionen in den Pyrenäen und im norwegischen Tysfjord finden. Den Höhepunkt seiner gereiften alpinen Technik, seiner Erprobung vorbereitender Organisation, seiner Aufnahmefreudigkeit für bergsteigerisches Erle­ben brachte ihm das Jahr 1927, das ihm die Durchführung der deutschen Taurus-Expedition, des ersten alpinen Nachkriegsunternehmens und das Betreten unbestiegener asiatischer Hoch­gipfel bescherte. Mit meiner Frau Marianne und mir bezwang er die 9 höchsten Zinnen des kilikischen Ala Dagh und entthronte durch die Erstersteigung des 3910 m hohen Demirkasgk den Ersjiasdagh, der bisher mit seinen 3830 m als größte Erhebung galt. Ein Hauptgipfel des Massivs trägt nach seiner Bezwingung durch die Klagenfurter Taurusexpedition 1933 Künne's Namen. In diesen langen Wochen, in denen wir unter schwierigsten Verhältnissen, nur auf uns selbst angewiesen, nicht nur bedroht von objektiven Berggefahren, sondern auch im Gebiet räuberischer Nomadenstämme allein auf unsere Kameradschaft angewiesen waren, be­währte sich seine Ausgeglichenheit, seine umfassenden Kenntnisse auf vielen Gebieten, die uns die langen Ritte, einsame Stunden an Hochgebirgs-Lagerfeuern und ein schweres Biwak am Demirkasgk verkürzten.
Zahlreiche Veröffentlichungen auch auf alpin-ethischen und physiologischen Gebieten, viele Vorträge in den Sektionen des Alpenvereins, des Akadem. Alpenvereins Berlin und nicht zum wenigsten im Ö. A. K., dem er mehr als 25 Jahre angehörte, gaben seinem Namen auch in weiteren Bergsteigerkreisen einen guten Klang. Wie konnten seine Augen aufleuchten, wenn ihn diese lieben Erinnerungen aus der Lethargie seines langen, schweren Krankenlagers herausrissen. Noch in seinen letzten Tagen war die Hochwelt für ihn die Stätte ausruhender Besinnlichkeit. Sie gab ihm als Dank sicher einen Teil der Kraft, die für seinen letzten Anstieg zu neuen, unbekannten Welten notwendig war.
So sehr Prof. Endell als Mensch und Wissenschaftler Weltbürger war, so vielseitig sich seine außerberuflichen Interessen auf Musik und Religionswissenschaften erstreckten, so souverän er das praktische Leben zu meistern schien, so weit gestreckt waren seine bergsteigerischen Ziele und geologischen Wünsche, die ihn vom Dauphine in die schon arktischen Gebirge Norwegens führten, von den deutschen und österreichischen Felsen zu den Eiswänden der Schweiz und der Mont Blanc-Kette. Ein Zeppelinflug nach Amerika verschaffte ihm das Erlebnis der Rocky Mountains. Er hatte das große Glück, auf vielen Berg- und Schifahrten von seiner Frau und seinen beiden Söhnen begleitet zu werden. Es war eine Freude, sein Gefährte zu sein und immer wieder die Selbstverständlichkeit zu empfinden, mit der er schwerste Eis- und Kletterstellen meisterte, seine bewußte Genußfreudigkeit am Verkehr mit der internationalen Bergsteiger-Elite in Zermatt und Chamonix. Er empfand in hohem Maße die Gegensätzlich­keit von Hunger, Anstrengung, Gefahr und Toben von Sturm und Lawinen mit dem Wohl­ leben, der Behaglichkeit, der Geborgenheit und einer symphonischen Harmonie des vorzüglichen Zermatter Orchesters im Tal. Endell war kein Sammler von „Kläpfen", ihm bedeutete der Name und die Summe der erstiegenen Gipfel wenig, er war auch kein Neuturen-Jäger; das „Erlebnis des Berges", das Begehen eines klassischen Anstieges auf der Jungfrau—Guggi- Route, aus der lange umkämpften Aiguille du Geant, durch den Mummery-Riß, der Dent du Requin; das Nachempfinden der ersten Besteiger des Mont Blanc, des Matterhorns gaben ihm Besinnlichkeit für die langen Stunden des Auf- und Abstieges. Biwaks gab es bei ihm selten, weil er selbst unter den führerlosen Westalpenmännern, die gewohnt sind, mit jeder Minute zu geizen, zu der Gruppe der Schnellgänger gehörte. So konnten wir manchen Vierlausender direkt vom Tal her bezwingen und genossen beschaulich-wunschlose Abende am Kaminfeuer eines Seiler'schen Hotels in Zermatt, wenn uns die Morgenstunden auf Gipfelwächten gesehen hatten. Ein kleiner Markstein in seinem langen alpinen Erleben und gleich­zeitig ein Beweis des Könnens war die Klubtur aufs Matterhorn mit seiner Frau und 7 Mitgliedern des Akadem. Alpenvereins Berlin, die sich ganz zufällig in Zermatt gefunden hatten und am nächsten Tage das „Horn" bestiegen, um sich auf gemeinsamem Bummel etwas „die Beine zu vertreten". Alpin-literarisch ist Endell nicht oft in Erscheinung getreten, aber auf vielen Vortragsabenden lauschten die Zuhörer in allen Städten Deutschlands dem trockenen Humor seiner Vorträge, die meist durch prächtige, eigene Diapositive veranschaulicht waren.
Endell war ein Mensch, der trotz aller äußerlichen Zurückhaltung der Hochwelt viel Liebe entgegenbrachte. Deshalb schenkte sie ihm auch glücklichste Stunden. Als Begleiter seiner Fahr­ten an der Küste des Nördlichen Eismeeres und auf manchen Viertausender in den europäischen Alpen weiß ich, wieviel Entspannung und Tatkraft für den Beruf uns die Berge gaben und unendliche viele meiner eigenen Erinnerungen werden untrennbar verbunden bleiben mit dem Begriff Kurt Endell als Alpinist, als Freund und nie versagendem Gefährten.
Dr. W. Martin.
Quelle: Österreichische Alpenzeitung, 1948, Folge 1241, Seite 154-156

Geboren am:
01.02.1887
Gestorben am:
1945

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